Gefühle, Bedingungen, Glück – wie sich Lehrer mit Schulöffnungen in der Pandemie fühlen
Das Bild passt nicht perfekt, aber es drückt aus, was viele Lehrerinnen und Lehrer empfinden: zwei Züge rasen auf einander zu. Von der einen Seite steigt die Zahl der Infektionen steil an, von der anderen Seite forciert die Politik Schulöffnungen. Und zwischen diesen beiden Zügen stehen m.E. die Lehrer:innen.
Offiziell heißt es, die Schulen würde geöffnet – unter der Bedingung einer Teststrategie und einem klugen Konzept, das Hygiene und Pädagogik gerecht wird. Es ist aber nicht erkennbar, dass die Formel irgendeine Bedeutung bei den Kultusministern hat. Im Gegenteil, in Baden-Württemberg etwa werden Schulen ohne Abstandsgebot und Masken geöffnet. Es ließen sich endlos weitere Beispiele anfügen.
Ich bin Journalist mit dem Schwerpunkt Bildung und muss feststellen, dass die Bedürfnisse, die Befindlichkeiten, die Ängste der Lehrer:innen oft keine Rolle spielen, jedenfalls keine große. Bei der Politik nicht. Aber auch anderswo nicht. Bei vielen meiner Geschichten tauchen die Lehrer:innen als sachliche Zitatgeberinnen und Expertinnen des Lernens auf. Was untergeht: Hey, wie geht es euch Lehrerinnen und Lehrern eigentlich mit der Lernsituation in der Pandemie – und der Art, wie die Kultusminister:innen mit Euch umspringen?
Der Vergleich mit der Front, an die die Lehrer geschickt würden, passt auch nicht perfekt. Aber man muss zugeben: es gibt keine andere Berufsgruppe in Deutschland, die in so engen Räumen mit so vielen Menschen ohne adäquaten Schutz zusammenarbeiten soll. Es existiert kein wintertaugliches Hygienekonzept (Lüften bei Minusgraden?); es wurde keine Teststrategie vorbereitet; als die Lehrer forderten, geimpft zu werden, ging man nicht auf sie ein. Wenn Pandemie wie ein Krieg ist – und viele Politiker sagen das -, dann müssen, um im Bild zu bleiben, Lehrer schutzlos an die Front, also ohne Helm, Sanitäter und adäquate Ausrüstung. Aber wo taucht das in der öffentlichen Debatte auf? Kaum.

Es ist in meinen Augen wichtig, die Gefühle, die Arbeitsbedingungen und die Ideale der Lehrer zum Thema zu machen. Die Gesellschaft sollte davon erfahren – und nicht spekulieren. Lehrer können also hier, anonym oder mit vollem Namen, ausdrücken, wie sie sich fühlen angesichts der Öffnung der Schulen bei stark ansteigenden Inzidenzwerten; sie sollen schildern, wie sie im Moment ihre Arbeit machen; und uns offenbaren, was sie eigentlich noch in ihrem Beruf hält. Die Lehrer können bei auf dem Blog Pisaversteher – und vielleicht später in der Zeitung – die drei genannten Fragen beantworten. Sie können dies in kurzen Videos machen oder als Audioaufnahme oder als biografisches Protokoll – was immer für sie die beste Ausdruckform sein mag. Mir ist wichtig, dass wir einen Blick darein bekommen, wie es unseren Lehrerinnen und Lehrern geht.
Wer teilnehmen will, schickt mir, bitte, ein an den Fragen orientiertes Protokoll, führt mit mir ein Messenger-Interview; zeichnet ein Video oder ein Audio auf – und hängt es an den Starttweet mit meinem Einladungsvideo. Oder schreibt auf seinem/ihrem Blog einen Beitrag.
Die Fragen:
Wie fühlst Du Dich in der Pandemie-Schule, wie stehst Du zur Corona-Politik Deiner Schulminister:in?
Wie sieht Deine pädagogische Arbeit derzeit aus? Wann arbeitest du? Wo ist Dein Arbeitsplatz? Mit welchem Material arbeitest du? Wer bezahlt Deine Materialien?
Was macht Dich in der Schule/beim Lernen derzeit glücklich?
Protokolle von LehrerInnen:
„Ich bin jetzt auch positiv getestet“
Leider keine Energie, da tatsächlich jetzt auch positiv. Meine Kolleginnen… sind allesamt und zu Recht geimpft. Gönne ich allen. Ärger nützt auch nichts mehr. Aber fassungslos lässt es mich dennoch zurück. Liebe Grüße aus… und bitte gesund bleiben
Lehrer und Erfinder dieser Berichte. Gute Besserung
„Ich fühle mich wie Kanonenfutter“
Als ich am 13.03.2020 nach Hause kam, hatte ich vier selbstgekaufte Schulbücher dabei. Als mein Mann am 16.03.2020 nach Hause kam (gleiches Bundesland, anderes Ministerium) hatte er einen Laptop, eine Kamera, ein Headset und die Nummer eines IT Beraters dabei.
Da hätte ich schon stutzig werden müssen. Bei seinem Dienstherren geht es um Geld, bei meinem Dienstherren geht es um Kinder….
Mein Mann ist seit dem 16.03.2020 im Homeoffice, hat er seine Wochenstunden erreicht, bekommt er eine EMail.
Ich springe seit dem 13.03.2020 von da nach dort nach hier und wieder zurück.
Wenn ich mir mal den Samstag frei nehme, habe ich ein schlechtes Gewissen. Dieses schlechte Gewissen ist eine Grunderkrankung von Menschen in sozialen Berufen und damit retten wir das marode Schulsystem seit Jahren.
Jetzt fühle ich mich wie Kanonenfutter, das ist neu aber eigentlich die logische Konsequenz der letzten 30 Jahre.
Den Entscheidungsträgern ist es immer schon egal, wie es uns und den Kindern geht, dafür muss man sich nur mal das eine oder andere Schulgebäude anschauen.
Das ihnen aber sogar schwere Krankheitsverläufe oder Tote egal sind, macht mich müde und lähmt mich.
Wütend bin ich schon lange nicht mehr.
Ich bin Sonderpädagogin an einer Gesamtschule des Standorttyps 4. Wir haben kein einziges Kind unserer Klasse ‚verloren‘. Denn wie immer reißen wir uns für unsere Schüler den Ars.. auf. Die können nämlich wirklich gar nichts dafür. Distanzlernen hat Spaß gemacht, die Kinder sind geflogen, sie haben viel mehr gelernt als im Präsenzunterricht, alle!
Zwei unserer Schüler sind von uns in die Notbetreuung geschickt worden. Denn erstaunlicherweise kennen wir unsere Schüler, wissen, was bei wem zu Hause los ist. Wir haben sie im Blick, das haben wir immer, das ist auch unser Job.
Ich mag mir nicht mehr von einer Rechtsanwaltsfachangestellten, die irgendwann mal Immobilien verkauft hat, meinen Beruf erklären lassen.
Wie vermessen ist das? Was glaubt sie eigentlich, was wir alle den ganzen Tag machen?
Am Freitag habe ich übrigens mein dienstliches iPad bekommen, knapp ein Jahr nach meinem Mann. Die Lizenzen für Schreibprogramme sind aber noch nicht da…
Nachtrag: Heute morgen lagen 5 FFP2 Masken in meinem Fach im Lehrerzimmer. Ein Geschenk des Ministeriums oder der Stadt, keiner weiß. Auf der Verpackung steht „this mask is not a medical product“.
Nachtrag 2: Ich soll jetzt die Selbsttest der Schüler überwachen, im Klassenraum, mit geöffneten Fenstern.
Sonderpädadogin Gesamtschule NRW
„Glücklich macht mich meine Schulleitung“
Wie fühlst Du Dich in der Pandemie-Schule, wie stehst Du zur Corona-Politik Deiner Schulminister:in?
Ich fühle mich verlassen und unverstanden. Seit letztem Jahr versuche ich, bei jeder neuen Bestimmung möglichst gut im Sinne meiner Schüler*innen einen Weg zu finden, ihnen Unterstützung, Inhalte und schulische Zusammenhänge zu bieten. Gemeinsam haben wir erlernt, wie wir uns in den verschiedenen Szenarien strukturieren, wie wir kommunizieren, sie bekamen Hilfe im Umgang mit Endgeräten und Programmen, viele individuelle Lösungen und kleinschrittige Ansätze haben wir gefunden. Das alles in der Unsicherheit, wie lange die Situation andauert und welche neuen Vorgaben uns wieder mit kürzester Vorankündigung den gerade gewonnenen sicheren Boden wieder unter den Füßen wegziehen werden. Ich bin müde, kann mich kaum noch motivieren, bin maulig und fatalistisch. Selbst im Klassenraum – wo ich bisher immer mit Interesse und Spaß zusammen mit den Schüler*innen gearbeitet habe – fällt es mir schwer, positiv gestimmt zu sein.
Meine Schulministerin hat meine Unterstützung schon lange verloren
Ihre Entscheidungen zeigen mir fast durchgängig ihre Unkenntnis über das System Schule auf und – was mich besonders verärgert – der Unwille mit Schulen in Kontakt zu treten, um Maßnahmen zu klären, vorab auf die Durchführbarkeit zu besprechen oder sich ein Feedback im Sinne des reflektierten Handelns einzuholen. Solch eine Arbeitsweise ist unverantwortlich und insbesondere an dieser Position grob fahrlässig.
•Wie sieht Deine pädagogische Arbeit derzeit aus? Wann arbeitest du? Wo ist Dein Arbeitsplatz? Mit welchem Material arbeitest du? Wer bezahlt Deine Materialien?
Pädagogisch muss ich gerade noch stärker die individuellen Bedürfnisse der Schüler*innen antizipieren, da ich auf Distanz seltener ad hoc reagieren kann. Zudem ist die Ausstattung der Einzelnen zu Hause nicht vergleichbar, ich gehe von den minimalen Voraussetzungen aus: dem Smartphone und unserer Messenger-Plattform. In Kombination mit den Lehrwerken kann ich dann auch einige interessante Links und Lernplattformen einbinden, allerdings mit der Einschränkung, dass alles am Handy lesbar und zu bearbeiten sein muss. Zugleich fehlt uns ein gutes Lern-Management-System, das mich in der Aufgabenverteilung und dem Rücklauf der Aufgaben unterstützt. Aufgrund der Ankündigung, dass eine landesweite Lösung „bald“ auch gemeinsam mit den Schüler*innen genutzt werden kann, haben wir uns als Schule dagegen entschieden, ein anderes Programm einzuführen. Dieses Versprechen ist bisher noch nicht eingelöst worden. So muss ich auch sehr genau überlegen, wie ich Bearbeitungen zurückerhalten möchte, was ich davon kontrolliere und wie ich dazu Feedback gebe. Das nimmt viel mehr Zeit ein, als es im normalen Unterrichtszusammenhang hatte. Aus all diesen Gründen ist meine Arbeitszeit derzeit noch höher als zuvor: ich sitze zu Hause fast rund um die Uhr an Planungen, Rückmeldungen, Bewertungen und schließlich noch Absprachen mit Kolleg*innen.
Meine Arbeitsausstattung beruht zum Großteil auf Eigenanschaffungen: Laptop, Kamera, Kopfhörer, Zusatzmikrophon, Programme/Lizenzen.
Von der Schule habe ich die Lehrwerke entliehen, mir steht ein gewisses Kopierkontingent zur Verfügung und wir haben eine Cloud-Messenger-Plattform für die Schule für ein Jahr angeschafft. Seit etwa drei Wochen funktioniert in der Schule endlich auch das lange von der Stadt versprochene WLAN flächendeckend, ob es der Last von 1300 Schüler*innen standhält, bleibt noch abzuwarten.
•Was macht Dich in der Schule/beim Lernen derzeit glücklich?
Ich freue mich, mit meinen Kolleg*innen zu scherzen, unseren Humor trotz der schwierigen Situation gemeinsam nicht zu verlieren sondern auszukosten. Es ist auch schön zu beobachten, wie einige Schüler*innen sich jetzt besonders positiv einbringen, da ihre Arbeit entweder mehr beachtet wird oder weil sie zum anderen in der intensiveren individuellen Beschäftigung mit den Inhalten Leistungen zeigen, die ich von ihnen im Klassenzusammenhang nicht kannte. Glücklich macht mich, dass meine Schulleitung trotz aller Widrigkeiten stets bemüht ist, uns alle bestmöglich zu unterstützen und zu schützen. Da gibt es leider auch andere Beispiele.
Ich schreibe das alles hier auf, obwohl ich eigentlich gerade die Zeit für wichtige Schulsachen benötige, im Wissen, dass unsere Sicht als Lehrer*innen nicht deutlich genug gesehen oder wiedergegeben wird. Morgen werden wir in NRW mit dem Wechselmodell bei uns an der Schule täglich mit ca. 700 Personen arbeiten und das macht mir Angst. Ich freue mich nicht auf ein Wiedersehen mit meinen Klassen, weil ich fürchte, dass nur Wenige die Hygieneregeln sorgfältig einhalten. Wir sind gerade verpflichtet, diejenigen, um die wir uns kümmern sollen, einer Gefahr auszusetzen, ohne dass wir sie gut schützen können. Ich bin eine pragmatisch denkende und risikofreudige Person, ich liebe es mit meinem Rad durch den Wald zu heizen, gehe auch naiv mit einigen Situationen um und weiß als dreifach Mutter, dass ich niemals alle Unwägbarkeiten vorab ausschließen kann.
Zusammengenommen: ich mag nicht mehr.
Lehrerin Gesamtschule, NRW
„Ich verstehe die Politik meines Ministers nicht“
Die Corona-Politik meines bayerischen Unterrichtsministers halte ich für falsch; ich verstehe auch nicht, wie es zu ihr kommt. Die aktuelle Öffnung ist von der Schule aus unnötig. Wenn ich auf andere Bundesländer schaue, muss ich allerdings noch froh sein. Der Unterricht von zuhause aus läuft zumindest so, dass wir noch länger so weiter machen könnten, die technische Ausstattung ist auch an der Schule ausreichend.
Bisher habe ich viele Videokonferenzen gemacht. Nicht im vollen Umfang der Unterrichtsstunden, das würde die Schüler:innen überfordern, aber auch nicht so wenig, wie ich es pädagogisch für sinnvoll halte – ich habe nicht die Zeit, so viel asynchrone Aufgaben zu stellen und Rückmeldung zu geben, wie ich möchte.
Ich arbeite von zu Hause mit Schulbüchern und eigenen Geräten. Aber ich musste nichts neu dazu kaufen, Kamera und Mikrofone und Laptop hatte ich alles schon. Von der Schule könnte ich außerdem ein Tablet kriegen. Ich arbeite den ganzen Tag über, fange aber später an, weil ich seltener pendeln muss.
Im Lehrplan bin ich mit den meisten Klassen viel weiter als sonst, weil weniger Stunden ausfallen.
Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, das macht micht glücklich. Außerdem fühle ich mich gut in mein Kollegium eingebunden und vermisse es ein wenig.
Studiendirektor, Bayern
„Zynisch und respektlos“
Ich war gestern so müde, ich konnte keine Ideennetze mehr spinnen. Mein Kollege hat es morgens in der Frühkonferenz so treffend auf den Punkt gebracht: Als ihm am Anfang der Woche klargeworden sei, dass die die Schulen tatsächlich ohne Abstand öffnen, sei er wie gelähmt gewesen. Es habe sich so angefühlt, als falle seine Motivationskurve auf einmal ins Bodenlose. Aus Hoffnungslosigkeit. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Der Kollege ist Sonderpädagoge: Hochengagiert, digital affin, empathisch, geht über sämtliche Grenzen für die Kinder und die Kolleg*innen. Er ist keiner, der schnell das Handtuch schmeißt. Im Gegenteil. Wenn solche Kolleg*innen jetzt in die innere Kündigung gehen, frage ich mich, was das mit unserem Berufsstand macht.
Wer will dann überhaupt noch Lehrer werden, wenn völlig klar ist, dass wir willenlose Verfügungsmasse für die Kultusministerien sind und sich kein Schwein darum kümmert, wie es uns geht?!
Ich bin sprachlos, fassungslos und unsagbar wütend zugleich. Frau Eisenmann ist seit 5 Jahren meine Kultusministerin und noch kein einziges Mal hatte ich das Gefühl, dass es ihr und diesem Ministerium ernsthaft um Gesundheit und Wohlbefinden der Lehrer*innen geht. Dienst- und Treuepflicht ist hier eindeutig eine Einbahnstraße. Das ist zynisch und respektlos. Wir Lehrer*innen sollen uns im Sinne unseres Beamtenstatus vorbildhaft verhalten. Ich frage mich: Gilt das für Kultusbeamte nicht?
Lehrerin Gemeinschaftsschule
„Ich brauche jetzt viel Selfcare“
Hab‘ morgen wegen zusätzlicher Überstunden wieder einen extrem langen Tag. Die letzten zwei Wochen waren wegen Prüfungen und Wechselunterricht echt mega stressig…. ich kam zu quasi nix nebenher und merke, ich brauche jetzt viel Selfcare. So. Präsenz fertig, heim rasen, online gehts weiter. Wäre reif für die Insel. Es ist echt zum Kotzen. Ich fühle mich ohnmächtig. Seit zwei Wochen fühle ich mich ungewöhnlich leer. Das hat nichts mit der (befreienden) Impfung zu tun, es ist eher diese Erkenntnis, dass nun wider besseres Wissen einfach weitergemacht wird, als hätte man diese zweite Welle und die Toten nie gehabt.
Seit zwei Wochen stehe ich gefühlt fassungslos und in Schockstarre da. Oder glauben sie wirklich, es wird keine dritte Welle mehr geben?
Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht. Im Herbst letzten Jahres wurde Frau Eisenmann meines Wissens nie in einem vollgepackten Klassenzimmer angetroffen, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Dreißig Personen auf engstem Raum, das sind unsere Bedingungen. Aber Schule wird nur im Wahlkampf besucht. O-Ton eines Schülers aus dem Klassenzimmer heute: „Frau Eisenmann kann echt froh sein, dass wir Schüler noch nicht wählen dürfen!“ Ich fühle mich gerade wie gelähmt. Sprachlos. Machtlos. Wortlos. Der Fehler vom Herbst wird wiederholt. Bewusst. Grundschulen im Vollbetrieb, ohne Abstand, Maske, Schutz, Luftfilter. Ungeimpfte Eltern und Kinder. Man nimmt es in Kauf.
Guten Tag,
vorab möchte ich mich für Ihr ehrliches Interesse an der Realität, die wir Lehrkräfte erleben bedanken. Dies vermisse ich zu oft und Ihr Beitrag hat mir den Tag gerettet.
Manchmal braucht man gar nicht gleich schützende Lüftungsanlagen oder eine Schutzausrüstung für die Durchführung der Selbsttests mit 14 Kindern im kleinen und schlecht zu lüftenden Klassenraum, manchmal reichen schon ein paar verständnisvolle und ehrliche Worte auf Augenhöhe, um mich nochmal dazu zu motivieren, mich nicht krank zu melden (was ich seit meinem Dienstbeginn am 1. Mai 2019 erst an einem einzigen Tag getan habe) und weiterzumachen. Irgendwie und möglichst mit einem Lächeln auf den Lippen, entschuldige in den Augen, für die Kinder versteht sich.
Für unsere Schulministerin habe ich allerdings kein Lächeln mehr, nicht mal mehr ein ironisches. Ich bin wütend, aber ich habe gleichzeitig keine Kraft mehr zu weinen oder mich wirklich aufzuregen. Ich versuche meine Energie für die Schüler*innen zu bündeln und so präsent, verständnisvoll und konstruktiv wie möglich zu sein. Meistens gelingt mir das sehr gut, aber zuhause kann ich dann nicht mehr. Ich würde mich als lebensfroher Mensch beschreiben, bin vor der Pandemie gern gereist, habe 1 Jahr in Mittelamerika gelebt und bin in dieses System mit sehr viel Idealismus und Motivation und vor allem
Spaß an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und der Leidenschaft für meine Fächer gestartet. Nun bewahre ich mir das durch alle Absurditäten hindurch und habe dadurch aber kein Privatleben mehr. Ich arbeite immer und ständig und wenn ich es mal schaffe, nicht zu arbeiten habe ich ein extrem schlechtes Gewissen und der nächste Tag wird dann fast unüberwindbar aufgrund der Aufgabenflut.
Ich fühle mich von der Politik vergessen: keine Impfung für uns (obwohl ich zu 105 Kindern und wer weiß schon zu wie viel KuK und indirekt Haushalten wöchentlich Kontakt habe, einige Kinder mit geistiger Behinderung (nicht mal deren Schulbegleiter*innen werden geimpft), keine Schutzkleidung für die Selbsttestdurchführung (wir selbst bekommen nicht mal die Möglichkeit teilzunehmen) und nicht einzuhaltende absurde und weltfremde Bestimmungen für Schule am laufenden Band, für die ich vor Eltern und Kindern einstehen muss, obwohl ich am liebsten nach Düsseldorf laufen würde und Frau G. mit in unsere Schule zerren würde, wo sie sich gern mal selbst dieser Gefahr aussetzen darf. Aber richtig, mir drohen ja schon dientsrechtliche Konsequenzen, wenn ich es wagen würde, mich zu weigern, die Tests so durchzuführen.
Sind wir feige, weil wir das alles mitmachen? Für diesen Witz eines Hygiene- und Unterrichtskonzeptes gradestehen?
Vielleicht, ja, ganz bestimmt. Aber mir fehlt nach 8 Jahren Ausbildung, Bachelor, Master und Staatsexamen die Kraft und das einzige, was mir gerade noch etwas Sicherheit im Alltag gibt, ist mein sicheres Gehalt und der Beamtenstatus, auch wenn mich das bei der Berufswahl noch gar nicht gejuckt hatte. Ist das traurig? Bestimmt, aber ich glaube es geht vielen so.
Mein Arbeitsalltag besteht aktuell (also heute, wer weiß schon, ob Frau G. uns um 18 Uhr informiert, dass morgen alles geschlossen ist und wieder alles umgeworfen wird) daraus, dass ich an 5 Tagen die Woche vor Ort in der Schule bin, FFP2-Maske über 8 Stunden am Stück ist da keine Seltenheit (selbstgekauft, weil ich in die wenigen gestellten kein Vertrauen habe, es kam gleich nach dem Verteilen eine Mail über eine Fehlproduktion usw..) und den ganzen Tag fast nichts trinke. Einmal habe ich 7 mal 45 Minuten Unterricht hintereinander, dazu kommt bei mir das Pendeln zur Schule (bald ziehe ich um, aber das geht ja auch nicht so fix, in meiner Nähe gab es keine Stellen). Es geht sehr viel an effektiver Unterrichtszeit verloren, z.B. weil mich das Schul-W-LAN verlässt, mein privates Highspeed aber durch die Schule schon verbraucht ist, weil kein Beamer im Raum ist und ich meinen selbstgekauften aufbauen und abbauen muss (den ich den ganzen Tag mitschleppe, da ich kein eigenes Büro habe und den nirgendwo liegen lassen kann), die Schüler*innen zu durch den Wind sind und aufgeregt sind, ob die Schule schließt und teilweise einfach auch jede Empfindung für Zeit und Unterricht verloren haben und jetzt auch noch durch die Testungen.
De facto hat man super viele Menschen einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, um 5 Tage Unterricht für jedes Kind zu gewinnen, an denen die Hälfte der Zeit mindestens für eben genannte Aspekte oder dafür drauf geht, dass ich an die Maskenpflicht usw. erinnern muss… Es ist keine Seltenheit, dass die Schüler*innen die Maske unter der Nase anhaben, die Maske vor Dreck trieft, sie sich umarmen, auf dem Boden herumrobben usw.. Natürlich schimpfe ich und versuche das zu unterbinden, aber die Kinder sind auch ab und an nicht betreut, da wir ja auch die Räume wechseln als Kolleg*innen. Mein Tag besteht zu einem großen Teil auch aus dem Herumrennen zu anderen Räumen und Pausen habe ich kaum bis gar nicht. Zuhause falle ich oft nach so einem Tag nur noch ins Bett. Manchmal schaffe ich es, noch schnell 10 Nachrichten im Chat mit den Kindern und ein paar sehr dringende Anrufe zu tätigen. Das ist vor allem für eine Abiturgruppe nötig, die nicht im Präsensunterricht bei mir sind.
Aktuell bleibt mir für Elternarbeit kaum Zeit, dabei wäre das dringend nötig, da die Eltern immer noch 2-3 Tage die Kinder zuhause betreuen müssen. Das ist für die Eltern sehr anstrengend und raubt viel Kraft. Oft mache ich mir Sorgen um die Situationen zuhause, kann aber m.E. zu wenig tun. Sehr viele Kinder haben nun extreme psychische Probleme (vor der Pandemie dagewesene haben sich intensiviert). Ich zeige Verständnis und komme entgegen, wo ich kann und muss doch Montag nach den Ferien Noten eintragen. In den Ferien wird es so sein wie am Wochenende: ich korrigiere, bewerte, bereite alles nach, was ich unter der Woche nicht schaffe und bekomme es mit etwas Glück hin, meinem Partner etwas Zeit zu widmen. Er ist in der freien Wirtschaft tätig und arbeitet meistens halb so viel (zeitlich) wie ich oder manchmal noch weniger. Ich schätze ich habe eine 55 bis 80 Stundenwoche (je nach aktueller Situation). Ich habe alles außer ein paar Bücher und die Tafelkreide selbst gekauft, was ich verwende. Teilweise habe ich von der Schule aus Internet und teilweise gibt es in den Räumen Beamer. Mein Freund regt sich darüber auf und sagt, ich würde mich „versklaven“.
Da wurde ich letztens richtig wütend, denn so möchte ich es trotz allem nicht sehen, nicht wahrhaben. Ich liebe meinen Job trotz allem. Ich bin nur sehr traurig, dass man „trotz“ und nicht „wegen“ allem sagen muss. Und ich wünsche mir eine andere Regierung und eine Ministerin, die selbst in der Schule tätig war und eine gute Fachkompetenz aufweist. Die Kinder, unser aller Zukunft, haben eine Politik verdient, die sie sieht und ernst nimmt. Und wir Lehrkräfte auch. Warten tue ich darauf nicht mehr, aber noch gehe ich jeden Tag in die Schule, richte mich auf, setze ein Lächeln auf und versuche die Kinder, deren Schuld dieses Schlamasel nicht ist, zu motivieren und bei Laune zu halten. Und wenn ich es kann zu schützen: Vor sich, den absurden Vorhaben, dem
Leistungsdruck und allen voran unserer Ministerin.
Herzliche Grüße
Lehrerin aus NRW (inklusive Gesamtschule)