Aber große Schmerzen ertragen

Andreas Huckele, ein Missbrauchsopfer, das in der Odenwaldschule beinahe zugrunde gerichtet wurde, hat eine bemerkenswerte Rede gehalten. (hier von der SZ dokumentiert.)

Huckele berichtet in seiner unnachahmlichen Mischung aus geradezu schroffer Direktheit und Überlegsamkeit, wie gruselig dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist: sexuelle Gewalt gegen Kinder.

Gleichzeitig ist Huckeles Text eine schonungslose und sogar witzige Illustration des Nichtstuns der Regierung:

„Sobald die Diskriminierung der Betroffenen beendet ist, sobald die Verjährungsfristen abgeschafft sind, werden mehr von uns sprechen. Ohne Zweifel.“

Sagt Huckele. Ob der Runde Tisch zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, der am 12. Dezember Bilanz zieht, und die angeschlossenen drei Ministerinnen der Bundesregierung das wohl (er)hören werden?

Huckele, alias Jürgen Dehmers, sagt vor Politikstudenten in kleiner Runde: „Wenn Sie mir erklären, wie Aufarbeitung gehen soll, dann übernehme ich das gerne.“

Huckele/Dehmers ist der Autor des Buchs, „Wie laut soll
ich denn noch schreien?“ Er stellt vielfache Bezüge her, die ja jeder selber lesen kann. Vielleicht am meisten berührt hat mich sein Vergleich zu den Namensgebern seines Preises.

„Die Geschwister Scholl haben durch ihren Mut ihr Leben verloren, ich habe durch das, was ich getan habe, mein Leben gewonnen.“

Aber die Bedeutung der Rede wird einem erst klar, wenn man die Zeitungen dieser Tage weiterliest:

– sie berichten, dass die Regierung tatsächlich gewillt ist, mit einem renovierten Gesetz nicht artgerechten Sex zu bestrafen (siehe unten ***) – mit Tieren wohlgemerkt

– bei den Menschen bleibt die Sache schwierig. Ein mit drei Bundesministerinnen besetzter Runder Tisch kommt nicht vom Fleck. Ein Jahr nach Abschluss ist praktisch nichts von dem umgesetzt, was die Opfer brauchen: Ein Hilfenfonds (die Länder blockieren und verweigern ihre 50 Mio €), eine Clearingstelle (die sensibel, pragmatisch und schnell Hilfe für Betroffene organisiert) und und und. Die Politik so scheint es, hält das Spiel offen. Die federführende Ministerin Kristina Schröder hat praktisch nichts erreicht. Alles, was sie vorweisen kann, ist eine PR-Kampagne, welche die Bevölkerung aufklären soll. Budget: Vier Millionen Euro. Die Missbrauchs-Initiativen, an die sich die sensibilisierten Menschen dann mit ihren Fragen und Krisen wenden werden, sie bekommen keinen Cent von den Werbemillionen.

– Und in Berlin zeigt die (Boulevard-) Presse derweil eindrucksvoll, wie wenig sie von Missbrauch verstanden hat. Die mutmaßliche Vergewaltigung einer wehrlosen, mit Medikamenten sedierten 16jährigen Patientin durch einen Pfleger benutzt sie, um wechselnd Jagd zu machen: auf den Täter, auf die Charité (mal ist sie inkonsequent, mal voreilig), auf dem Klinikchef, auf die Aufklärer.

Über die Sendung „Tatort Internet“ etwa, bei der eine gemimte Julia (12) im Netz in Chatrooms unterwegs war und SOFORT und ZIELORIENTIERT von Pädokriminellen aller Couleur angegroomt wurde, schreibt die BZ, man habe Mädchen als Lockvögel benutzt.

„Mädchen wurden mit versteckter Kamera dabei gefilmt, wie sie Männer in Hotelzimmer lockten.“

Huckele würde zu so einer grotesken Verdrehung von Täter- und Opferrolle vermutlich sagen:

„In welcher Welt wollen wir leben? Wollen wir es weiter hinnehmen, dass die Rechtslage und die Strukturen in unseren pädagogischen Einrichtungen die Täter schützen und nicht die Kinder? Oder wollen wir etwas anderes? Und was sind wir bereit dafür zu tun?“

*** Die Bundesregierung begründet die Verschärfung des strafrechtlichen Sexverbots mit Artgerechtigkeit.
Wäre sie konsequent, so würde sie sexuellen Missbrauch mit Kindern auch dann bestrafen, wenn er – wie bei bestimmten Reformpädagogen – artgerecht stattfindet – also als Knabenliebe oder pädagogischem Eros oder Nähe zum Kind.