(Und die Grünen spielen das Spiel mit: sie beantragen und bekommen im Bundestag zehn Millionen Euro für s.g. „Mental Health Coaches“ an Schulen – wissen aber selbst nicht, was die sein sollen.)
Der Ethikrat hat eine wichtige Empfehlung herausgegeben: Wir haben Kinder und Jugendliche in der Pandemie allein gelassen. Wir müssen Ihnen helfen, sofort! Nur kommt die dünne ad-hoc Empfehlung zu spät. PS. Die Grünen haben eine erste Antwort – verraten aber nicht, wie sie aussieht.
Diese Empfehlung ist, man kann es nicht anders sagen, ein doppelter Skandal.
Update 29.11.22: weder das Bundesfamilienministerium noch die grüne Fraktion können seit Donnerstag vergangener Woche erklären, was die Mental Health Coaches für Schulen sein sollen. (Siehe unten) Update 2.12.22: Die Sprecherin hält die grüne Fraktion für Mental Health Coaches für unzuständig. Fragen zum Konzept beantwortet das Familienministerium - das dies seit Donnerstag verg. Woche nicht tut. (Siehe unten)
Der Ethikrat hält in einer heute (Montag, 28.11.22) veröffentlichten eher spontanen Stellungnahme unmissverständlich fest, dass Kinder und Jugendliche während und nach der Pandemie vergessen wurden. Sie brauchen Soforthilfe – durch mehr Schulpsychologen, durch möglichst niedrigschwellige Zugänge zu professioneller Beratung und durch Zuhören.
Stephan Rixen, Mitglied des Erhikrates sagte:
„Die psychische Integrität der Kinder blieb zu lange im toten Winkel der öffentlichen Aufmerksamkeit.“
Stephan Rixen
Rixen forderte einen Nationalen Gipfel Psychische Gesundheit.
Die evangelische Bischöfin Petra Bahr berichtete bei der Vorstellung des Berichts über Erkenntnisse von Studien:
„Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssen an ihren Lebensorten Beratung erfahren. Wer in existenzielle Nöte gerät und keine Orte hat, diese Nöte zu thematisieren, erkrankt oft psychisch stärker, als es hätte sein müssen.“
Petra Bahr
Willkommen im Club, Frau Bischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.
Denn das ist der zweite Skandal dieses Berichts. Man muss kein besonders gut informierter Zeitgenosse sein, um zu wissen, dass wir spätestens mit der Einrichtung des so genannten Krisenchats ziemlich genau über die Dramatik der Situation von Kindern und Jugendlichen informiert sind.
Der Ethikrat aber ist das bestinformierte Gremium – und trotzdem hat er erst zwei Jahre nach seinen Empfehlungen für die Altenheime auch Zeit für Kinder und Jugendliche gefunden.
„Das kann man wahrscheinlich nicht wieder gut machen“
Da helfen auch keine Entschuldigungen.
„Das ist tatsächlich aus dem Blick geraten“, hört man direkt aus dem Ethikrat. „Das kann man wahrscheinlich nicht wieder gutmachen in der psychischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.“
Ethikrat
Was fordert der Ethikrat?
- Niedrigschwellige und flächendeckend Schulpsychologische Angebote.
- Verlässliche Finanzierung für Diagnostik, Heilbehandlungen und Hilfen zur Teilhabe.
- Schnelleren und unkomplizierten Zugang zu ärztlicher und nicht ärztlicher Diagnostik.
- Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene nicht wieder als erstes die Lasten der Krisenbewältigung tragen lassen.
- Das ist alles richtig. Und das ist alles längst bekannt. Warum braucht dieses Gremium so lange? Was hat die klugen Leute bewogen, sich nun zu bewegen?
Vor zwei Monaten haben rund 350 Jugendliche dem Ethikrat bei einer Veranstaltung erzählt, pardon, wie elend sie sich fühlen. Dass es ihnen nicht nur darum geht, während der Pandemie nicht in die Schulen zu können und eingesperrt gewesen zu sein. Dass es nicht nur darum geht, nach der Pandemie in einen Parforceritt von Tests und Klausuren geschickt zu werden. Sondern dass es nach der Pandemie schon wieder natürliche und gesellschaftliche Großkrisen gibt, die Kinder und Jugendliche gleichermaßen belasten: Krieg, Klima und Angst um die Zukunft.
Ich habe hier für Bildung.Table näher beschrieben, was der Ethikrat gutachtet - und wie Alix Puhl von tomoni darüber denkt.
Beim Krisenchat ist die Zahl der Anfragen besorgter Jugendlicher um 150 Prozent gestiegen
Das zeigen zwar alle Studien und auch ein vermehrtes Aufkommen von Ängsten und Nöten bei Kindern. Beim Krisenchat zum Beispiel, der Jugendlichen anbietet, 24 Stunden lang via Messenger mit Profis über Unwohlsein, Depressionen oder mehr zu reden, beim Krisenchat also ist das Aufkommen der Klagen von Kindern und Jugendlichen um 150 Prozent gestiegen – im Vergleich zum Corona-Jahr 2021.
Aber der Ethikrat brauchte die qualitativen Aussagen von Jugendlichen direkt?
Zu dem Befund gehört auch, dass die KultusministerInnen schon kurz nach Beginn der Pandemie anfingen, das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen zu einem riesigen Thema zu machen – aber nur rhetorisch, in Reden und Pressemitteilungen. Es gab keinen einzigen Krisengipfel in der KMK mit psychologischen Profis. Obwohl der dringend nötig gewesen wäre.
Familienministerin Paus: Zehn Millionen „für unsere Idee“
Das Bundesfamilienministerium plant gerade, so genannte Mental-Health-Coaches in die Schulen zu schicken. 10 Millionen Euro wurden dafür locker gemacht.
Man darf gespannt sein, welches Konzept die grüne Familienministerin Lisa Paus für ihre gute Idee hat.
Aber man möchte, ehrlich gesagt, nicht wissen, welchen Ringelpiez die Kultusminister daraus machen werden. In den Bundesländern ist ein Schulpsychologe für zwischen 6.000 und 13.000 SchülerInnen zuständig. Wann wird sich daran etwas ändern? Müssen die Jugendlichen wieder Jahre warten?
Emilia Fester hat keine Zeit: sie ist die grüne Berichterstatterin für die Mental Health Coaches
update 1: Pisaversteher hatte aus Quellen erfahren, dass die Mental Health Coaches für Schulen gleichaltrige Schülerinnen und Schüler sein sollen, die eine besondere Fortbildung erhalten. Der Versuch, darüber mehr aus dem Familienministerium zu erfahren scheiterte. Immerhin sagte die Ministerin zu Pisaversteher:
„Die Zahlen zur seelischen Verfassung der Jüngeren müssen uns alle alarmieren. Man kann hier nicht einfach sagen: Weiter so. Es sind neue Anstrengungen auf vielen Ebenen notwendig. Junge Menschen müssen in ihrer psychischen Resilienz gestärkt werden und in Krisen Ansprechpersonen haben, die schnell erreichbar sind und kurzfristig helfen, so dass niemand mit psychischen oder sozialen Problemen auf der Suche nach Hilfe verloren geht. Dass der Bundestag 10 Millionen Euro für unsere Idee der Mental Health Coaches bereit gestellt hat, ist ein erster Schritt.“
Lisa Paus
update 2: Nach fünf Tagen Anfragen hat Pisaversteher gestern (Dienstagabend 29/11/22) erfahren, dass die Abgeordnete Emilia Fester sich mit diesem Thema auskenne. Sie sei die Berichterstatterin. Eine Mail an Frau Fester blieb unbeantwortet. Ein Anruf wurde abgewiesen. Dann kam eine Mail des Pressesprechers (!) der jüngsten MdB: „Frau Fester hat momentan leider keine Kapazitäten für ein Gespräch zu diesem Thema.“
Da dieses Thema ja eigentlich ihr wichtigstes und einziges ist, hab ich mir erlaubt, ihren Sprecher Herrn Bomhard noch mal anzurufen. Ergebnis: der Terminkalender diese Woche sei wirklich total voll. Sorry!
Ich sagte: „Kein Problem, die Linken, die CDU, die FDP, die CDU, die SPD und auch die AfD haben zu diesem Thema viel zu sagen.“
Die grüne Fraktion spielt den Ball zurück an Lisa Paus
update 3: Die grüne Berichterstatterin für das Familienministerium MdB Fester kann oder will nicht erklären, was die an Schulen so dringend benötigten Mental Health Coaches genau sind bzw. machen sollen. Die Sprecherin der Fraktion, Hannah Beitzer, erklärt: „Die richtigen Ansprechpartner für diese Frage sind die Kolleg*innen in der Pressestelle des BMFSFJ“. Sind sie offenbar nicht, denn sie berichten kein Konzept.
So richtig versteht man nicht, warum die Grünen, die im richtigen Moment die richtige Idee haben, um das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Schulen zu fördern, nicht nach dem Motto verfahren: tue Gutes und rede darüber! Gleichwohl wirft diese Sprachlosigkeit ein bezeichnendes Licht auf Prioritätensetzung und Arbeitsweise der Ampel und speziell der Grünen: in der Bereinigungssitzung für den Haushalt des Jahres 2023 wurden ziemlich spontan fünf Millionen Euro zusätzlich für die so genannten Mental Health Coaches aufgerufen. Das muss ja irgendjemand gemacht haben. Dem Vernehmen nach kam dieser Antrag aus der Grünen-Fraktion. Aber egal, wer das nun beantragt und bekommen hat, kann man wirklich 10.000.000 Euro für ein Programm beanspruchen, das man nicht in der Lage ist zu beschreiben?
Es gibt übrigens ein vergleichbares Projekt, das sind die so genannten „Respekt Coaches“. Diese arbeiten auch an Schulen, sie veranstalten direkt in Unterrichtssituationen Rollenspiele und Lektionen mit SchülerInnen, die ein demokratisches Miteinander befördern. diese Coaches sind ausgebildete Fachleute. Wenn man von den Respekt- auf die Mental Health Coaches schließen kann, dann wären auch letztere ausgebildete Personen, als Psychologen oder z.B. psychologisch geschulte Sozialpädagogen.