… als staatliche Unterschichtsfabriken? Oder verschärfen sie die Ungleichheit des Schulsystems noch?
Diskussion des Bundesverbandes der Freien und Alternativschulen: „Bitte gründlich mischen! – Freie Schule auf der Suche nach gesellschaftlicher Diversität.“
24. April, 10:00 Uhr, Werkstatt der Kulturen, Podium 16:45 Uhr
Mit Hans-Jürgen Kuhn (Sprecher der Bundes-AG Bildung der Grünen), Klaus Amann (Freie Alternativschulen), Regine Kittler (Die Linke), Klaus-Peter Freitag vom Bund der Waldorfschulen, Norbert Theobald (Arbeitsgemeinschaft Bildung, SPD)
Moderation: Christian Füller
Es ist die Frage aller Fragen, und der junge Journalist Marco Maurer hat sie gerade mit dem spektakulären Buch „Du bleibst, was du bist“ wieder aufgeworfen: „Wie ungerecht ist das deutsche Schulsystem?“ Ungerecht meint, dass Kinder aus Elternhäusern mit großem kulturellen Kapital Vorteile haben. Und Schule die Nachteile der Kinder aus (kultur)prekären Familien nicht etwa ausgleicht, sondern sogar verstärkt: durch Auslese, Ausgrenzung und Aussonderung.
Heinz Bude, der um 11 Uhr morgen den Eröffnungsvortrag hält, sieht die Flucht der Eltern mit ihren Kindern auf Privatschulen als Ausdruck von Bildungspanik.
Bildungspanik ist Statuspanik. Es geht um den Verlust des Vertrauens darin, dass die Kinder den Sozialstatus der Eltern halten können. Die Avantgardisten der Bildungspanik kommen aus der „kreativen Klasse“, weil dort die Unsicherheit über Bildungserbe der Eltern sehr stark ist. Deshalb konzentriert sich das Angebot von Privatschulen in bestimmten Bezirken in den vibrierenden Großstädten.
Eine neue Umfrage zeigt, dass ein Viertel der Eltern ihre Kinder lieber auf eine private Schule schicken würden. Allerdings ist der Drang auf die Privatschule zurück gegangen, schreibt der Tagesspiegel .
Eine der umstrittensten Aspekte der Frage ist nun: Leisten freie Schulen mit ihren variierenden kreativen Lernformen ein Beitrag zu Diversität? Oder saugen sie die Kinder der Schönen und Reichen aus den Regelschulen ab – und machen damit das ganze Schulsystem noch ungerechter? Der Berliner Bezirk Kreuzberg findet ja, und stellt deswegen Privatschulen Hindernisse in den Weg. Privatschulen dürfen z.B. nicht in öffentliche Schulgebäude einziehen – selbst dann nicht, wenn sie leer sind.
„Wir schließen als Bezirk eine Schule – und eine private Schule geht rein. Wenn dieser Automatismus so weitergeht, dann haben wir bald die Hälfte der Schulen in privater Hand.“ SPD-Fraktionschef Kreuzberg
Die Anti-Privatschul-Politik Kreuzbergs ist sicher nicht verfassungskonform – denn die Gründung von Privatschulen ist nach den Naziexzessen gegen private Schulen im Grundgesetz ausdrücklich als Grundrecht kodiert worden. Die rot-rot-grüne Mehrheit in Berlin-Kreuzberg ficht das nicht an – sie beschloss ein Quasi-Privatschulverbot für den Bezirk, der nun wirklich jede Bildungsinitiative nötig hätte, egal ob privat oder staatlich.
Auf dem Podium des Bundesverbandes Freie Alternativschulen sitzen übrigens: Rote, rote und grüne Bildungssprecher.
In Brandenburg ist ein anderer Aspekt paradoxer Privatschulpolitik zu bestaunen. Das Bundesland rund um Berlin ist ja extrem heterogen: Hier boomende Parzellen wie Falkensee, Potsdam oder Stahnsdorf und Kleinmachnow, dort sich entleerende Regionen, wo der Staat reihenweise Schulen schließt, weil die Schülerzahlen zu klein sind für staatliche Klassenteiler. Und so ist auch die Politik: Wenn Privatschulen auf dem platten Land Brandenburg helfen, dass es genug Schulplätze gibt, um die Schulpflicht erfüllbar zu machen, dann sind die Freien Schulen willkommen. Wehe aber, wenn sie – für teuer Geld – in Stahnsdorf und Potsdam die klugen reichen Kinder aus den Gesamtschulen abziehen, dann legt man ihnen die Ketten an. Potsdam behindert also die Freien Schulen, eine vielfältige Schullandschaft mitzugestalten, es gefährdet die Existenz von Freien Schulen, vor allem den Kleinen.
Ist gesellschaftliche Diversität also bildungspolitisches Ziel für Freie Schulen? Sorgen sie dafür, dass ihre Schülerschaft in jeder Hinsicht heterogen ist? Machen Sie das Schulsystem bunter und gerechter? Darüber wollen wir beim Fachtag des Bundesverbandes der Freien und Alternativschulen in diskutieren.
Regina Kittler von der Linksfraktion sagt:
Unter den Freien Schulen gibt es reform- und zukunftsorientierte Schulen, die einen erfrischenden Beitrag für die Veränderung unserer Schulen in Lehre und Erziehung leisten können.
Ein Ziel von Bildungspolitik muss es sein, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, das leisten Freie Schulen schon allein durch die Auswahl nur bedingt.
Eine Freie Schule ist bisher keine „Schule für alle“, das ist ein Problem und das hat nichts damit zu tun, dass viele Kinder eine andere Schule brauchen, als es viele Regelschulen sind.
Norbert Theobald von der Arbeitsgemeinschaft Bildung der SPD
Solange „Lernfabriken“ Schule zu einem Ort des Bulimielernens machen, haben private Schulen mit einem reformpädagogischen Ansatz ein sicheres Existenzrecht. Schule muss sich immer pädagogisch weiterentwickeln, dazu haben insbesondere freie Schulen einen deutlicheren Ansatz gezeigt.
Wir brauchen ein Bildungssystem, das das Lernen aller fördert und den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppelt, statt nur wenige besser zu bilden. Wenn „eine Schule für Alle“ umgesetzt ist, brauchen wir keine Privatschulen mehr.
Der Privatcharakter einer Schule entsteht dadurch, dass die sogenannten Ersatzschulen weniger Geld bekommen als die staatlichen Schulen und die Eltern die Schule mitfinanzieren müssen. Nur Wohlhabende leisten sich also eine Privatschule. Das ist ungerecht und unproduktiv. Durch eine gleichberechtigte öffentliche Finanzierung würde deutlich, dass die Privatschulen genauso „öffentliche Schulen“ ohne Schulgeld sind, wie die staatlichen und zu einem vielfältigen Schulangebot beitragen.
Hans-Jürgen Kuhn, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung von B90/Die Grünen
„Beseitigung gesellschaftlicher Ungleichheit durch Bildung zu erwarten ist ein unseriöses Versprechen. Schule ist ein System der Erzeugung von Differenz und nicht von Gleichheit, das gilt auch für Schulen in freier Trägerschaft.“
„Die Ermöglichung eines Bildungsminimums für alle zu garantieren ist die Aufgabe der staatlichen Pflichtschule, dies steht im Zentrum grüner Bildungspolitik. Schulen in freier Trägerschaft machen das Schulsystem bunter und vielfältiger, aber nicht gerechter. Im Spannungsbogen von Inklusion und Ausgrenzung sind Schulen in freier Trägerschaft weder besser noch schlechter aufgestellt als staatliche Schulen.“
„Die Forderung nach einer auskömmlichen Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft hat Verfassungsrang, allerdings gibt es einen großen Gestaltungsspielraum wie das umzusetzen ist. Finanzielle Gleichstellung ist weder verfassungskonform noch der Weg zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem.“
Klaus-Peter Freitag vom Bund der Waldorfschulen sagt:
1. Gesellschaft, und nicht nur Schule, muss eine Kultur der Selbstwirksamkeitserfahrung, Akzeptanz und Verantwortungsübernahme für alle entwickeln.
2. Zukünftig sollte es keine Schulformen (auch keine Waldorfschulen), mehr geben. Keine Schule braucht der anderen gleichen. Jede Schule entwickelt ihr ganz individuelles Konzept und Profil aufgrund der Menschen vor Ort (Kinder, Jugendliche, Eltern, mitwirkende Erwachsene, aber auch gesellschaftliches Umfeld und räumliche Gegebenheiten).
3. Die Grundfinanzierung aller Bildungseinrichtungen muss systemisch auf die Lebensgemeinschaft von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung ausgerichtet sein und die darauf bezogenen pädagogischen Leistungen zugrunde legen. Fachlichkeit und Größe des erforderlichen multiprofessionellen Fachteams sind zu berücksichtigen.
Klaus Amann vom BFAS meint:
Die Unterschiedlichkeit von Personen und ihren Bildungschancen ist eine soziale Tatsache. Gerechtigkeit ist ein elementarer demokratischer Wert in Freien Alternativschulen. Er kann nur in der konkreten Auseinandersetzung mit den Ursachen und der Praxis sozialer Exklusion dauerhafte Bedeutung gewinnen.