Anmerkungen zum Iglu-Vergleich

Oder: Pisa, Iglu und die ganzen Schülertests geben uns Bürgern wichtige Instrumente in die Hand – um die Politikleistungen der Kultusminister zu kontrollieren

Vor ein paar Stunden war es wieder so weit und wir hörten, dass die deutschen 10-jährigen bei Iglu – der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung – ganz gut abgeschnitten haben.

Nachrichtlich: Deutschlands 10jährige halten ihre Position knapp hinter der Spitzengruppe, die Leseleistungen gehen leicht zurück (2011: 541) im Vergleich zu 2006 (548). Es gibt in Deutschlands Grundschulen nur eine geringe Zahl von Spitzenschülern (5-9,5 Prozent) und große Zahlen von Risikoschülern von 15 bis 22 Prozent. Bildschirmfoto 2012-12-12 um 11.16.12Der Leiter der Studie, Wilfried Bos, sagte zu der geringen Zahl an Spitzenschülern, „wir vergeuden Talente.“ Und fragte, „ob wir es uns leisten können, dass 15 bis über 20 Prozent an Schülern die Grundschule mit großen Defiziten verlassen. Normativ ist das nicht in Ordnung.“

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Die Politik redete sich die Studie, wie so oft, schön. Und sie entdeckte, wie es der KMK-Präsident Ties Rabe formulierte, „ein neues Handlungsfeld“ – den Mangel an Spitzenschülern. An dieser Stelle rieb man sich verwundert die Augen: Ist es nicht so, dass Deutschland sich seit dem Pisa-Schock 2001 vor allem durch zwei Phämomene auszeichnet: Sehr wenige Spitzenschüler – und sehr viele Risikoschüler. Das ist deswegen besonders bemerkenswert, als dass das Land für beide Gruppen eigentlich Spezialschulen hat – die Gymnasien als Trainingsanstalten für gute Schüler und die Haupt- und Sonderschulen für die langsameren Lerner. Wozu noch Bildungs-Studien, wenn sie das verantwortliche Personal lediglich zu Entdeckungen auf niedrigstem Niveau veranlasst?

Zu Iglu und den teilweise absurden Kommentierungen („Schluss mit dem Reformwahn“ „Lehrer müssen in Ruhe arbeiten können“ etc. z.B. Spon ) grundsätzlich:

Ich finde es, erstens, gut, dass die deutschen Grundschulen sehr gut sind im internationalen Vergleich – auch wenn die nationalen Differenzen irrsinnig hoch ausfallen. (Thüringen ’06 sieben Prozent Risikogrundschüler – Weltmeister! – , Berlin 25 Prozent! Hertha!) Und es ist, zweitens, auch gar nicht schlimm, Schüler miteinander zu vergleichen.

Solange es nicht darum geht, den (angeblich) individuellen Standort des Kindes damit zu bestimmen (durch Noten), sondern für einen möglichst scharfen Blick aufs Bildungssystem, ist das OK.

Dennoch muss man an die Länder-und-Staaten-Vergleiche Iglu bzw. den innerdeutschen Grundschulenvergleich des IQB, des „Instituts zur Qualitätsentwicklung im deutschen Bildungswesen“, ein paar Fragen richten. Die wichtigste: Welchen Grund hat das IQB eigentlich, eine Testreihe anzulegen, die außerhalb des Musters von Iglu ist? Richtig. Dafür gibt es keinen einzigen vernünftigen Grund außer den, Vergleiche nicht möglich zu machen. Also Erkenntnisse, die man gewinnen könnte, zu verschleiern.

Messen um zu verschleiern? It´s like KMK, stupid!

Etwas messen, um es dann zu verschleiern? Das ist typisch KMK, das ist der Auftraggeber des Berliner Instituts für Qualität. In ihrer schattigen ständigen Ministerrunde der Kultusfritzen (=KMK), dem so ziemlich undemokratischsten und ineffizientesten Teil der deutschen Demokratie nach dem Verfassungsschutz, wollen die 16 deutschen Schulminister schön unter sich bleiben beim Interpretieren. Hinterher erklären sie dann, dass alles besser geworden ist. Diesmal wird es Ties Rabe, Hamburg, tun (SPD übrigens, schwer zu glauben). Merke: Seit dem Pisa-Schock 2001 wird alles besser, immer besser! Sagen die Kultusminister – blöderweise glaubt außer ihnen keiner, niemand, dass es so sei.

Ein Beispiel: Bei Iglu kommt Bayern auf 9,1 Prozent Schüler unter Stufe III. Beim IQB-Vergleich sind es aber 26 Prozent der Schüler, die unter Stufe III bleiben. Unmöglich zu vergleichen, schade. Im Grund ist beinahe sinnlos, solche Studien hintereinander zu schalten. Aber man erkennt wenigstens deutlich, was die Idee der KMK war, sich aus Iglu teilweise zurück zu ziehen – um bestimmte Ergebnisse nicht mehr publik zu machen.

Testeritis nicht für die Katz

Nein, deswegen ist das Messen dennoch nicht für die Katz. Ohne Pisa und Iglu wüssten wir nämlich nicht, dass 20 Prozent der 15-jährigen SchülerInnen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben können. Aber ich möchte das wissen.

Der Staat hat ein Pflichtschulsystem errichtet. Dafür gab und gibt es gute Gründe – und einer der wichtigsten davon ist der, allen jungen Menschen in diesem Land möglichst gleiche Startchancen einzuräumen.

Aber: Wir tun das nicht, genauer: Die Kultusminister versagen seit 11 Jahren absolut kläglich dabei, von dieser horriblen Zahl herunter zu kommen: Ein Fünftel kann nicht lesen!

Iglu, der Lese- und Verstehens- und Mathevergleich von Grundschülern, ist also durchaus sinnvoll. Wir lernen viel daraus. Dass Thüringen Weltmeister von 45 teilnehmenden Staaten im Jahr 2006 war, mit Verlaub, egal. Wichtig ist, dass es Thüringen gelingt, viel mehr gute Schüler als schlechte in seinen Grundschulen zu haben. Pardon, es ist kein abstrakter, sinnloser Wert, ob es – wie Thüringen – ein Land mit seinen Lehrern schafft, 15 Prozent der Grundschüler auf Lesestufe V zu bugsieren. Und nur 6,8 Prozent unter Lesestufe III bleiben. (Iglu 2006)

Was heißt das? Dass es einem deutschen Bundesland gelingt – sei´s drum, ob das jetzt die Eltern oder die Lehrer oder beide sind -, so einen großartigen Erfolg zu erzielen. Zum Vergleich: Bislang gab es in vier Pisastudien (die zum Unterschied von Iglu mit 15-Jährigen vorgenommen werden) meines Wissens nur zweimal, mehr gute als schlechte Schüler. Viermal verglichen sich Schüler aus 16 Bundesländern, das sind mehr als 60 Testreihen und kümmerliche 2 Mal hatten wir nen positiven Saldo.

Hey, das ist gut, was Thüringen und Bayern und Meck-Pomm und Sachsen usw. bei der Leseuntersuchung von Grundschulen zustande brachten! Die spannendste Frage, die sich daraus ergibt ist übrigens die: Wieso gelingt es den deutschen 10jährigen auf Platz eins von 45 Nationen zu landen? Und die 15jährigen schneiden dann aber viel schlechter ab?

14 Schulen - und kein bisschen Besserung
14 Schulen – und kein bisschen Besserung

Was passiert, mit anderen Worten, ab Klasse fünf? Eine sehr unbequeme Frage, auf die Schulminister mit sehr hektischen und unkoordinierten Reformen reagieren. Aus vier weiter führenden Schulen haben sie 14 Schulformen gemacht. Puuh, wer soll das verstehen?

(Siehe im folgenden, wie ein Lese-Ergebnis auf Stufe V bzw. I oder II zustande kommt, am Beispiel des letzten IQB-Tests. Im ersten Teil sieht man das Ende einer kleinen Geschichte, die die Kinder zu lesen bekamen. Der 5-Sterne-Schüler kann den letzten Satz der Geschichte interpretieren; der 2-Sterne-Schüler arbeitet deskriptiv.)

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Aber wir haben bei Iglu auch andere Sachen gelernt, die nicht so witzig sind: In Berlin unterscheiden sich die Kinder aus Familien mit mehr als 100 Büchern um 70 Iglu-Punkte von den Familien unter 100 Büchern.

Was bedeutet das nun wieder?

Bücher zählen! Wenn viel Buch, dann gut lesen. Klingt trivial, ist es auch. Aber es ist offenbar gar nicht trivial, zuhause auch tatsächlich mit den Kids zu lesen. Nirgendwo sonst in Deutschland war die Lese-Buch-Differenz so groß wie in Berlin. Und Thüringen ist übrigens eines jener Bundesländer, die am intensivsten Leseförderung treibt – in und außerhalb der Schule.

Bildschirmfoto 2012-12-11 um 00.55.57Bayern hat von Iglu 2001 zu 2006 seine Leistungen sogar noch gesteigert. Hessen hat das nicht geschafft, im Gegenteil. Sogar Bremen, das bildungspolitisch anerkannt am schlechtesten regierte deutsche Land, hat die Leseleistungen seiner 10-Jährigen verbessern können.

Ich finde, das sind wichtige Informationen. In der Sprache der Pisa- und Iglu-Forscher nennt man das Steuerungswissen. Leider haben die Schulminister aus diesem Wissen wenig gemacht. Das Problem von Pisa ist nicht Pisa, sondern es sind die Politiker. Für uns Bürger geben die Ergebnisse wichtige Daten an die Hand: Wir können sehen, ob sich Bildungspolitik rational entscheidet.

Und, ja, das hat oft mit dem, was in der einzelnen Schule vor sich geht, wenig zu tun. Aber, dafür ist Iglu als Vergleichstest für Schulsysteme auch nicht da. Das müssen die Lehrer, Schulleiter und Eltern vor Ort machen. Die großen Leistungstests sind dazu da, herauszufinden, wo das einzelne Land steht, manchmal auch die einzelne Schule. Wo das Kind steht, ist Sache der Arbeit in der Klasse. Und zuhause.