Nach „Wirlernenonline“ kommt nun Mundo – die Plattform derer, die für Bildung zuständig sind: die Kultusminister

Da sage noch einer, die Kultusminister seien lahm wie Landschildkröten. Für viele überraschend und sofort zugriffsfähig hat die Konferenz der Kultusminister (KMK) die Lernmittelplattform „Mundo“ veröffentlicht. Sie ging am Montag morgen online, ohne dass irgendjemand vorher etwas gewusst hätte. „Das aus den Mitteln des DigitalPakts Schule finanzierte Portal stellt allen pädagogischen Fachkräften… qualitativ und lizenzrechtlich geprüfte Unterrichtsmedien verschiedener Quellen mit Beginn des Schuljahres 2020/2021 frei zugänglich zur Verfügung“, teilte die KMK mit. Der Satz ist deswegen so bandwurmartig lang geraten, weil die Kultusminister damit deutlich machen wollen: wir sind zuständig, wir machen den Job – und wir machen ihn sofort.


update: Der Beitrag und die Tweets dazu haben eine Debatte ausgelöst: die einen begrüßen, dass die Kultusminister endlich eine zentrale Plattform für Lernmaterialen eröffnen, die anderen erheben Bedenken wg überhaupt oder der Doppelstrukturen (und suchen ganz offenbar nach Mitteln, um ihr Portal am Leben zu erhalten...), eine weitere Gruppe will Mundo auf die Finger gucken. Und wieder andere verstehen offenbar überhaupt nicht, welche föderale Verfassung grad gilt: sie haben eine Frag-den-Staat-Anfrage an Mundo gestellt [?!], um zu erfahren, auf welcher Grundlage die Kultusminister sich die Frechheit herausnehmen, eine Plattform zu fördern... social media in a nutshell.

Zu der Plattform #MUNDO habe ich eine #ifg-Anfrage gestellt: https://t.co/JXnEZ1v4AG

— Maximilian Voigt (@ma__vo) September 16, 2020


Fünf Redakteure prüfen Lernmaterialien

Betreiber von Mundo ist die FWU, das ist das Medieninstitut der Bundesländer mit Sitz in München-Grünwald. Die FWU hat eine fünfköpfige Redaktion gebildet, „welche die Medien prüft und sie mit Metadaten versieht“, sagte Michael Frost, Geschäftsführer der FWU zu Tagesspiegel Background Digitalisierung und Pisaversteher.

„Wir sammeln Lernmaterialien, die im Netz zugänglich sind, und optimieren sie weiter inhaltlich, qualitativ und quantitativ“.

Das bedeutet, es werden irgendwann auch Lernmaterialien hergestellt. Auf die Frage, ob fünf Leute dafür nicht zu wenig seien, meinte Frost, es würden im Laufe der Zeit wohl mehr hinzukommen. Außerdem nähme man nicht alles zur Prüfung an, nur das, bei dem die Quelle zuverlässig sei.

Mundo hat, im Vergleich zu wirlernenonline und dem Materialkompass (der Verbraucherzentrale Bundesverband), einen klaren Vorteil: Es hat das Plazet der 16 Kultusminister*innen, die laut Verfassung für Schule zuständig sind. Geschäftsführer Frost sagte, er habe bereits eine Vielzahl an Verträgen mit Bildungsanbietern geschlossen, deren Material die FWU über Mundo zugriffsfähig mache.

Wieso bezahlt das BMBF zweimal das gleiche?

Fünf Redakteure, das ist ein Dutzend weniger Leute als die Plattform „wirlernenonline“ beschäftigt, die vom Bundesbildungsministerium bezahlt und von Wikimedia betreut wird. Sind Konkurrenzen zu „wirlernenonline“ zu verspüren? „Wir sehen uns nicht als Wettbewerber“, sagte Frost ausweichend, „wir kooperieren mit allen, die der Schullandschaft qualitativ hochwertiges Bildungsmaterialien zur Verfügung stellen.“ Das ist der wohl spannendste Punkt, der im Netz sofort einen Aufschrei wegen Doppelzuständigkeiten hervorrief. Vera Fricke vom Verbraucherschutz etwa schrieb: “Jetzt keine Doppelstruktur aufbauen“.



In der Tat wird, sobald der Geldregen aus dem Digitalpakt versiegt ist, eine interessante Frage auftauchen: Wieso bezahlt das BMBF zweimal das gleiche? Also eine Homepage, die Lernmaterialien präsentiert und hinter der eine Suchmaschine steckt, die diese freien Materialien, OER etc. im Netz vorher zusammen scrawlt. Sowie zusätzlich eine Redaktion, die das Material, das nicht optimal aufbereitet ist, prüft und mit Metadaten versieht – und möglicherweise sogar eigenen Content herstellt. Bei Wirlernenonline arbeiten 19 Personen, davon drei Redakteure. Der Materialkompass hat ein 2050köpfiges Expertenteam, das Materialien unabhängig prüft – wobei man sich bei deren Prominenz (Engartner, Eickelmann, Kammerl, Schiefner-Rohs usw.) fragt: wie viel schaffen die? 

Es gibt übrigens noch eine Doppelstruktur: die mit den Schulbuchverlagen, die nicht fünf oder 19 Redakteure beschäftigen, sondern Hunderte. Also schimpfte der Vorsitzende des Verbandes der Bildungsmedien, Ilas Körner-Wellershaus: „Zu erwarten, dass Lehrkräfte verlegerische Tätigkeiten übernehmen, sich also zum Beispiel systematisch mit der Abschlussorientierung von Bildungsmedien über mehrere Jahrgänge hinweg oder mit der Einholung und Vergütung von Rechten für Bilder, Videos oder Audios beschäftigen, ist absurd.“ Der Klett-Mann bezog sich auf Äußerungen Saskia Eskens, die Lehrkräfte bestückten idealerweise selbst die Bildungsplattform mit Lernmaterialien.

Das Handlungsvakuum im Neuland füllt sich

Die Antwort auf die politische Doppelstruktur lautet: Verfassungskonflikt. Oder ein Handlungsvakuum im Neuland, das die Kultusminister zunächst entstehen ließen und das nun plötzlich von allen Seiten gefüllt wird. Wer sich am Ende durchsetzt, wird man sehen. Verfassungsrechtlich ist es ziemlich einfach: zuständig sind die Länder, ihre Kulturhoheit ist eines der ältesten Bestandteile des Grundgesetzes. Aber weil die bei der Digitalisierung nicht so recht klappt, kann man mittlerweile überall Doppelstrukturen beobachten, die der Bund schafft.

Er hat mit über 20 Millionen Euro eine Schulcloud erschaffen – obwohl es davon ein gutes Dutzend gibt. Er hat bereits vor Monaten begonnen, wirlernenonline aufzubauen und mit einigem Pomp sogar eine weitere große nationale Bildungsplattform in Aussicht gestellt, die genau das selbe wie wirlernenonline und Mundo machen soll. Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) hat am Dienstag sogar einen regelrechten Affront begangen, indem sie eine Art politischer Doppelstruktur eröffnete: Sie rief ein neues bildungspolitisches Forum zusammen, von Bitkom über Verena Pausder bis hin zu den Stiftungen, – und bestellte dazu gönnerhaft Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und die KMK dazu. Die Präsidentin der KMK, Stephanie Hubig (SPD), blieb dem Treffen demonstrativ fern.

Die Schuladministrationen hätten keine Zeit, „sich schon wieder mit Leuten zusammen zu setzen und zu schwadronieren“

Das wird die Disruption der Schulen und Schuladministrationen auf Dauer nicht aufhalten können. Entsprechend giftig waren die Kommentare aus dem weiten Reich der Kultusminister*innen: Die Schuladministrationen hätten keine Zeit, „sich schon wieder mit Leuten zusammen zu setzen und zu schwadronieren“, hieß es. Man höre permanent, was die Kultusminister alles falsch machten. „In Wahrheit haben viele Schulen immer noch nicht den Breitbandanschluss, für den Dorothee Bär als Staatssekretärin des Ministeriums für digitale Infrastruktur eine Wahlperiode lang zuständig war.“

Niemand hat die Absicht eine Plattform zu errichten.

Die KMK ist bereit zu kämpfen. Sie hat dazu gelernt, wie man an Mundo sehen kann. Vor vier Wochen, am 13. August, saß eine Handvoll Kultusminister mit der Kanzlerin und SPD-Vorsitzender Saskia Esken zusammen am Tisch. Nächste Woche soll die zweite Runde dieses Treffens stattfinden – trotzdem erfuhr in dem Gespräch niemand von der Plattform für Lernmaterialien. Das heißt: die Kultusminister haben Mundo vor den Koalitionären verheimlicht? Manche bestätigen diese Version, andere wie Bayerns Kultusminister Piazolo lassen es so erklären: „Mit dem am 14. September 2020 vorgestellten Bildungsportal MUNDO hatten die Gespräche [bei Merkel] nichts zu tun. Dieses gemeinsame Projekt der Bundesländer und dessen Förderung aus Mitteln des DigitalPakts Schule war lange vor und unabhängig von dem Gespräch am 13. August 2020 in Planung und Vorbereitung.“

Oder anders: niemand hatte die Absicht eine Plattform zu errichten.