Nötige Anmerkungen zu Annette Schavan
Das spannende am Fall Schavan ist, dass sich plötzlich Heerscharen von Journalisten mit Wissenschaft und Bildung befassen. Dabei geht mitunter ein bisschen was durcheinander. Daher ein paar nötige Anmerkungen zu Leistungen und Fehlleistungen von Annette Schavan.
1) Annette Schavan muss nicht Konsequenzen ziehen, weil sie Fehler in ihrer Dissertation machte, sondern weil sie Bildungsministerin ist. Sie hätte es längst zurücktreten müssen, und zwar in dem Moment, da ihr Doktorhut ins Wackeln geriet. Das hat mit der Autorität und Glaubwürdigkeit einer Bildungsministerin zu tun.
Eine Bundesministerin für Bildungsabschlüsse, deren eigenes Examen in Zweifel gerät, hat beides nicht mehr – Autorität und Glaubwürdigkeit. Da ist es vollkommen egal, ob die Arbeit lange zurück liegt, eigentlich ganz ordentlich ist und die Promovendin sehr jung war.
2) Annette Schavans Doktorarbeit ist ein kleines Glanzstück der Wissenschaft. Alle, die jetzt über sie herfallen, sollten endlich mal einen Blick in die Arbeit werfen, die eine 25-jährige abgeliefert hat. Das war außerordentlich, sie dürfte damals zu den jüngsten Doktoranden Deutschlands gezählt haben. Ihre Vorgängerin als Bildungsministerin, Edelgard Bulmahn (SPD) hat mit der Juniorprofessur entscheidendes dafür getan, dass Doktoranden langsam wieder jünger werden.
Wie streng man diese Doktorarbeit nun mit den Maßstäben von heute auch immer beurteilen mag, ist eine spannende Frage – aber sie darf nicht unter der Belastung geführt werden, dass damit die Würde und das Amt des Bundesministers für Bildung beschädigt wird.
3) Diverse Diskutanten beginnen, die Leistungen der Ministerin Schavan ins Feld zu führen, zumal die für die Elite im Land. Es ist richtig, dass Frau Schavan von jeher eine besondere Befürworterin von Elite war, schon als Leiterin des Begabtenförderwerks Cusanus. Aber hier wird vielleicht am deutlichsten, wie riesig der Autoritätsverlust von Annette Schavan ist: Wie soll sie vor Eliteabsolventen, deren Abiture und Examina besonderen, auch formalen Ansprüchen genügen müssen, glaubwürdig auch nur einen Satz sagen mehr können – in dem Moment, da ihr Abschluss öffentlich und begründet in Zweifel gezogen wird?
Oder anders: Wie soll Dr. No mit Doktoren sprechen, ohne Schmunzeln auszulösen?
4) Unter anderem wird nun Annette Schavan zugebilligt, dass sie wie keine andere Elite-Unis stehe. „Exzellenz, Elite und Internationalität hängen wir Aufkleber an der Wissenschaftsministerin Schavan“, schreibt etwa DIE WELT. Der Satz an sich ist widersprüchlich, denn derzeit haftet im öffentlichen Verständnis nicht Exzellenz an ihr, sondern Versagen und Betrug. Aber der Satz ist auch deswegen falsch, weil der Autor ihn auf die Exzellenz-Initiative bezieht, also die milliardenschwere Förderung weniger Hochschulen als so genannte Elite-Universitäten. Diese Förderung hat nicht Frau Schavan erfunden, sondern ihre Vorgängerin Edelgard Bulmahn (SPD). Annette Schavan, das soll der historischen Wahrheit wegen erwähnt sein, hat sich zu dieser Idee extrem abweisend geäußert. Sie sei entsetzt, sagte sie im Januar 2004, als die Idee ventiliert wurde. Das ganze Projekt sei unerträglich, sagte Schavan damals. Kein anderes Land komme auf den Gedanken, dass man Elite schaffen könne, indem man fünf Universitäten fünf Jahre lang mit Elitezuschüssen fördert. Auch für diese Äußerung würde man ihr heute keine Ehrengrade mehr verleihen. Weil sie einfach sehr sehr merkwürdig waren. Annette Schavans Bildungspolitik war von jeher undurchsichtig, was sie in der Realität gut fand und was sie politisch umsetzte, das ging meist weit auseinander. Freitag
Frau Schavan ist eine brillante Rednerin, eine Frau, die Prinzipien mit Klugheit und Rückgrat verteidigen kann, und es ist eine persönliche Tragödie, dass ihre Doktorarbeit heute so unter die Räder kommt.
Aber Frau Schavan muss zurücktreten. Das ist vollkommen klar. Eine Bildungsrepublik erträgt es nicht, wenn die Universität der Ministerin wegen Betrugs den Doktortitel aberkennt – und die Politik diese Ministerin dennoch im Amt hält.