In Hamburg ist passiert, was die Schulminister vor zwei Monaten hätten verhindern können (müssen): Abiturienten haben ChatGPT zu dem benutzt, was in Schule (noch) Betrug heißt
So läuft das mit Schulministern. Vor einigen Wochen haben die für Schulen Verantwortlichen eine denkwürdige Sitzung veranstaltet: ein Oxymoron in Gestalt einer Konferenz – es ging um Klausuren und KI.
1) beschlossen die Kultusminister neue Regeln für die Abiturphase. Nach rund zwei Jahren Geheimverhandlungen legte man fest, dass bis zu 70 Klausuren in der Oberstufe stattfinden können. Das war an sich schon verrückt – aber angesichts dessen, dass mit ChatGPT und anderen generativen Sprachmodellen (kurz KI) Tools auf dem Markt sind, die Klausuren obsolet machen, fragt man sich: wer schreibt solche Konferenzpläne? Ionesco?
2) Denn in der gleichen Sitzung ließen sich die Minister von der „KI & Lernen“-Spezialistin Doris Weßels berichten, was KI alles kann. Die Minister, so hört man, sollen geflasht gewesen sein. So sehr, dass sie gar nicht merkten: unser Beschluss zur Oberstufe mit den vielen Klausuren und den vielen Vorschriften, wie man Wissen bei Schülern abprüfen kann, dieser Beschluss ist: hinfällig.
Zwei Monate später fand Hamburg nun genau das statt, was zu erwarten war. Schüler schrieben ihr Abitur mit KI. Das ist zwar aus der Sicht der Schüler vollkommen vernünftig – aber nach den offiziellen Spielregeln ist es Betrug.
Man sieht also, die beiden passen nicht zusammen. Entweder die KI geht – oder die Klausuren gehen.
Dass die KI wieder verschwindet, ist kaum vorstellbar.
Aber was sagt der wichtigste Kultusminister der SPD dazu, Ties Rabe, Schulsenator in Hamburg: Cool bleiben, wir, die KMK, haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Na dann! Die AG zu den Klausuren hat ja auch nur zwei Jahre gearbeitet.
Die Coolness von Rabe war natürlich gespielt. In Wahrheit sind die Kultusminister total verzweifelt. Sie wissen, ihr Geschäftsmodell ist vorbei. Ihre Art Schulen zu organisieren, funktioniert nicht mehr. Und ich glaube, sie wissen das. Aber sie wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Sie sind mit ihrem Latein am Ende. Eigentlich müssten sie bei ChatGPT spicken.
Was man an diesem Beispiel sieht, ist zweierlei:
A) KI entwickelt sich rasend schnell
B) KI ist zu schnell für Politik
Zu A) In der Schule und beim Lernen unter den Bedingungen von KI bleibt kein Stein auf dem anderen. Das ist so, und wer vernünftig ist, gibt den Lehrern und Schülern jetzt sofort alles das an die Hand, was sie brauchen: einen kostenfreien und datenschutzrechtlich einwandfreien Zugang zur KI; den Lehrerinnen und Lehrern interne und externe Fortbildungen, wie sie die Tools einsetzen und wie sich dabei Lernen verändert – und vor allem das Prüfen! Und man überlegt sich sofort, wie man Schule möglichst schnell als System auf diese neue Anwendung vorbereiten kann. Das bedeutet: wie man Schule grundsätzlich umbauen kann.
Zu B) Und hier sind wir bei einem Problem, für das die KMK, also eine nach bürokratischen Regeln ablaufende ständige Abstimmung von Schuladministrationen, gar nichts kann: die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz in Form von generativen Sprachmodellen verläuft derart blitzartig und zugleich disruptiv, dass ein vernünftiger, demokratischer, deliberativer Prozess damit auf keinen Fall Schritt halten kann. (Die Ironie daran ist, dass die KMK ja überhaupt keine demokratisch gewählte Versammlung ist und mit Demokratie gar nicht so richtig, was zu tun hat – sonst könnte sie ja neue Abitur Regeln nicht beschließen, ohne dass irgendein Externer davon was mitbekommen würde. Die KMK könnte also insofern schneller und – in Anführungsstrichen – diktatorischer agieren, aber, nun ja, nicht umsonst hat ein Bundesbildungsminister die Kultusministerkonferenz mal eine Landschildkröte genannt.)
Wie reagieren eigentlich Menschen und Systeme, wenn sie vor eine paradoxe Situation gestellt sind? Sie halten inne. Sie sagen, alle Halt! Hört mal her, wir müssen nachdenken und beraten.
Programmierer warnten: Wir können diese KI nicht bändigen
Genau das haben ganze Bataillone von Programmierern und Entwickler von Künstlicher Intelligenz gefordert, zuletzt Sam Altman. Sie haben gesagt: Stoppt den ganzen Prozess, lasst uns nachdenken. Lasst uns Regeln finden.
Die Politik hat darauf nicht wirklich reagiert.
Also wurde eine ganze Herde von Derivaten des Sprachmodells frei gelassen. Auf allen möglichen Apps und Webseiten kann man nun die KI nutzen.
Auch SchülerInnen können das.
Oder hatte Ties Rabe gedacht, dass Schüler dieses Tool nicht benutzen, nur weil die KMK auf die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe warten muss?