Der Münchner Bildungsaktivist Stefan Hemler über die Zustände in der Initiative „Bildungswende jetzt“, wo Neuköllns starker Mann so genannte Super-Administratoren bezahlt, die Telegram-Chats kontrollieren.

Pisaversteher: Herr Hemler, Sie sind während der Pandemie als Sprecher von „Protect the Kids“ nicht zimperlich mit den Kultusministern umgesprungen. Nun richtet sich Ihre Kritik nach innen gegen Demokratiedefizite in der bundesweiten Initiative „Bildungswende jetzt“. Warum?

Stefan Hemler: Wer 100 Milliarden Euro Bildungs-Sondervermögen – zurecht! – einfordert, muss als Kampagne Auskunft geben können, woher die 100.000 Euro in der eigenen Kasse stammen. Wenn man, wie „Bildungswende jetzt“ es getan hat, Bürger:innen und Aktivist:innnen um Spenden bittet, ist Transparenz das A und O für die Glaubwürdigkeit.

Aber Sie wissen doch, woher die 100.000 Euro kommen.

Eine engagierte Mitstreiterin der Bildungswende musste sich diese Zahlen im Netz zusammen recherchieren. Sie hat herausgefunden, dass drei Stiftungen etwas über 100.000 Euro bis zum Jahr 2025 spenden bzw. gespendet haben. Sprecher Philipp Dehne, der sowohl in der Berliner als auch in der bundesweiten Bildungswende so etwas wie der Leitwolf sein möchte, hat darüber nie proaktiv informiert.

Muss er das denn? Warum müssen Bildungsaktivisten aus 16 Ländern wissen, was in die Kassen eines Berliner Vereins fließt?

Weil es eben nur die eine Kasse für die ganze Bewegung gibt – und das ist die des Vereins „Schule in Not e.V.“, den Philipp Dehne vor Jahren mitgegründet hat. Aus dieser Kasse fließt offenbar ständig Geld in die bundesweite „Bildungswende jetzt“.

Philipp Dehne hat nie über Großspenden wie die 30.000 Euro der Postcode-Stiftung oder die 70.000 der Bewegungsstiftung berichtet. Und er setzt das Geld fragwürdig ein.

Stefan Hemler

Ist das so schlecht? Die Berliner Vereinsgelder werden immerhin auch dafür genutzt, wie es in den Aufrufen zum Crowdfunding heißt, „um die bundesweite Bündnisarbeit voranzutreiben“.

Prinzipiell ist das in Ordnung – wenn es transparent ist, wo das Geld herkommt und was damit gemacht wird. Aber Philipp Dehne hat, erstens, innerhalb der Bildungswende nie über Großspenden wie die 30.000 Euro der Postcode-Stiftung oder die 70.000 der Bewegungsstiftung berichtet. Und, zweitens, setzt er das Geld in meinen Augen fragwürdig ein.

Stefan Hemler

Was meinen Sie damit?

Aus der Berliner Schatulle werden zum Beispiel so genannte Super-Administratoren bezahlt, die die Diskussionen in den Telegram-Chats kontrollieren. Gibt es tatsächliche oder gefühlte Verstöße, wird das an Philipp Dehne gemeldet – der dann wiederholt Bildungbewegte aus den Chats hinauskomplimentiert hat. Wenn man so will, beeinflusst Dehne mit seinem Neuköllner Reptilienfonds wie ein Fürst Bismarck die Meinungsbildung innerhalb der Bildungswende.

Übertreiben Sie nicht?

Nein, finde ich nicht. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob Delegierte oder Sprecher der Koordinierungsgruppe weiter aus der Neuköllner Kasse für Minijobs bezahlt werden. Oder wer Fahrtkosten ersetzt bekommt. So zeigte es jedenfalls die Abrechnung für den Bildungsprotesttag. Interessen-Verquickungen und Intransparenz sollte man gar nicht erst entstehen lassen. Kurz gesagt: Es gibt keine Bildungswende ohne Transparenz.

Herr Hemler, sind vielleicht Sie zu hartnäckig, nerven Sie die Bildungsrevoluzzer bisweilen?

Das kann schon mal passieren, nobody is perfect.

Dafür und für Ihre Kritik zahlen Sie jetzt womöglich einen hohen Preis. Sie sollen heute nachmittag (Montag, 5. Februar) aus „Bildungswende jetzt“ ausgeschlossen werden.

Warten wir mal ab, was auf dieser Sonder-Delegiertenkonferenz passiert. Ich glaube nicht, dass sich die Delegierten so einfach von der Gruppe um Philipp Dehne manipulieren lassen.

Es werden mir „schwerwiegende Verstößen gegen die Chatiquette“ vorgeworfen. Was das genau sein soll, wird mir in der Verhandlung mitgeteilt.

Stefan Hemler

Was wird Ihnen vorgeworfen?

Ich weiß es nicht.

Man hat Ihnen Ihre vermeintlichen Vergehen nicht mitgeteilt?

Nein, nicht konkret. Es werden mir „schwerwiegende Verstößen gegen die Chatiquette“ vorgeworfen. Was das genau sein soll, wird mir morgen, also am Montag, um 17 Uhr mitgeteilt. Ich darf mich dann vier Minuten lang dazu äußern.

Mir wurde im Hintergrund geflüstert, Sie hätten mehrfach wahrheitswidrige Behauptungen aufgestellt. Was könnte das sein? Oder haben Sie etwa rumgepöbelt? Haben Sie sexistische Bemerkungen gemacht? Sind Sie Philipp Dehne persönlich angegangen?

Nichts von alledem. Ich bin hartnäckig und rede Klartext, aber bemühe mich immer um Sachlichkeit. Substantielle Vorwürfe kenne ich nicht. Ich gehe davon aus, dass meine Fragen nach Herkunft und Verwendung der 100.000 Euro der Grund sind. Wenn eine Protestbewegung Aktivisten loswerden will, die Transparenz fordern und Interessenkonflikte thematisieren, dann kann sie schwerlich erfolgreich sein.

Sie selbst sind nicht nur Lehrer, sondern haben sich als Forscher intensiv mit der Achtundsechzigerbewegung in München befasst. Sie wussten also genau, worauf Sie sich einlassen.

Historische Bewegungsanalyse und aktivistische Praxis sind halt doch zwei Paar Schuhe – worauf wollen Sie hinaus?

Vereine und Parteien haben gewählte Spitzenleute und einen Haufen Regularien. Soziale Bewegungen haben so genannte charismatische Führungspersönlichkeiten, die Einfluss nicht qua Satzung, sondern mit ganz anderen informellen Machtmitteln erreichen.

Die Bildungswende ist ja nicht als klassische Protestbewegung im Zuge einer Dynamik von Ereignissen entstanden, sondern als ein Bündnis von Gruppen und Organisationen, die das Bildungssystem verändern wollen. Kern und Treiber dieses Bündnisses ist die Berliner Gruppe „Schule Muss Anders“ – mit einem starken Mann an der Spitze. Er hat im letzten Sommer dann mithilfe einiger Unterstützergruppen versucht, die Bildungswende zu einer bundesweiten Bildungsprotestbewegung auszuweiten. Dabei sind relativ schnell Strukturentscheidungen gefällt worden, die zum Beispiel zu einer umfangreichen Chatiquette führten. Ehrlich gesagt: für eine Bewegung sind das doch relativ viele Regeln. Und gerade da muss der Anspruch gelten, Grundregeln der inneren Demokratie und Transparenz einzuhalten. Freilich steht das im Widerstreit mit dem Führungsanspruch einer kleinen Gruppe, die sich das offenbar von Beginn an anders vorgestellt hat.

Könnte man sagen, dass die Bildungswende an einem Wendepunkt ist?

So scheint es mir. Die verbliebenen Aktivist:innen müssen sich entscheiden, ob sie sich jetzt in einer Art Wagenburg-Mentalität weiter abkapseln. Das würde im Laufe der nächsten Monate wohl zum Zerfall des Bündnisses führen. Oder die Bildungswende kriegt in diesem Konflikt doch noch die Wende hin und öffnet sich wieder für konstruktive Kritik. Eigentlich sollte das ja selbstverständlich sein, wenn man sich öffentlich für bessere Bildung einsetzt. Aber die innere Bewegungsdynamik geht in den letzten Monaten genau in die entgegengesetzte Richtung.