Warum die Grünen schon lange wussten, wie der Missbrauch von Macht zu sexueller Gewalt führt – sie es im Bundestagswahlkampf 2013 aber für fünf Monate vergessen hatten

Kommentar für RBB-Kulturradio am 13.11.14

Vor einem Jahr bescherte die Diskussion über die Macht der Pädophilen den Grünen eine schallende Ohrfeige bei der Bundestagswahl. Der Parteienforscher Franz Walter, der die Archive der Partei nach verdächtigen Beschlüssen durchforstet hat, legte gestern seinen Abschlussbericht vor. Christian Füller hat sich angehört, ob und wie zerknirscht die Partei über ihre Vergangenheit war.

Kommentar: Eins vorneweg: Entschuldigt hat sich Grünen-Chefin Simone Peter nun wirklich ausführlich – für die pädosexuellen Strömungen und Programme ihrer Partei in den 1980er Jahren. „Wir bedauern zutiefst, dass Täter unsere Beschlüsse als Legitimation für ihre Taten empfunden haben können“, sagte sie. Und: „Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern ist immer sexualisierte Gewalt gegen Kinder.“ Das wüssten die Grünen schon lange, betonte Frau Peter.

Aber genau dieser Satz – „wir wissen das schon lange“ – musste stutzig machen, als die Grünen gestern mit dem Parteienforscher Franz Walter ihre Missbrauchs-Studie vorstellten. Wenn die Grünen das wussten, wieso haben sie dann nicht letztes Jahr im Bundestagswahlkampf gesagt: Das Gerede Daniel Cohn-Bendits über „fantastischen Sex“ von Kindern tut uns leid! Wir verneigen uns vor den Betroffenen! Nein, damals hieß es gebetsmühlenartig, „wir sind nicht der Ort der Täter“. (Renate Künast)

„Sex mit Kindern“: Grünes Thema der 1980er

Franz Walter hat die Schuld der Grünen klar herausgestellt: eine Partei habe in der deutschen Demokratie ein hohes Gewicht bei der Meinungsbildung – also trage sie volle Verantwortung für ihre Beschlüsse. Zum Beispiel den, dass sogenannter Sex mit Kindern zu legalisieren sei. So steht es im Grünenprogramm des Jahres 1980. Die in der Partei exzellent vernetzte „Arbeitsgemeinschaft Schwule&Päderasten“ – ja, so etwas gab es wirklich bei den Grünen! – konnte diesen Programmpunkt wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Mutige Frauen wirkungslos: Sexuelle Befreiung wichtiger

Das interessante an der Studie Walters ist, dass er sehr frühe Stimmen bei den Grünen entdeckt hat, die unmissverständlich den Trennstrich ziehen wollten: „Sex mit Kindern“, das gibt es nicht, sagten die, das heißt in Wahrheit sexueller Missbrauch. Und sie forderten: Schmeisst die Pädos raus! Grünenchefin Peter hatte also Recht mit ihrem Hinweis, dass das moralische Gewissen ihrer Partei vorhanden war. Nur: Warum wurde es nicht wirksam? Wieso haben mutige Frauen und Feministinnen laut opponiert – aber dennoch keinen Einfluss auf die Meinungsbildung in der Partei bekommen? Etwa weil bestimmten Männern und Mitläufern die „sexuelle Befreiung“ wichtiger war?

Die Grünen sind – so paradox das klingen mag – ab dem Wahltag sehr offen mit ihrer Geschichte umgegangen. Ihr Archive standen sperrangelweit offen. Franz Walter sagte, er habe noch nie so frei arbeiten können. Das ist die gute Nachricht.

Opfer mussten ein Jahr auf professionelles Zuhören warten

Die schlechte für die Grünen ist diese: Die Opfer mussten ein Jahr darauf warten, ehe ihnen die Grünen professionelles Gehör schenkten. Jürgen Trittin hatte als Spitzenkandidat der Grünen 2013 eine Anlaufstelle für Opfer abgelehnt. Und von den grünen Kommunen, der Indianerkommune Nürnberg und dem Dachsberg in NRW, die sexuellen Missbrauch wie ein Ritual praktizierten, hat die Partei immer noch keine Ahnung.

Die Aufarbeitung hat also gerade erst begonnen.