Über Gymnasien und die Lehrerrolle in der Gemeinschaftsschule

Die Kollegin Heike Schmoll hat einen wütenden, aber auch klugen weitsichtigen Leitartikel über das Gymnasium geschrieben. Und schon donnerts via Twitter etc. los. Weg mit dem Gymnasium, lautet der Tenor. Der kluge Ulf Blanke „weint dem Gymnasium keine Träne nach„, eine unbekannte Andrea fragt: Warum das Gymnasium retten – habe es doch in internationalen Studien schlechter abgeschnitten als die Gemeinschaftsschulen anderer Länder.

Ich würde der Kollegin Schmoll nicht darin recht geben, dass sich „in etwa zehn Jahren nur noch die Türschilder der beiden Schularten [Gymnasium und Gemeinschaftsschule] unterscheiden werden“. Dagegen spricht die Entwicklung in den Ländern, wo die Gemeinschaftsschule zu einer ernst zu nehmenden Alternative zum Gymnasium wird. Etwa in Berlin ist das so, weil es sich auf wundersame Weise begibt, dass die meist nachgefragten weiter führenden Schulen (was die Anmeldezahlen betrifft) eben die Gemeinschaftsschulen sind. Und nicht die immer noch beliebten Gymnasien. So ist es der Verteilungssituation zu entnehmen.

Aussterbende Fach(wissenschaftliche)lehrer

Das bedeutet aber nicht, dass die Gymnasien zu kleinen Gesamtschulen werden, im Gegenteil. Die Konkurrenzsituation führt dazu, dass die Gymnasien sich als eigenständige Alternative schärfer profilieren müssen. Wo Heike Schmoll absolut Recht hat, ist das Lehrerproblem: Sie befürchtet, dass bald „es den Gymnasiallehrer mit hohem fachwissenschaftlichen Niveau kaum noch gibt.“

Das ist wahr – und zwar nicht nur wegen der geänderten Ausbildungen, sondern vor allem wegen des Lernprofils mancher Gemeinschaftsschule. Dort soll der Lehrer ja eher als Moderator auftreten, als Lernbegleiter, und das ist eine der schlimmen Stanzen aus der Reformdebatte. In der Realität der ganz wenigen Gemeinschaftsschulen, die bereits halbwegs funktionieren, erleben wir nicht nur ein fröhliches neues Lernen, sondern auch eine Entwertung des Lehrers – und zwar: seiner fachwissenschaftlichen Persönlichkeit, seiner, kurz gesagt, fachlichen Autorität. In einem Lernbüro, wo sich die Kinder selbst den Stoff aneignen, kann ein guter Lehrer seine PS kaum auf den Boden bringen. Das ist ein Problem, genauer es wird erst eines. Denn wir stehen am Anfang einer Entwicklung. Darüber sollte man reden – und es ist gut, dass Heike Schmoll die Debatte eröffnet hat.

3.124 : 100, Advantage Gymnasium

Und da muss man doch mal einen kurzen Moment lang die Statistik zurate ziehen: Wir haben 3.124 Gymnasien in Deutschland, teilweise sind sie weit über 100 Jahre alt. Aber wir haben, ähem, vielleicht 100 Gemeinschaftsschulen und von denen funktionieren vielleicht, äh, fünf? Und die sind meistens erst vier oder fünf Jahre alt.

Deswegen ist die Debatte vollkommen absurd, ob man die Gymnasien abschaffen könnte. Was für ein Quatsch ist das denn? Das ist historisch, pädagogisch und politisch absoluter Nonsens. Die Partei, die sich wagt, die Abschaffung der Gymnasien zu fordern, diese Partei schafft sich sofort selbst ab – jedenfalls als wählbare Partei. Bitte mal nicht vergessen: Das Gymnasium ist die Heimstatt der Bildungsbürger, das sind Menschen, die einst der Politischen Revolution abhold sein wollten und stattdessen lieber ein Privileg für ihre Kinder raushandelten. Der Deal im ausgehenden Absolutismus/Konstitutionalismus lautete – in Deutschland wohlgemerkt – :

Wenn ihr Bürger keine Mucken macht und aufs Parlament verzichtet, dann bekommt ihr eine Schule für Eure Bürgerkinder. NUR FÜR EURE BÜRGERKINDER. Deswegen durfte eben nicht jeder aufs Gymnasium und deswegen wurden Schulen für niedrigere Chargen gegründet.

Klar, das ist auch Geschichte. Aber das Gymnasium ist so etwas wie das Lebenselixier der Bürger – in Deutschland. Und über das Gymnasium wird gerne und heftig gestritten – weil jeder am liebsten dorthin will.

Freilich stimmt es auch, dass das Gymnasium die schlechteste und ungerechteste aller deutschen Schulformen ist. Wie Jürgen Baumert gezeigt hat, bringts das Gymnasium nicht, obwohl es die besten Schüler, die besten Lehrer und das meiste Geld kriegt. Ich selber habe das geschrieben. Aber mit dem Gymnasium ist es ein bisschen wie mit der Demokratie, wenn man Churchill folgen mag. Und natürlich muss das Gymnasium sich reformieren, sich neu erfinden, sich auf den online-Tsunami und mehr Schüler einstellen und und und. Aber abschaffen, come on, spinnt woanders weiter.

Gymnasium oder nicht Gymnasium – das ist NICHT die Frage. Es geht darum, endlich halbwegs gute Leistungen in den Schulen hinzukriegen, es gerechter zu machen an den Schulen und sich auf #lrn21 vorzubereiten: das Lernen im 21. Jahrhundert.