Es ist ein Skandal, dass gerade an Schulen in benachteiligter Lage häufig die Angebote gestrichen werden müssen, die ein Zusammenkommen außerhalb des starren Unterrichts ermöglichen.

Lisa Graf ist, genauer: war Lehrerin an einer Brennpunkt-Schule. Sie erhebt nicht nur beredte Anklage wegen der strukturellen Ungerechtigkeit des deutschen Schulsystems. Graf formuliert ein Reformprogramm, das die selben Akzente wie ein politisches Projekt der Ampel setzt: eine Initiative für bessere Startchancen, zu der – so heißt es bei Graf – „eine Kernsanierung“ der Schulgebäude, die Einstellung Tausender Sozialarbeiter und mehr Gestaltungsspielraum für Schulleiter gehören.

Schule braucht eine Kernsanierung, einen Abriss und Neuaufbau. Das erfordert Mut von allen Beteiligten.

Lisa Graf

Das Startchancen-Programm steckte lange im Zank zwischen Bund und Ländern fest. Nun ist es endlich beschlossen – und soll im neuen Schuljahr beginnen. Graf betreut inzwischen vier Schulen in ihrem Startchancen-Anlauf. Zum Status des Bildungswesens insgesamt hat sie eine klare Haltung. Das Schulsystem sei zu alt für kleine Reparaturarbeiten. „Schule braucht eine Kernsanierung, einen Abriss und Neuaufbau. Das erfordert Mut von allen Beteiligten.“

Für Graf war es die Coronakrise, welche die Dysfunktionalität des herrschenden Schulsystems in aller Breite offen gelegt hat. „Die Krise hat das ewige Provisorium zum Einstürzen gebracht“, so die Lehrerin. Es geht um alte Gebäude und Klassenzimmer, die zu klein sind, um Schüler in einer Pandemie sicher unterrichten zu können. Auch die hygienischen Verhältnisse an Schulen hat Corona offenbart: Schüler konnten sich die Hände plötzlich mit Seife waschen – zum ersten Mal seit vielen Jahren. Graf: „Mir geht es darum, dass die Schulen aufgrund ihrer veralteten Ausstattung weder Schüler:innen noch Lehrer:innen die Möglichkeiten bieten konnten, sich vor einer Ansteckung oder vor einer Quarantäne in einem angemessenen Rahmen zu schützen.“

Die Empörung über die nicht anlaufende Digitalisierung der Schulen ist inzwischen fast so alt und miefig wie der Overheadprojektor.

Lisa Graf

Vor allem fehlten Lehrerinnen und Schulen digitale Instrumente, um ihre Schüler zu erreichen. Aber das soll uns Lisa Graf selbst sagen: „Die Empörung über die nicht anlaufende Digitalisierung der Schulen ist inzwischen fast so alt und miefig wie der Overheadprojektor, die Schulbücher und der Tafelschwamm selbst“, schreibt sie im lesenswerten Abschnitt „Digitaligääääähn“. Es brauche WLan, Endgeräte für alle Schüler und eine Schulcloud, in der alle sich verbinden können.

„Aber was hätte eine zeitgemäße Digitalisierung an Schulen den Kindern zu Hause gebracht? Impliziert der digitale Fortschritt, dass die häusliche Lernumgebung eine bessere wird? Ja, das tut er. Denn digitaler Fortschritt bedeutet zum einen, dass jedes Kind eine entsprechende Ausstattung zur Verfügung gestellt bekommt und jede Lehrkraft imstande ist, guten, digitalen Unterricht umzusetzen…Zum anderen bedeutet digitaler Fortschritt aber auch – und das ist in diesem Kontext fast noch wichtiger –, dass Kinder sehr früh lernen, sich selbst zu organisieren und den Überblick über ihre Termine zu behalten… So könnten die Kinder lernen, den Überblick über ihr eigenes Schulleben zu behalten und Schritt für Schritt in die Selbstorganisation hineinwachsen.“ Es ist nur ein kurzer Abschnitt in Grafs eindrucksvollen Buch – aber er zeigt das Potenzial des Digitalen.