Inhalteanbieter präsentieren sich auf der Didacta – und reden nicht über das große Tier, das auf ihren Geschäftsmodellen herumtrampelt: Wem schadet, wem hilft die KI?

Auf der Didacta stehen sie zusammen und parlieren über alles mögliche. Nur das Thema Künstliche Intelligenz in Form der Sprachmodelle umkurven die Inhalteanbieter weiträumig. Der weiße Elefant steht überall in den Hallen 6,7 und 8 der Kölner Messe herum. Aber die Textproduzenten meiden tunlichst den gemeinsamen Diskurs darüber. Denn die Produktion von – wenn man so will – Lernstoff gehört zu den Bereichen, bei denen ChatGPT & Co den größten Schockeffekt auslösen wird, genauer: ausgelöst hat. Der Elefant namens KI trampelt fröhlich auf allen Geschäftsmodellen herum.

Das ist das Besondere. Alle Contentanbieter sind betroffen, egal ob junges Start-up wie „to teach“, 70 Jahre Erfahrung in der Schulbuchproduktion wie „Cornelsen“ oder die mittelalten Hasen „Tutory“ und „Eduki“, die gewissermaßen die Eigenproduktion von Lehrkräften erleichtern bzw. vertreiben.

  • to teach“: Felix Weiß, der Startup Award-Gewinner der letzten Didacta, ist durch die KI überhaupt erst auf den Bildungsmarkt gekommen. Er und sein Mitgründer Marius Lindenmeier helfen Lehrkräften mit verschiedenen generativen Sprachmodellen, sich den Stoff und die Aufgaben für die Schulstunde selbst herzustellen.
  • Tutory“: Thomas Haubner macht etwas ganz ähnliches – nur dass er LehrerInnen die große Freiheit lässt, auf den Templates, die er anbietet, sich selbst Arbeitsblätter zu gestalten. Und Inhalte zu beschaffen. Woher auch immer. Nur bedroht KI die große Freiheit, weil sie irre viel Zeit spart.
  • Eduki“: Max Maendler hält Lehrkräften den Rücken frei. Genauer nehmen Lehrerinnen anderen Lehrern die Arbeit ab, in dem sie den Content erstellen – und dann teilen, sprich: für kleines Geld an andere Lehrkräfte verkaufen. In den USA sind bei „Teachers for Teachers“ damit nicht wenige Pauker Millionäre geworden. Aber was wird aus der Idee, wenn das Sprachmodell es jedem Lehrer möglich macht, sein Quiz, Arbeitsblatt, Lückentext usw usf selbst zu prompten? (Drei Fragen an Max)
  • Cornelsen“: Das ist einer der sehr ehrwürdigen und vor allem sehr großen Schulbuchverlage. Der Content, den Lehrkräfte für sie in Schulbücher geschrieben haben, ist ihr Goldschatz. Bibliotheken voller Lerninhalte, didaktisch exzellent aufbereitet, den Lehrplänen der Länder angepasst – aber halt zwischen Buchdeckel gepresst. Und: vergänglich. Wann zerquetscht der Elefant den Goldschatz zu Blech?

Das interessante an der digitalen/pädagogischen Transformation ist, dass man nicht genau weiß, wen es aus der Kurve trägt oder wer vielleicht einen neuen Weg findet. Oder einen neuen Partner. Auf der Didacta bekommt man jedenfalls Eindrücke, wie kompliziert die Lage ist.

Am Stand von Felix Weiß recken sich den Messebesuchern zwei Tablets entgegen. Sie laden die LehrerInnen ein, mal auszuprobieren und zuzusehen, wie die KI binnen wenigen Sekunden auf ihre Prompts hin zB einen Lückentext erstellt. Manche tun das auch. Aber nicht wenige greifen nach den Flyern und packen (stopfen) sie in ihre Groß-Plaste-Tüte. „Wollen Sie nicht mal testen?“ „Nein, nein, der Zettel reicht mir!“. Die Frage lautet: Sind das jetzt die Normalolehrer? Also jene, die vorgefertigtes Lernmaterial konsumieren wollen?

Dafür spricht die Raffzahn-Attitüde. Ein Rollkoffer und eine Ikea-große Tüte wollen befüllt werden.

Dagegen spricht, dass Frau x und ihre Kollegin y die einzigen aus ihrem Kollegium sind, die den Weg zur größten Bildungsmesse Europas (der Welt) auf sich genommen haben.

Okay, spricht das jetzt gegen die Produzenten-Helfer Felix Weiß und Thomas Haubner? Und damit für die Konsum-Ermöglicher Eduki und Cornelsen, bei denen man sich fertige Unterrichtsentwürfe kaufen kann?

Material von Eduki, also von Lehrern, die auf Eduki ihre Entwürfe anbieten

Max Maendler spricht mit Felix Weiß, der eine hat den anderen fast über den Haufen gerannt. Eine Zufallsbegegnung. Sie schätzen sich (glaubt man erkennen zu können). Beides sind Brainis, die Geschäftsmodelle, Vertriebswege und didaktische Szenarien schneller ausspucken als eine Sprach-KI.

Maendler streut en passant ein, dass es „gestern bei uns 250.000 Downloads gab – in Form von PDF“. Und nun? Wollte Maendler sagen, „bei uns geht das Lehrermaterial weg wie warme Semmeln“? Oder wollte er sich implizit über Lehrer mokkieren, die immer noch auf PDF stehen, also auf ausdruckbaren Stoff?

Weiß lächelt. Von solchem Traffic kann er nur träumen. Seine ersten Kunden kamen nicht aus Deutschland. Sondern aus Singapur und den USA. Er sagt es natürlich nicht, aber der Satz schwebt im Raum wie ein fliegender Elefant: deutsche Lehrer stehen nicht so auf DIY, die sind eher so, wie Andreas Schleicher sie beschreibt: Weisungsabwartende, Dienst-nach-Vorschriftler, Tüten-Träger. Natürlich nicht alle. Klar. Aber die Studien sehen nicht gut aus. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Oberrat. Das ist der Spirit.

Felix Weiß setzt mit „to teach“ auf die anderen. Und ist derzeit ein viel gefragter Mann. Weil alle versuchen, das zu tun, was er schon immer macht: KI integrieren. Mit KI Lehrpläne erst schreddern und dann durchforsten. Verschiedene KIs einsetzen. Weiß ist Lehrer und Start-up-Gründer, er ist die Hirn gewordene Fusion von Pädagogik und Zukunft.

Und am Stand von Cornelsen ein rotes Tuch. Dort hat man Presse geladen. Und die Größte anzunehmende Unterstützerin für die Qualität des von Studienräten verfassten, staatlich geprüften (und bezahlten) Schulbuchs, die man sich denken kann: Frau Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbandes. Nun gucken alle auf den Bildschirm, auf dem ein gefühltes Dutzend von KI-Experten erklärt, wie die ChatGPT-getunte Toolbox von Cornelsen Lehrkräften helfen wird.

Das Futur ist hier wichtig.

Denn zu haben sind die Lighthouses, die Korrektur-Assistenten, Unterrichtsplaner und Material-Designer von Cornelsen noch nicht. Alles noch „closed beta“. Sprich, ein Zirkel von Lehrkräften testet und prüft und macht und tut. Publikum nicht zugelassen. Vor drei Monaten haben sie damit angefangen, also ein Jahr, nachdem ChatGPT die Welt verändert hat – und der Elefant KI begann, durch den Porzellanladen Schulbuchmarkt zu toben.

Vielleicht wäre es am einfachsten, den Elefantenbändiger Felix einzukaufen.

Wenn er sich kaufen lässt.