Jonathan, 11, will nicht mehr warten. Er sitzt im Unterricht oft gelangweilt herum. Deswegen wünscht er sich eine hybride Schule. Es gibt viele Kinder, für die das gut wäre. Heute spricht er im Landtag Nordrhein-Westfalens über eine ganz andere Schulpflicht

Pisaversteher: Jonathan, Du hast einen Aufruf gestartet, dass Du nicht mehr in die Schule gehen musst. Willst Du nicht mehr lernen? 

Jonathan Bork: Doch, natürlich. Aber ich will so lernen, dass ich auf niemanden mehr warten muss. Deswegen möchte ich lieber alleine zu Hause zum Beispiel in Mathematik voranschreiten können. In der Schule bekomme ich eine Aufgabe – und bin schon nach kurzer Zeit damit fertig. Während viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler noch rechnen, sitze ich manchmal eine halbe Stunde herum. Ich möchte lieber effizienter lernen und weniger Lehrer-Kapazitäten binden.

Bedeutet das, dass Dich Deine Mitschüler nerven? 

Nein – Ich verstehe mich mit den anderen Kindern und bin gerne mit ihnen zusammen. Nur finde ich, dass man nicht immer alles gemeinsam lernen muss. Bei mir wurde ein IQ von 145 gemessen. Ich könnte also auch versuchen, auf eine Eliteschule für Hochbegabte zu gehen. Aber das möchte ich gerade nicht. Ich will lieber mit meinen Schulkameraden zusammen lernen – und manchmal eben auch alleine. Deswegen bin ich für eine hybride Schule. 

Ich will mit meinen Schulkameraden zusammen lernen – und manchmal eben auch alleine.

Jonathan Bork, 11

Was verstehst Du unter hybrider Schule?

Ein Teil des Unterrichts findet wie bisher in der Schule statt, ein Teil des Lernens zu Hause, also in Distanz. 

Wie bist Du auf diese Idee gekommen? 

Für mich war die Coronazeit eine wichtige Erfahrung. Plötzlich konnte ich Mathematik viel schneller machen – und mich in Sachen vertiefen, die andere nicht interessieren. Auf der anderen Seite war ich dann so früh fertig, dass ich meine Aufgaben in Kunst machen konnte. Da bin ich nicht gerade talentiert. Aber ich konnte mir nun Zeit dafür nehmen. 

Ist es nicht blöd für die anderen Schüler, die weiter in der Schule gehen müssen? 

Finde ich nicht. Die haben ja mehr Zeit. Und die Lehrer können sich besser um sie kümmern. Denn ich verschwende keine Kapazitäten der Lehrer mehr. Das heißt, die Schüler in der Klasse können ungestört Nachfragen stellen, während andere zuhause vertiefen können.

Nach welchen Fächern könnte man eine hybride Schule strukturieren? 

Es gibt Fächer, die nicht für Gruppenarbeit taugen. In Mathe etwa rechnet man stumpf für sich allein. Da denkt man nicht an heititeiti Gruppenarbeit. Mathematik macht man also zuhause viel freier. Aber in Physik zum Beispiel ist man auf das Physiklabor der Schule angewiesen, genau wie in Biologie oder Chemie. In den typischen Gesprächsfächern wie Politik diskutieren wir sehr viel – da ist die Klassengemeinschaft absolut hilfreich. 

Mach einfach mal einen IQ-Test – dann können wir reden.

Jonathan

Du hast schon parallel zur Grundschule bestimmte Fächer am Gymnasium besucht. Wie kam das?

Ich hatte schon in der Grundschule oft das Gefühl, meine die Zeit nur abzusitzen. Da kam mir die Idee, am Gymnasium mitzulernen. Ich habe also meine damalige Klassenlehrerin gefragt, wie man das möglich machen könnte. Sie sagte: ‚Mach einfach mal einen IQ-Test – dann können wir reden.‘ Und weil der ganz gut war, bin ich zu dem Schulleiter des Gymnasiums und habe gefragt, ob ich dort mitmachen kann. Er sagte zum Glück ja. 

Die Schüler werden da wie Puzzleteile reingepackt. So, als würden alle ganz genau in dieses Unterrichtspuzzle passen. Aber dieses System passt für viele Schüler nicht.

Jonathan

Wer könnte von Deinem hybriden Lernen noch profitieren?

Viele. Im Moment gibt es ja nur die eine Möglichkeit, in die Schule zu gehen: den Präsenzunterricht. Die Schüler werden da wie Puzzleteile reingepackt. So, als würden alle ganz genau in dieses Unterrichtspuzzle passen. Aber manche werden reingequetscht und -gebogen. Es werden einfach alle in ein System gepresst. Aber dieses System passt für viele Schüler nicht. Da braucht man gar nicht hochbegabt sein. 

Kinder mit ADHS, Mobbingopfer, Autisten, alle

Konkret, wen meinst Du noch? 

Auf meine Initiative hin haben sich Eltern zum Beispiel von hochbegabten Kindern bei mir gemeldet. Auch Schüler mit ADHS feiern die Idee des hybriden Lernens. Manche Kinder halten nicht den kompletten Schultag durch und wären über eine verkürzte Präsenzzeit mit Lernphasen zuhause sehr dankbar. Gerade für autistische Kinder, da gibt es ja viele unterschiedliche Ausprägungen, ist ein langes Aushalten von sozialem Miteinander in großen Gruppen oft sehr anstrengend. Auch Eltern von Kindern, die von Mobbing betroffen sind, berichten mir, dass kürzere Präsenzzeiten eine Menge Druck von den Kindern nehmen würde. Gleichzeitig könnte man die Präsenzstunden dann dafür nutzen, den Anschluss an die Klassengemeinschaft zu erhalten und das Mobbingproblem zu lösen. Unabhängig von unterschiedlichen Diagnosen haben aber viele Kinder auch Interesse und Talente in manchen Fächern und möchten zuhause gerne tiefer diese eintauchen und im eigenen Tempo lernen.

Was ist mit den Kindern, die Angst haben, sich im Präsenzunterricht anzustecken, den Vulnerablen?

Die würden natürlich auch besser fahren, wenn sie zu Hause lernen könnten. Ich will allen die Möglichkeit geben, auf andere Art als im Klassenraum zu lernen. Das sollte ganz normal sein. In meinen Augen wäre das echte Inklusion. 

Das herrschende Schulsystem aber funktioniert anders: es separiert Kinder dauerhaft.

Jonathan

Moment mal! Inklusion bedeutet, dass alle zusammen lernen. Du aber trennst die Kinder ja – wenigstens phasenweise. 

Ja, aber eben nur zeitweise. Am Ende bleiben alle zusammen. Das ist echte Inklusion. Alle haben das gemeinsame Band, dass sie einer Lerngemeinschaft angehören – auch wenn sie wegen ihrer Eigenarten und auch Talente eben immer wieder getrennt sind. Das herrschende Schulsystem aber funktioniert anders: es separiert Kinder dauerhaft – in viele verschiedene Förderschulen, in Schulen für Hochbegabte und in Regelschulen. Dabei sollte man wirklich inklusiv denken und jeden so sein lassen, wie er oder sie ist und das auch in normalen Schulen…

… in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien. 

Genau. Aber in diesen Schulen wird Integration betrieben. Das heißt, die Kinder sind zwar formell in einer Klassengemeinschaft. In Wahrheit aber müssen sie ihre Eigenart zurück stellen oder sich zwanghaft verbiegen, weil man sie in ein Puzzle presst, bei dem jedes Teil zu passen hat. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Integration und Inklusion. Denkt man das zu Ende, merkt man, dass Inklusion im Schulsystem noch lange nicht angekommen ist. Verbiegen oder passend machen und ehrliche Teilhabe sind eben zwei verschiedene paar Schuhe.

Hast Du über Dein Konzept der Inklusion schon mit der Schulministerin von NRW geredet?

Noch nicht. Ich treffe Ende April den Vorsitzenden des Bildungsausschusses des Landtages. Am liebsten würde ich bei dem Thema die Grünen und die CDU zusammen führen. Aber ich bin auch mit anderen Parteien verabredet. Letztlich ist mir egal, welche Fraktion einen Antrag auf hybrides Lernen stellt. 

Ein Drittel der Stunden müssen in Präsenz geleistet werden.

Jonathan

Wenn Du der Berater der Schulministerin wärst, was würdest Du Frau Feller vorschlagen?

Erstens, dass man Fächer, die man gut kann, von zu Hause aus macht. Zweitens, dass man auf jeden Fall auch in Präsenz in der Schule sein muss. Viele Schüler brauchen die Anleitung durch den Lehrer. Ich kann mir vorstellen, dass man eine Quote einführt: ein Drittel der Stunden müssen in Präsenz geleistet werden. Drittens hat es für die Kinder, die krank sind, den Vorteil, dass sie jederzeit die Unterrichtsmaterialien vorfinden – denn die werden ja online für die zu Hause bereitgestellt.

So wie in der Online-Schule in Mecklenburg-Vorpommern, die gerade gegründet wird?

Davon habe ich gehört. Das ist schon mal ein guter Ansatz.

Könnte hybrides Lernen auch so aussehen, dass sich Schüler von zu Hause per Stream ins Klassenzimmer dazu schalten?

Das ist für mich keine hybride Schule. Es ist doch egal, ob ich in der Schule meine Zeit absitze oder sie vor der Kamera vergeude. Deswegen ist dieses Videozeug in meinen Augen keine gute und ausschließliche Lösung. 

So denken auch viele Lehrkräfte. Dennoch: ist nicht eine digitale Verbindung zwischen Lernenden und Lernbegleitern ein idealer Kanal zwischen Präsenz- und Distanzlernen? 

Aktuell scheitert es schon an der Digitalisierung in Schulen. Bis das WLAN überall stabil läuft, bin ich wahrscheinlich in Rente. Sollte es wider erwarten schneller gehen, würden die Streams helfen, wenn Kinder kurzzeitig wegen Krankheit, Unwettern oder so nicht zur Schule können, aber enge Unterstützung von Lehrkräften brauchen. Bei länger andauernden Krankheiten oder aktuell für Risikogruppen käme eher eine Onlineschule in Betracht. Besser wäre es aber, wenn jede Schule in Deutschland auch Onlineschule wäre, dann hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe für alle Kinder, die nicht selbständig zuhause recherchieren und lernen möchten oder können. Für alle anderen würden die Schule ohnehin Material online stellen, um es selbständig bearbeiten zu können.

Zurück zu Dir: Warum fragst Du nicht einfach den Schulleiter Deines Gymnasiums, ob er Dir für bestimmte Fächer frei gibt?

Der Schulleiter kann das nicht allein entscheiden. Mir geht es auch nicht um eine Lösung nur für mich. Ich finde, so etwas muss allgemein in Nordrhein-Westfalen gelten. Am besten wäre es, wenn es in ganz Deutschland möglich wäre. 

Hast Du daran gedacht, dass es Gruppen gibt, die ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen – um sie mit einer fundamentalistischen Spezialerziehung zu indoktrinieren?

Ich sage ja, dass ein Teil des Unterrichts auf jeden Fall in Präsenz stattfindet. Das heißt, ich will weder mich noch andere Lernende dem Staat komplett entziehen. Mir geht es nur darum, das Zwanghafte der Präsenzschule zu lockern und Individualität zu fördern, damit alle den Spaß am Lernen behalten.