Bisher organisierte die Zivilgesellschaft Freie Bildungsmaterialien. Nun setzt sich die Bildungsministerin den Hut auf

OER ist wieder da. OER oder „Open Educational Resources“ waren galten vor sechs oder sieben Jahren in der Szene als der entscheidende Hebel, um das Schulsystem auf das 21. Jahrhundert umzupolen. Dann hörte man eine Zeit lang nichts bzw. wenig. Die Idee von OER ist der so genannte Leitmedienwechsel. Das bedeutet, nicht mehr das Buch der Gutenberg-Galaxis steuert das Lernen in der Schule, sondern es sind künftig für vielfältige mediale Kanäle aufbereitete Inhalte: Videos, Quizzes, Lerngegenstände, die auf OER-Plattformen abrufbar sind, etwa WirLernenOnline oder Mundo.

Diese Inhalte werden auch nicht mehr zwingend von oben vorgegeben, etwa als Kanon oder Lehrplan, sondern von unten von Schülern produziert – was zu einer Ermächtigung der Lernenden führt.

Eine OER-Strategie kurz vor Neuwahlen

OER ist wieder da – das bedeutet, dass die Bundesregierung in Person ihrer Bildungsministerin Anja Karliczek eine OER-Strategie vorlegen will. Ab Sommer soll es einen Fahrplan geben, wie offene Bildungsmaterialien a) hergestellt, b) auf Qualität kontrolliert und c) zugänglich gemacht werden.

Digitales Begleitmaterial eines Verlags zu einem Schulbuch

Politisch interessant daran ist, dass das Haus von Karliczek seit 2015 viel Geld in diverse OER-Initiativen gesteckt hat, sei es „Mapping OER“ (ca 600.000 Euro) oder die „OER-Infostelle“ (ca. eine Million Euro) oder die „OER-Camps“ (rund 500.000 Euro). D.h. bisher gestaltete die Zivilgesellschaft die offenen Bildungsmaterialien – und die Vernetzung der Aktivisten. Jetzt übernimmt die Bundesregierung sozusagen das Steuer und will in einem Gespräch mit den Stakeholdern eine Strategie entwickeln. Im Herbst soll es dann sogar neue Förderungen für OER geben – bisschen spät, so kurz vor der Wahl. Nun rief die Zivilgesellschaft in Form des „Bündnis für freie Bildung“ zu einem Community Call Akteure aus der OER zu einem Gespräch. Ich habe für den „Tagesspiegel Background Digitalisierung“ dieses Gespräch beobachtet. Was mir auffiel war, dass die Akteure inzwischen deutlich friedlicher agieren.

OER-Planwirtschaft

Allerdings bleibt es dabei, im Kern stehen sich bei der Frage, wie Bildungsmaterialien in Zukunft lizenziert werden sollten, zwei Parteien diametral gegenüber: die sehr aktive, aber auch sehr kleine OER-Community findet, dass öffentliches Geld zwingend zu Bildungsmaterialien führen muss, die nachnutzbar sind – das bedeutet umsonst. Die Schulbuchverlage argumentieren dagegen, wenn OER der Standard der Bildungsmaterialien sein sollten, dann wird der Wettbewerb um die besten Bildungsmaterialien einer Planwirtschaft weichen. In einem Stück für die FAZ sagte mir einst David Klett: „Ich denke, dass wenige so genau über die Bedürfnisse der Lehrer Bescheid wissen wie wir.

OER als Systemsprenger

Einen der bemerkenswerten Beiträge bei dem OER-Treffen lieferte Birke Bull-Bischof, eine Linken-Abgeordnete aus dem Bundestsg. Sie sagte, OER seien dazu geeignet, Systemsprenger zu werden:

„Ich glaube das OER ein Element neuer Schule sein kann, anstatt das in das alte System zu pressen.

Ich sag’s mal ein bisschen provokant: Open educational Resources und das Bündnis für freie Bildung könnten Systemsprenger werden.

Ich persönlich glaube nämlich nicht, dass KMK und Bildungsadministration zu so viel Innovation, wie wir sie verdammt nötig hätten, noch in der Lage sind.

Deswegen bin ich auf der Suche nach Systemsprengern, die neue Lernkultur [in die Schule] herein tragen, kollaboratives Lernen, neue Prüfungskultur, Lernen im eigenen Tempo, wo Schüler das lernen, worauf sie Bock haben. Ich glaube, dass OER da ein guter Systemsprenger sein könnte.“