Aline Sommer-Noack, Vorständin des Bundeselternrats, über Kultusminister ohne Maßstab, blockierende Vorsitzende und die Rolle von Eltern in der multiplen Bildungskrise
Interview Christian Füller
Frage: Frau Sommer-Noack, das Schulsystem rutscht immer tiefer in die Krise. Und ausgerechnet in diesem Moment fällt der Bundeselternrat aus. Was ist da los?
Aline Sommer-Noack: Also von Ausfall kann bei den ElternvertreterInnen der Bildungsrepublik keine Rede sein. Sonst hätten wir nicht ganz fix mit Norman Heise einen neuen Vorsitzenden gewählt.
Norman Heise (Foto normanheise.de) ist ein Urgestein des Elternbusiness: seit über zehn Jahren im Bundeselternrat, leitet den komplizierten Berliner Elternausschuss seit zehn Jahren und ist quasi hauptamtlich Elternvertreter  
Aber sie haben ihre Bundeszuschüsse verloren. Damit ist der BER gelähmt.
Nein, mit der Stiftung Bildung gehen wir eine gemeinsame Trägerschaft ein. Aber auch ohne die Förderung des Bundesbildungsministeriums für den Bundeselternrat als Gremium sind wir als Netzwerk der Landeselternvertretungen – von Dresden bis Aachen und von Kiel bis Garmisch – immer aktiv und handlungsfähig. Niemand wird allein gelassen.
Das sehen Sie so. Aber Ihr Vorsitzender, Herr Heyartz, hat die Habseligkeiten des Bundeselternrats eingelagert – und will überhaupt das ganze Gremium auflösen.
Herr Heyartz hat keine Gegenstände des Bundeselternrats eingelagert. Über seine Rolle im BER haben die Delegierten zuletzt eine klare Entscheidung getroffen. Der Bundeselternrat steht auf einem demokratischen Fundament – Einzelmeinungen, auch wenn sie laut geäußert werden, ersetzen keine Beschlüsse. Unsere Mitglieder engagieren sich weiterhin konstruktiv für die Aufgaben und Ziele des BER.

Wozu wird denn der Bundeselternrat eigentlich gebraucht?
Er ist deswegen so wichtig, weil die Bildungskrise nicht allein in den pädagogischen Provinzen herrscht. Die Leistungen der Schülerinnen sinken, die Unterschiede zwischen den Ländern wachsen, soziale Herkunft entscheidet mehr denn je. Lehrkräfte, SchulpsychologInnen, SozialpädagogInnen – überall fehlt Personal. Und eine gute digitale Infrastruktur fehlt an vielen Schulen. Diese Krise lähmt die ganze Bildungsrepublik. Und Schulpolitik darf sich deswegen nicht in Zuständigkeiten verlieren. Jetzt braucht es gemeinsame Verantwortung. Der Bundeselternrat ist so wichtig wie nie, um den länderübergreifenden Austausch weiterhin zu moderieren.
Der Bildungstrend als Kompetenztest für Schüler*innen in Mathematik und Naturwissenschaften ist besorgniserregend schlecht ausgefallen. Wie sehen Sie das – als Mutter von drei Kindern und als Landes- und Bundeselternvertreterin –, dass wir noch hinter die Ergebnisse des Pisa-Schocks von 2001 zurückgefallen sind?
Ich habe drei Kinder an drei unterschiedlichen Schulen: Grundschule, Realschule und Berufsschule. Das heißt, ich sehe diesen erneuten Kompetenzschock mit gemischten Gefühlen. Ich erlebe jeden Tag, wo Schule funktioniert – und auch, wo sie einfach an ihre Grenzen stößt. Das ist tatsächlich ein großer Spagat zwischen Engagement, Zufall und Glück. Und als Landes- und Bundeselternvertreterin sehe ich dahinter tatsächlich ein größeres Muster. Persönlich finde ich, wir verlieren nicht in Pisa – wir verlieren an Systematik …
… was meinen Sie damit?
Jedes Land bastelt für sich, anstatt von anderen zu lernen – und ich finde, darin liegt der Schlüssel. Wir müssen uns länderübergreifend austauschen, die guten Ansätze teilen, Best Practices sichtbar machen, statt ständig das Rad neu zu erfinden. Und vor allem: dem Nachbarland die Butter auf dem Brot nicht zu missgönnen. Als Elternvertreterin sehe ich, wie es gehen kann – und als Mutter verzweifle ich manchmal daran, dass so vieles in der Realität einfach nicht ankommt.
Einige der Kultusministerinnen waren so empört über den Bildungstrend, dass sie seine Herausgabe verzögern oder gar verhindern wollten. Hilft es der Republik, wenn man den Bürger*innen das Fieberthermometer für schlechte Schulleistungen nicht mehr zeigt?
Ein Fieberthermometer zeigt ja nur an, dass etwas nicht stimmt – aber es heilt die Krankheit nicht. Fieber kann viele Ursachen haben, von der kleinen Entzündung bis zum ernsthaften Infekt. Genauso ist es mit den Bildungsergebnissen: Sie zeigen, dass ein Problem da ist – aber warum es da ist, dem müssen wir alle gemeinsam auf den Grund gehen. Und genau da liegt das eigentliche Versäumnis. Es wäre grundfalsch, das Fieberthermometer wegzuwerfen! Wir sollten Vergleichstests wie den Bildungstrend nicht infrage stellen, nur weil einem das Ergebnis nicht gefällt. Ich finde, wir brauchen eine ehrliche Ursachenanalyse – und zwar nicht nur auf Statistikebene, sondern im echten Schulalltag: Wie wird gelernt? Wie wird gefördert? Wie wird geführt? Das IQB liefert die Zahlen – aber die Geschichte dahinter, die müssen wir gemeinsam mit Schulen, Lehrkräften und Eltern erzählen. Es geht um einen freundlich-kritischen Austausch – und der muss auf Augenhöhe stattfinden: transparent und vertrauensvoll.
Im Bundeselternrat sind nur noch elf von 16 Ländern vertreten. Welche Positionen vertreten Sie – und welche Positionen vertritt der Bundeselternrat in Bezug auf die große Bildungskrise? Was ist Ihr Plan?
Wir sind aktuell elf Länder im Bundeselternrat, aber wir sind thematisch absolut auf einer Wellenlänge. Die Zusammenarbeit ist unglaublich konstruktiv. In Krisenzeiten rückt man einfach noch einmal näher zusammen. Das gilt tatsächlich auch für den BER. Da geht es nicht um Eitelkeiten oder Zuständigkeiten, sondern um das, was zählt – und das ist gute Bildung für unsere Kinder. Unsere gemeinsame Linie zeigt sich auch in der letzten Resolution. Da geht’s nicht ums Flickwerk, sondern um echten Wandel.
Das sagen viele, Frau Sommer-Noack. Aber was bedeutet das denn?
Wir fordern, dass Schule endlich so gedacht wird, dass Kinder lernen lernen, statt nur Stoff zu verwalten. Dass Lehrkräfte modern ausgebildet werden. Erfolgreiche Schulmodelle – also die echten Leuchttürme – sollen ihre Erfahrungen teilen können, statt isoliert zu bleiben. Und die Bildungspolitik muss auf Zusammenarbeit statt Konkurrenz zwischen den Ländern setzen. Das ist im Grunde unsere Strategie gegen die Bildungskrise: Verbund statt Silos, Praxis statt Schlagworte – und das gemeinsame Ziel, Schule fit für die Zukunft zu machen. Und dadurch eben auch unsere Kinder.
Wir befinden uns praktisch in einer Triage-Situation – das Bildungssystem gleicht einer Unfallstelle. Wem würden Sie als Nothelferin zuerst abhelfen: dem gravierenden Lehrermangel, der gravierenden Bildungsarmut oder den Herausforderungen von Digitalisierung und KI für Schule?
An Schulen hat Triage nichts verloren! Ich will da persönlich keinen isolierten Punkt herauspicken. Lehrermangel, Bildungsarmut und Digitalisierung hängen eng zusammen. Wenn Lehrer fehlen, haben Schulen gar nicht die Kapazität, individuell auf jedes Kind einzugehen – und das verschärft wiederum die Bildungsungleichheit. Gleichzeitig fehlt oft die digitale Ausstattung oder die Medienkompetenz – und dadurch fallen noch mehr Kinder hinten runter. Man kann aber punktuell etwas tun, finde ich.
Zum Beispiel?
Schulen sollten einfacher auf multifunktionale Teams zurückgreifen können – Fachkräfte, Lehrkräfte, digitale Coaches. Es gibt so viele, die unterstützen können. Oder auch: ein kleines Handbuch für die Schulleitung. Damit sie sich nicht mühsam alle Informationen selbst zusammensuchen müssen, sondern direkt passende Unterstützung finden – etwa Life Teach Us bei Unterrichtsausfall oder mit Digital School Story Kompetenzen stärken. Oder Gesundheitsfachkräfte, die Gesundheitsbildung schneller in den Schulalltag integrieren – ohne dass es auch noch den Lehrkräften aufgebürdet wird. Es geht darum, systematisch zu denken, aber punktuell zu handeln.
