Ein Gespenst geht um in Deutschland, und es wird uns noch viel Freude bereiten. Es ist das neue Lernen, oft auch individuelles Lernen genannt, das viele wichtige Elemente enthält, die wir im 21. Jahrhundert brauchen: intrinsische Motivation, Selbständigkeit, Forschertum, Team- und Kommunikationsfähigkeit. Aber das ist eine eher systemische Ableitung aus den neuen Arbeitsformen, die sich oft aus der Logik des digitalen Lernens Arbeitens ergeben. Also nicht mehr hierarchisch von Lehrern und einem Kanon namens Lehrplan angeordnet, auch nicht mehr in den Schulformaten, die wir aus der Zeit kennen, als unsere Klassenzimmer in Preußen für die Massenproduktion einer allgemeinen Schulpflicht entstanden. (Und die übrigens ihre historische Berechtigung hatten.)
Das klingt erstmal alles ganz hübsch. Das Problem ist das schroffe Nebeneinander vom starken Wunsch nach einem neuen Lernen, der aus den enttäuschten progressiven Elternhäusern, der Industrie und vor allem aber aus der rotbäckigen Netzgemeinde kommt. Der starke Wunsch nämlich ist geprägt durch ein sehr dünnes Wissen, wie das neue Lernen konkret und real in Klassenzimmer oder meinetwegen neue Lernräume eigentlich umgesetzt wird. Mit anderen Worten: Was ist die pädagogische Praxis, wie sieht eine Didaktik des neuen Lernens aus?
Stumpfes Abarbeiten, viele vergebliche Reformen
Man kann diese Praxis schon an vielen Orten bestaunen, aber ganz ehrlich: Im Bezug zur Gesamtheit des alten Lernens ist das so gut wie nichts! An 33.000 Schulen in Deutschland etwa wird gelernt, ich schätze an 99 Prozent der Schulen nach dem alten Format, also Klassenzimmer, Stundenplan mit 45-Minuten-Portionen, Lehrplan etc. Das ganze Max-Webersche Programm einer postmittelalterlichen Produktion von Qualifikationen, die dem frühen Kapitalismus dienstbar waren: Viel Memorieren und stumpfes Abarbeiten von Handgriffen; wenige anleitende und forschende Jobs. So primitiv ist das alte Lernen, wenn wir ehrlich sind, natürlich nicht. Über die Schulen sind seitdem ja viele Reformen gekommen, und viele, vor allem die in den 1970er, haben versucht, die alten Formate des Frontalunterrichts zu brechen. Was ihnen nicht vollkommen überzeugend gelungen ist. Um es freundlich zu sagen.
Denn das Grundformat herrscht vor, sprich, es haben erst ein Prozent der Schulen weiter gehende Erfahrungen mit dem neuen Lernen gemacht. Aber dieses eine Prozent wird nun (idiosynkrasiert) verallgemeinert und zu einer Art Superblaupause gemacht für den Rest der 99 Prozent old schools. Das geht im Denken und mit Worten ganz fix. Aber der reale Umbau des Lernparadigmas in den Schulen ist ziemlich anspruchsvoll. Wer gesehen hat, wie sehr sich selbst verzweifelte Schulen, die mit den alten Stiefeln kein Ziel mehr erreichten, wie schwer sich also diese Schulen tun, ein handhabbares pädagogisches Konzept neuen Lernens hinzubekommen, das der Zukunft zugewandt ist, aber die alten und noch sehr realen Qualifikationsanforderungen erfüllen muss, der weiß was ich meine.
Schweißtreibende Zukunft
Es gibt sehr tolle Beispiele neuen Lernens mit viel Selbststeuerung durch Schüler, mit Wochenplänen, Komptenzrastern, Lernbüros, Denkateliers, Kreativorten, mit Wuselphasen und Projekten und außerschulischen Lernorten, mit DesignThinking, Speedlab und was es da noch alles geben mag. Diese Elemente klug zu einer funktionierenden Schule zusammen zu basteln, ist wahnsinnig aufregend – und sehr sehr anstrengend. Verzeihung, wenn ich dieses schweißtriefende Wort aus der fordistischen Zeit hier anbringe. Und die neue aseptische Ökonomie von Aufmerksamkeit, Kreativität und digitaler Co-opetition damit beschmutze. Denn die braucht ja keine realen körperlichen Begegnungen mehr, sondern produziert in distance learning, Moocs und Telekonferenzen eine Art leiblosen Mehrwert. Aber, leider: Anmut sparet nicht noch Mühe. Auch neues Lernen will gedacht, gebaut, sozial durchgesetzt werden.
Freilich, solche faltenwerfenden Überlegungen einzuwerfen, ist ein Affront, eine Blasphemie für die Vordenker und Marktschreier des neuen Lernens. Die haben es live zwar noch nie gesehen, können es aber famos als Idee entwerfen. Für sie sind Begriffe wie Didaktik oder Unterrichten Begriffe aus einer alten Welt, deren Benutzung die ganze Rückständigkeit des Aussprechenden offenbart. Diese neuen Ideologen verfolgen wie Politkommissare im Netz die Verwendung alten und damit strafbaren Vokabulars. Leider können sie blöderweise oft wenig beitragen für, etwa, konkrete Schulgründungsprojekte.
ReEducation für die doofen alten Lehrer
Denn sie kennen keine didaktischen Kniffe, sie wissen wenig von der Anordnung von Lernformaten oder, sagen wir, sind sich auch nur bewusst, wie wichtig es ist, neue positive Rollenmodelle für die Lehrer aus den alten Schulen zu formulieren. Immerhin finden sich 700.000 Lehrer alten Typs im System, und es ist wunderbar zu beobachten, wie selbst einfachste Stammtischrunden die Neuformatierung, den Reboot der Feuerzangenbowlen-Welt ins 21. Jahrhundert mal flugs an die Lehrer, die Fortbildung und eine vollkommen neue Lehrerbildungsanstalt delegieren. (Manchmal erwischt man sich bei dem finsteren Gedanken, was die Rotbäckler denn mit all den Lehrern machen würden, kämen sie an die Macht und könnten ihre Ideologien umsetzen: Umerziehung, Arbeitslager, Berufsverbot, ReEducation?)
Man kann auch relativ einfach sagen, was diese Leute im wesentlichen machen: Sie idealisieren ihr Modell und sie idealisieren dabei das Kind, das in diesem Modell natürlich ein allzeit lernbereites, stets kreatives Wesen ist, das beinahe minütlich nach neuen Lernstoffen giert. Deswegen sei Unterrichten der falsche Begriff, deswegen gehe es gar nicht, dass ein Kind nicht lerne, deswegen müsse man die vollkommene Befreiung des Kindes von Didaktik fordern. Was sie damit machen, ist ganz einfach: Sie überfordern die Kinder, denn Lehrer sind einfach mal wichtig zum Lernen. Ich fordere etwas ganz anderes: Geht mal in das Klassenzimmer einer Reform- oder Brennpunktschule und zählt die idealtypischen Lerner.
Bitte kein Missverständnis, pisaversteher hat viele Schulen gesehen, die neues Lernen können und praktizieren. Zum Wohle ihrer Schüler und Lehrer. In diesen Schulen liegt die Zukunft. Aber sich einzubilden, diese Labore des neuen Lernen könnten nun flächendeckend umgesetzt werden, offenbart eine ganz andere Logik bei denen, die sich das wünschen, als sie meinen: es ist eine industrielle Logik der Re-Produktion identischer Klone neuer Schulen.
Nur sind neue Schulen anders, so viel wissen wir schon heute aus den wenigen praktizierten Beispielen, die es bereits gibt. Sie haben alle mehr oder weniger die gleichen Grundideen – Individualität&Kollaboration&Nicht-Beschämung -, sie arbeiten an den gleichen Fragen, aber sie finden fast alle unterschiedliche Antworten darauf.
Lieber Pisaversteher, flächendeckend ist die die Art und Weise wie Schulen gebaut und eingerichtet werden. Flächendecken entscheiden nicht Schüler und Lehrer über den Bau und die Einrichtung ihrer Lernwelten. Flächendeckend beherrschen Plattenbaudenken die Verwaltungsbeamten die Schulen in den Gemeindestuben bauen und einrichten. Das multifunktionale Klassenzimmer ist ein Tabuthema, wie auch der individuelle Lehrerarbeitsplatz. In der Architektur des Schulbaus, werden Schüler und Lehrer aufgereiht, wie Soldaten auf dem Apellhofplatz. Keine andere Berufsgruppe genießt solche Abgrund schlechten Arbeitsbedingungen, null Ergonomie usw. Und da wundern die hohen Ausfallzeiten, die hohen Krankentage wegen Rückenleiden usw., Das liegt auf jeden Fall nicht an der Didaktik und da werden auch weitere kollaborativ gegründete Methoden nichts verbessern. Da gibt es nur eins, entrümpeln und neu einrichten, ergonomisch und multifunktional.
Hat dies auf Management lernender Organisationen rebloggt und kommentierte:
An alle die die Schule von Morgen denken, an alle Pisaversteher, hier reblogge ich einen Beitrag zum Thema neues Lernen und meinen Kommentar, den ich als Aufruf verstanden wissen möchte. Denn flächendeckend ist die die Art und Weise wie Schulen gebaut und eingerichtet werden. Flächendecken entscheiden nicht Schüler und Lehrer über den Bau und die Einrichtung ihrer Lernwelten. Flächendeckend beherrschen Plattenbaudenken die Verwaltungsbeamten die Schulen in den Gemeindestuben bauen und einrichten. Das multifunktionale Klassenzimmer ist ein Tabuthema, wie auch der individuelle Lehrerarbeitsplatz. In der Architektur des Schulbaus, werden Schüler und Lehrer aufgereiht, wie Soldaten auf dem Apellhofplatz. Keine andere Berufsgruppe genießt solche Abgrund schlechten Arbeitsbedingungen, null Ergonomie usw. Und da wundern die hohen Ausfallzeiten, die hohen Krankentage wegen Rückenleiden usw., Das liegt auf jeden Fall nicht an der Didaktik und da werden auch weitere kollaborativ gegründete Methoden nichts verbessern. Da gibt es nur eins, entrümpeln und neu einrichten, ergonomisch und multifunktional.
Was IM Unterricht passiert ist erst einmal in der Verantwortung des / der einzelnen Kollegen/in. Sie entscheiden was und wie gelernt wird. Der Verweis auf die da oben zeugt manchmal auch nur von mangelndem Mut.
Neue Lernformen ( die meistens so neu gar nicht sind und wechseln wie Modeströmungen) sollten von den Koll. immer am Lernfortschritt gemessen werden.
Die Erfahrungen an unserer Schule zeigen, dass es nicht die passenden Lernform für alle Schüler/innen gibt – insbesondere die Schüler/innen aus eher bildungsfernen Elternhäusern brauchen z. B. eine enge Begleitung durch die Lehrer/innen. Das zur Zeit so favorisierte Lernbüro ist z. B. für diese Schüler/innen oft eine Überforderung.
Die Idealisierung bestimmter Lernformate beobachten wir seit Jahrzehnten ( je nachdem was gerade Mode ist…) , da liegt „Pisaversteher“ richtig, ebenso mit der Einschätzung von sogenannten „Leuchtturmschulen“ und ihrer Strahlkraft.
Eine ehrliche Bestandsaufnahme was geht mit welchen Schüler/innen und welchen Beitrag kann Lernen 2.0 für ein neue Lernformate leisten ist vielleicht an der Zeit.