Thesen zum Workshop Blogfamilia
Kommendes Wochenende trifft sich die Familie der Mutti-Blogger, um ihre romantischen Bildungsideale zu zelebrieren. Meine Thesen zum Podium „Schule – das Ende der Kindheit“
Schulen produzieren systematisch Bildungsverlierer
Die prägende Gestalt des deutschen Bildungssystems wurde mit dem ersten Pisatest im Jahr 2000 kenntlich: Wir haben eine extrem ungleiche Schule, die an ihrem unteren Ende regelrechte „Unterschichtsfabriken“ betreibt. Das sind Haupt- und Ghettoschulen, in denen 9 von 10 Schülern praktisch nicht lesen können. Diese Marienthalschulen sind wesentlich durch die Gliedrigkeit des Schulwesens in Kombination mit regionalen sozialen Problemen begründet.
Aber: Seit Pisa haben fast alle Bundesländer ihre Schulformen umgestellt. Das führt zu einem starken Zuwachs integrativer Schulformen – und zu einer regelrechten Explosion von Abituren; seit 2011 liegt die Abiturquote bei 53 bis 59 Prozent. Auch das zieht eine Reihe von Verunsicherungen nach sich, vergleichbar mit dem ersten Abiturboom um die 1890er Jahre.
Mein Kind first: Eltern-Perspektive „Gucci-Protest“
Insbesondere die Eltern sind mit der Vielzahl an Post-Pisa-Schulreformen überfordert. Ihre Macht ist seit der gescheiterten Hamburger Grundschulreform und der überstürzten Verkürzung des Abiturs massiv angestiegen. Eltern intervenieren freilich nicht rational ins Schulsystem, sondern interessengeleitet nach der Devise „Mein Kind first“. Die Behauptungen von Eltern über die Effekte des G8-Gymnasium etwa halten der Empirie über die Lern- und Lebensrealität von Turbogymnasiasten nicht stand.
Elternblogs sind ein wichtiges Forum der Meinungsbildung von Eltern – und ein zutiefst widersprüchliches. Sie erhöhen die Macht der Eltern, weil sie auch auf der Mikroebene Öffentlichkeit über die Arbeit etwa von Schulleitungen herstellen können. Sie sind zugleich eine Echokammer von romantischen und irrealen Lern- und Erziehungsträumen. Julius Langbehn und seine (abstrusen) Ideen von Rembrandt als Erzieher feiern in Mutti-Blogs Wiederauferstehung.
Naive Digitalisierung des Lernens
Die Digitalisierung der Schulen ist ein Symbol für die Spaltung: Schüler sind „always on“ – die Schulen sind ‚weitgehend off‘. Es gibt auf diesem Gebiet keine einfachen Antworten. Die Schulen und die Lehrer haben die enormen Chancen und die große Kreativität digitaler Lerntools und -methoden noch nicht verstanden. Wichtiger aber ist es, den Risiken (angeblicher) digitaler Freiräume systematisch Aufklärung entgegen zu setzen: Tracking von der Wiege bis zur Uni; Cybergrooming und -mobbing; Datenschutz.
Eltern treten hier als hysterischer Akteur auf: hysterisch in der Übertreibung von Ängsten und Risiken – oder hysterisch in der Forderung nach Sofort-und-überall-Digitalisierung.