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Die Kongresse von Reinhard Kahl versammeln das spannendste, was es an Köpfen in der deutschen progressiven Pädagogik gibt. Unter den Teilnehmern des Netzwerks „Archiv der Zukunft“ (AdZ) genau wie bei den Referenten. Das hat sehr viel mit Kahl, dem Fabulierer und Menschenzusammenbringer zu tun. Er hat zwei neue Kunstformen geschaffen – den gern ins Kitschige abdriftenden Bildungsfilm. Die Kongresse von Hamburg, Münster, Bregenz und Bregenz II. AdZ-Kongresse waren stets Wundertüten. Auch diesmal finden sich süße Bonbons darin – aber auch harte Nüsse, faule Eier und bittere Pillen.
Zwei Flotten
Der Kongress besteht, so könnte man es aufteilen, aus zwei Flotten: Die erste und größte ist die Kahl´sche Arche Nova, das Schiff, das im biblischen Sinne alle (reform-) pädagogischen Kunstformen und Akteure aufnimmt. Doch die Arche wurde diesmal last minute beladen. Das Personal war manchen AdZlern sattsam bekannt, aber dennoch gut. Es sind ja nicht irgendwelche, die Kahl zu deren und zum eigenen Ruhm einlädt: Gerald Hüther, Remo Largo, Manfred Spitzer usw. Sie bringen es sogar fertig, den Freaks des individuellen Lernens bis zu eineinhalb Stunden Frontbeladung zuzumuten. Ununterbrochen. Hinterher widerkäuen die Jünger die klugen Worte der älteren Herren bis allen der Kopf schwirrt von pädagogischen Phantasmen. Weil in Diskurs treten könne sie ja nicht.
Die Themen von morgen
Die zweite Flotte ist das neue BarCamp, ein Format, das ganz anders ist. Dialogisch, selbstorganisiert, kollaborativ, sich blitzschnell fortpflanzend und zellteilend in neue Workshops. Noch ehe die Kahl´sche Arche lostuckerte, etliche am Ufer zurück lassend, flitzten die Schnellboote der beiden Organisatoren Guido Brombach @gibro und Felix Schaumburg @schb hinaus auf den Bodensee und fischen die Themen von morgen: digitales Schulbuch, iPad-Klassen, kollaboratives Lernen mit und ohne Tools, Laptops und smartphones mit und ohne Verbote. Im BarCamp ist jeder Teilnehmer ein Teilgeber, wie die Edu-Hacker sagen, die Hacker der verschnarchten Education a la Bildungsrepublik.
Lieber renovieren
Das Barcamp startet am Freitag morgen mit 40 Leutchen, in der Hochzeit reden sich oben in Seegalerie und VIP-Foyer 130 Leute die Köpfe heiß. Aber als das BarCamp den Kongress herausfordern will, gehen Kahls große weise Männer lieber ihre Wohnung renovieren. Manfred Spitzer, der die Twitter-Community mit dem Satz an die Decke gebracht hat, dass Bildschirme weder in Kindergarten noch Grundschule etwas verloren hätten, weigert sich mit dem Verweis auf den Farbeimer zuhause, ins BarCamp zu kommen. Zudem sind die Anlegestellen der AdZ-Arche jetzt so eng gewählt, dass den Schnellbooten die Besatzung abhanden kommt. „Stell dir vor, es ist BarCamp und keiner geht hin!“, heißt der SOS-Tweet gegen 15 Uhr am Samstag.
Kongress der schönen Worte
Die Arche Nova, die ja wirklich so genannt wird, denn es ist immer mehr ein Kongress der schönen Worte als der Intelligentz der Praxis, die Arche also hat einen unverzeihlichen Fehler gemacht: Sie hat nicht alle mitgenommen, ja sie hat sogar Leute von Bord geworfen. Referenten, die mit unterschiedlicher Contenance darauf reagierten, dass sie nicht mehr im Programm waren. Ein Programm, das mehr oder weniger am Donnerstag abend zusammengestellt wurde und dann – kein Witz – 32 Seiten lang 1.500 Mal kopiert (sic!) wurde. Manche Referenten, die seit Wochen eingeladen waren und ebensolang nichts mehr gehört hatten, entschieden sich spontan am Freitag morgen, doch noch anzureisen – „weil zufällig ein Hotelbett frei geworden war.“
Glückliche Verbindung
Darin könnte die glückliche Verbindung der beiden Flotten liegen. Das Kahl´sche Prinzip des kreativen Chaos kommt im BarCamp zu sich selbst. Kahl bleibt der einladende Oberkapitän, aber er bekommt erste Offiziere wie @gibro und @schb zur Seite und einen echten Organisations-Maat wie @jmm_hamburg. Die Arche bekommt längere Anlegezeiten, sodass das Volk mit den alten Herren disputieren kann. Die Arche bringt die Menschen zusammen – aber in den BarCamps sollen sie die Richtung diskutieren und die alten Meister herausfordern können.
Wenn die Arche das nicht zulässt, wird sie keine der Zukunft sein. Dann geht sie unter.
Toller Text, mit heißem #metaphernbingo. Aber auch das passte zum Kongress.