Philippe Wampfler ist einer der besten Kenner von dem, was Jugendliche mit und im Netz so alles anfangen. Gerade hat er sein neuestes Buch „Generation ‚Social Media‘, herausgebracht, und ich kann jedem empfehlen, darin zu lesen, „wie digitale Kommunikation Leben, Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert.“*
Aber es gibt zwei Wampfler.
Der eine spricht so (in einem Interview mit Watson)
„Mädchen im Alter von 12 bis 13 sind tatsächlich gefährdet, eine Medien-Sucht aus sozialen Gründen zu entwickeln und damit anfällig auf Sexting zu werden.“
„Man kann davon ausgehen, dass rund 20 Prozent der Jugendlichen ihr Smartphone nie ausschalten, dass es rund um die Uhr läuft. Sie lassen sich mitten in der Nacht wecken, um einen Anruf oder eine SMS nicht zu verpassen.“
„Junge Männer werden wegen Porno immer schüchterner. Sie wissen einerseits, dass sie dank Porno ihre Bedürfnisse virtuell sofort befriedigen können. Gerade deswegen verlieren sie andererseits die Fähigkeit zu sozialen Kontakten. … Will heissen: Sie vertragen es nicht mehr, abgewiesen zu werden und lassen sich gar nicht mehr [mit Mädchen] auf einen Dialog ein.“
Der spannende Wampfler
Das ist der spannende Wampfler, der Mahner, der kluge Analyst. Und was er da so kundig schildert, sind alles untrügerische Anzeichen einer Revolution: Mädchen, die mediensüchtig sind, Jugendliche, die ihr Smartfone NIE abschalten, Jungen, die nur noch mit Pornos „kommunizieren“.
Wampfler selber geht ja so weit, sich zu wünschen, dass – bitte festhalten – „sich das Gehirn an die neue mediale Welt anpasst.“
Genau, richtig verstanden, unser Gehirn soll sich bitte der (neuen) Medienwelt anpassen, einer Welt übrigens, von der der Gymnasialllehrer sagt: Es „ist zum heutigen Zeitpunkt auch sehr schwer abzuschätzen, was davon bleiben wird.“
Warum sollten wir unser Hirn, bitteschön „anpassen“, wenn noch nicht klar ist, wofür?
Der Langweiler vor dem Herrn
Das ist der andere Wampfler. Ein Langweiler vor dem Herrn, der noch die abgewetzteste Floskel bemüht: War alles schon mal da, die Jugend wird ewig unterschätzt, keine Revolution! Alle Intelligenz, alle analytischen Begriffe, die Wampflers Texte so klug machen, sie entweichen, sobald er ein allgemeines Urteil fällen soll:
„Ich mag es nicht, wenn man vorschnell von Revolutionen spricht. Vieles, das heute im Zusammenhang mit Facebook, Twitter & Co. als revolutionär angepriesen wird, erweist sich bei näherem Zusehen als altbekannt.“
So klingt ein Wampfler, wenn er abwiegelt, verkleinert und verharmlost.
Verharmlosen Sie jetzt nicht zu stark?
„Verharmlosen Sie jetzt nicht zu stark?“ So fragt selbst dieder Interviewerin der Homepage Watson ungeduldig, einem Portal, das Wampfler in der Regel mit vollkommener Ergebenheit folgt.
Wampfler gibt zurück, eine Wissenschaftlerin habe etwas „aus den Interviews, die sie mit Jugendlichen geführt hat“, geschlossen. Aber „empirisch lassen sich ihre Thesen jedoch bisher nicht belegen.“
Man reibt sich verwundert die Augen: sind Interviews mit Jugendlichen etwa keine Empirie?!? Kann man Fakten einfach wegdiskutieren?
Nein, Philippe Wampfler kann keine Veränderung der Jugend erkennen. „Die Jugend ist heute weder oberflächlicher noch narzisstischer als vor 10 und vor 20 Jahren.“
Wozu Medienpädagogen?
Es ist der Medienpädagoge, der so spricht, eine Zunft, die nicht kritisch sein kann, denn sie hat ohne die Existenz der (neuen) Medien keine Daseinsberechtigung, also übt sie stets Kritik nur immanent auf dem Stand der heutigen Technologie, die als gegeben hingenommen wird. Die Tatsache, dass man einen kritischen Begriff von einer Teil-Welt entwickeln könnte, ohne diese gleich verdammen oder gar wieder abschaffen zu wollen, diese simple Wahrheit ist Medienpädagogen per se unzugänglich.
Man wünschte sich, der Medienpädagoge Wampfler möge schweigen.
Und dem kritischen und lustigen Intellektuellen und Menschen Philippe Wampfler Platz zu machen. Dem hören wir gerne zu, wenn er im Detail erläutert, welche Plattformen gerade wie und warum genutzt werden – und vor allem: warum nicht mehr.
Ein Gesamturteil aber muss man sich von Philippe Wampfler nicht erwarten. Da kommt nur zähe ungenießbare Konsensmilch.
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*(Allerdings sollte man dringendst dazu Martin Voigt lesen, damit man auch einen Forscher mit kritischer Haltung zur Kenntnis nimmt.)
Ja, qualitative Interviews gelten als empirische Forschung. Diese Aussage von Philippe Wampfler ist unpräzise. Aber ich habe das so verstanden, dass es bisher noch keine Metanalyse gibt, welche die Resultate verschiedenster Studien zusammenfasst, um zu prüfen, ob konservative Kulturpessimisten oder progressive Optimisten Recht haben.
Je nach Laune bin ich im einen oder anderen Lager. Aber ich möchte immer alle Seiten lesen, so auch die beiden Seiten von Wampfler. Und auch andere Medienpädagogen sollen reden und schreiben und bitte nicht schweigen…