In der Debatte um Philippe Wampflers umstrittenen Watson-Interview (u.a. Kinder lesen keine Bücher mehr) kam der Vorschlag, beim nächsten #EdchatDE die aufgeworfenen Fragen zu diskutieren:

  • ob das Internet und seine (a)sozialen Medien für die Kommunikations- und Pubertätsverhältnisse von Jugendlichen eine Revolution sind
  • ob der Erzieher/Lehrer Kindern und Jugendlichen aktiv Orientierung für das Netz (und den Schutz dort) geben soll – oder ob er quasi die Ausflüge der Jugendlichen im Netz als gleichberechtigter Partner begleitet

Zu allen drei Aspekten #edchatDE #Revolution und #Orientierung kurze Anmerkungen.

aktuell: inzwischen haben @tinowa und @francorau ihren #edchatde geöffnet und auf einem etherpad sogar ihre fragen vorab zur ergänzung/kommentierung gestellt. Chapeau, das ist toll! @tinowa hat zusätzlich auf einem medienblog das erkenntnisinteresse ihres chats veröffentlicht. Bemerkenswert ist das Forschungsprojekt von Franco Rau (.http://www.medienbildung.tu-darmstadt.de/projekte_medienbildung_1/facebookfreundschaften_zwischen_lehrerinnen_und_schuelerinnen/facebookfreundschaften.de.jsp..), das ich, Sorry, nicht verstanden habe.

Revolution

1. Revolution: Quasi alle Disziplinen sprechen von einer Revolution, wenn sie zu beschreiben versuchen, wie tief die sozialen Medien des Internetzes das jeweilige gesellschaftliche System verändern. In der Industrie ist von der vierten industriellen Revolution die Rede (Industrie4.0), nach Dampfmaschine, Fordismus und Automatisierung. In der Politik gelten das Netz und seine Medien als Auslöser oder mindestens assistierender Begleiter von Revolutionen etwa des arabischen Frühlings. Und irgendwie ist auch klar, dass sich die Lebensverhältnisse durch die neuen kommunikativen Bedingungen sehr sehr grundlegend verändern werden, sprich: intelligente Zahnbürsten, Kühlschränke, das „wearable Internet“ wie Brillen, Uhren, Armbänder etc. Man denke nur an die großartige FAZ-Serie seit März mit Schirrmacher, Gumbrecht etc., die versuchte, die fundamentalen Wandlungen, die das Netz mit sich bringt, zu verstehen.

Gumbrecht schrieb in der FAZ am 11.3.,

„die elektronischen Technologien … transformieren nicht allein die Institutionen unserer Kommunikation in grundlegender und nicht vorhersehbarer Weise, sie bewirken über den Wandel der Kommunikationsformen nicht allein vielfache Veränderungen in den Strukturen von Gesellschaft und Politik: Deutlich wird nun auch und vor allem, dass sie sich unseren traditionellen Begriffen und Denkstrukturen sperren – was bedeutet, dass ihre Entwicklung und ihr Einfluss fürs Erste aus der Reichweite intellektueller und wissenschaftlicher Analyse gedriftet sind.“

Man muss aber kein Zukunftsforscher mit großem Fußnotenapparat sein, um festzustellen: Mit der explosiven Verbreitung des Hosentascheninternets haben sich unsere Lebensverhältnisse revolutionär verändert – genauer, sie sind seit vier oder fünf Jahren mitten in diesem Prozeß, eher: Erdbeben. Keiner weiß so genau, wo’s hingeht, aber viele Eltern erleben es, wenn sie den kompletten (Selbst-)Steuerungsverkust ihrer Kids vor den Geräten bemerken. Man kann Ulrich Klotz`Wendung aus einer alten taz-Serie zum Lernen2.0 verwenden, um die Zeitenwende kurz im Still einzufrieren:

Welche Wirkungen es hat, wenn jeder jederzeit mit dem Rest der Welt kommunizieren kann, lässt sich noch nicht erahnen. Jedes neue Medium stellt mehr Möglichkeiten der Kommunikation bereit, als die Gesellschaft zunächst bewältigen kann. Erst nach längerer Zeit bilden sich dann neue Kulturtechniken heraus, um mit den neuen Möglichkeiten sinnvoll umzugehen. (Klotz)*

Stimmt, das ist alles im Grunde nicht wahnsinnig neu. Aber interessant ist, dass ausgerechnet eine Zunft sich beharrlich weigert anzuerkennen, dass das Web2.0 eine revolutionäre Veränderung von Lebensverhältnissen bringt: So genannte Medienpädagogen und Jugendforscher. Sie beharren darauf, keine Revolution zu erkennen – und weigern sich standhaft, entsprechende Schlussfolgerungen für den Diskurs über das Lernen von Kindern und Jugendlichen zu ziehen. Also das  Feld mal zu erkunden und zu prognostizieren. Und auch mal über Kinder- und Jugendschutz zu sprechen, der über die alleinige medienkompetente Ermächtigung von Kindern und Jugendlichen hinausgeht. Sprich: Folgenreiche Moderation von Chats, Games etc. Etablieren einer Internetverkehrspolizei zur Überwachung abgeschotteter Netznischen. Usw. usf. Man wagt sich das gar nicht hinzuschreiben, weil es ein totales Verbot gibt, so etwas auch nur anzutönen. No go. Ich bin schon gespannt, wer jetzt mit rotem Köpfchen Schaum über Twitter verbreiten wird.

Orientierung

2. Orientierung: Im Diskurs über den Umgang mit den Jugendlichen geht es darum, ob ein Erzieher/Lehrer eigentlich die Aufgabe hat, Kinder und Jugendliche im Netz zu orientieren. Dabei vertritt Wampfler die uralte, quasi non-pädagogische Position – ich überspitze –, der Erzieher sei Begleiter und Berater des Schülers, eine Art Gleicher unter Gleichen, der allenfalls einen Rahmen für Orientierung geben darf, aber keine Orientierung. Philippe geht so weit, eine Differenz zwischen folgenden Begriffen entdecken zu wollen: „Ich will ‚Begleitung‘, ‚Werkzeuge‘, ‚Hilfsmittel‘, ihr ‚Ratschläge‘.“

Ich finde es bemerkenswert, dass nach dem Supergau der – vereinfacht gesagt – partnerschaftlichen Pädagogik, der Reformpädagogik, der Pädagogik auf Augenhöhe diese grenzenlose Unterart der Pädagogik schon wieder fröhlich zwitschernd den fundamentalen (Rollen)-Unterschied zwischen Lehrer und Schüler verwischt. Es gibt eine ausgesprochen große Macht- und Wissensdifferenz zwischen LehrerInnen und SchülerInnen – die sollte man nicht klein- oder/und wegreden, sondern professionell definieren, wie Nähe und Distanz zwischen LuL und SuS heute aussehen kann. Nach dem Zusammenbruch des Konzepts „Pädagogik auf Aufgenhöhe“ ist dies nötiger denn je.

Glücklicherweise gibt es Lehrer, die das anders sehen – und auch ausdrücken können. Herr Larbig beschrieb das Thema schon 2009 (!), also noch bevor der online-Tsunami über die Schüler hinwegrauschte, in einem Blogbeitrag. Er mahnte die Lehrer, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Und beschrieb vier Punkte einer (impliziten) Prävention und Sanktion, die bis hierhin reichten: „Konsequentes Handeln bei Bekanntwerden von missbräuchlicher Nutzung digitaler Medien“. Aber der Torsten ist ja ein mutiger, der lässt sich nicht durch Blütenträumchen den Mund oder gar das Denken verbieten.

EdchatDE?

3. EdChat: Mitten in die Debatte im Netz kam die Einladung, das Thema im #edchatDE am kommenden Dienstag zu diskutieren. Auf die Frage, was da denn dran sei, kommt diese Antwort: „Es geht um pädagogische Professionalität in sozialen Netzwerken.“
@ciffi @Tastenspieler @phwampfler @herrlarbig Es geht um päd. Professionalität in soz. Netzwerken http://t.co/rZ3wUNmjTG #edchatde— Tine Nowak (@tinowa) August 17, 2014

Lehrer und Schüler haben als Lehrer und Schüler bei Facebook&Co – wenn überhaupt – nur unter sehr restriktiven Bedingungen „Beziehungen“ aufzubauen.

Die Nähe-Distanz-Frage „Lehrer und Schüler in Facebook“ bei einem EdchatDE diskutieren zu wollen, ist nicht die Lösung des Problems, sondern es ist das Problem selbst.

Es ist Ausdruck der großen Verwirrung, welche die Lehrerschaft nach dem doppelten Kollaps ihres Weltreichs (1. Der Pisaschock 2. Der Untergang der Reformpädagogik)** ergriffen hat: Die Kommunikation bei Facebook ist die unter – angeblich – gleichen, bei denen es sich um Austausch auf der Basis von Likes-Steigerung im Duz-Format handelt, Austausch im plus-140-Zeichen-Rahmen über, freundlich gesagt, disparate Themen. Ich wüsste nicht, welche Vorteile es für die „Beziehung“ zwischen Lehrer und Schüler es haben sollte, via Facebook zu kommunizieren – außer dem, Unterschiede, die es nunmal gibt, zu verliken und zu verduzen und zu zerstreuen.

Man muss sich nur vor Augen führen, für wen das von Vorteil sein könnte.

Auf die Präzisierung, dass das ja zwei vollkommen unterschiedliche Fokusse seien, päd. Professionalität in oder für soziale Netzwerke zu diskutieren, kam eine interessante Antwort: „Im Edchat wird das meiner Einschätzung nach nicht trennscharf diskutiert werden…“

Fehlte nur das smiley.

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* Ulrich Klotz (siehe oben) weiter in der taz: „Mithilfe von ’social Software‘ kann jeder User sein Wissen mit anderen teilen. Mitmachplattformen wie MySpace (250 Millionen Mitglieder) Facebook, YouTube, StudiVZ oder Flickr ziehen mitunter binnen weniger Tage mehr neue Mitglieder an, als viele Parteien oder Gewerkschaften überhaupt haben. Die zuvor nur passiv genutzten Formen des World Wide Web waren lediglich Umformungen altbekannter Massenmedien wie Buch und Rundfunk plus Briefverkehr und Telefon via Computer. Das war immer so. Neue Medien wurden anfänglich stets so genutzt wie ihre Vorgänger, erst allmählich bildeten sich vollkommen neue Formen heraus. Apples iPhone steht symbolisch für die kommende Form der mobilen Internetnutzung. Bald wird ein beträchtlicher Teil der Menschheit nicht mehr extra „ins Internet gehen“, sondern wird jederzeit und überall mit ungezählten anderen sein Wissen teilen können. Früher brauchte man Verlage, Studios, Druckereien, Radiostationen, Fernsehsender, um mit seinen Werken die ganze Welt zu beglücken – heute genügt dafür ein Griff in die Hemdtasche.“

** Die Lehrer der Staatsschulen haben es seit 2001 und Pisa schwarz auf weiß, dass ihr System nicht mehr funktioniert; die Lehrer reformpädagogischer Schulen waren 10 Jahre später dran, als der Hundertfache sexuelle Missbrauch an der Mutter als Reformschulen, der Odenwaldschule, bekannt wurde. Das bedeutete: Ihre Nähe zum Kind, ihre schrankenlose Pädagogik und ihre Behauptung, Schüler seien gleichberechtigte und duzfähige Wesen wurden als gefährliche Naivität entlarvt.