Schaffen Hunde sozialen Frieden – oder ziehen sie die Stadt runter?
„Manche Hundebesitzer verwechseln ihren Hund mit einem Kind oder ihrem Ehepartner. Das ist völlig falsch.“ (Hundetrainer)
„Ein Dogwalker kann bis zu 20 Hunde ausführen. Es gibt aber auch welche, die sind schon mit drei Hunden überfordert.“ (Dogwalker)
„Die Kampfhundliste sollte von den Bundesländern näher verhaltensbiologisch begründet werden. Das ist nie geschehen.“ Bürgerinitiative Bello adé
„Ehrlich gesagt, das [neue Hunde-] Gesetz ist egal. Es handelt sich um Legislativfolklore. Keiner wird sich an das Gesetz halten“ (Harald Martenstein)
Samstag Podium im „House of Dogs“
Das neue Berliner Hundegesetz, seit drei Jahren in der Mache, ist erneut verschoben worden. Alle Bello-Dialoge nutzten nichts. Die SPD-Fraktion stellte sich im letzten Moment quer. Damit ist das Gesetz nicht rechtzeitig zum großen Hunde-Podium am Samstag fertig. Bei der House of Dogs, der ersten reinen Hundemesse in Berlin, gibt es neben unzähligen Vorträgen, Fressalien, Hunderöckchen, Schönheitsküren usw. rund um den Hund auch ein politisches Podium.
Das neue Berliner Hundegesetz: Anfang oder Ende des Hundefriedens in der Hauptstadt?
Samstag, 13 Uhr, House of Dogs, Straße der Pariser Kommune 8, 10243 Berlin. Moderation: Christian Füller
Über das Hundegesetz und die Zukunft der Hunde diskutieren die Dogwalker (gewerbliche Hunde-Gassi-Geher), die Bürger-Initiative Berliner Schnauzen, der Tierschutz, der Verband der Hundeerzieher sowie die Berliner Justizstaatssekretärin, in deren Zuständigkeit das Gesetz liegt.
Am oberen Ende der Leine
Die Diskussion dreht sich um drei Komplexe:
- Tragen Hunde zur Befriedung der Stadt bei – oder schüren sie Aggressionen und (Kampfhund-) Angst?
- Leinen- und Tütchenzwang: wie artgerecht und praktikabel ist das?
- Reich & Sexy: Der Hauptstadthund als Hundert-Millionen-Euro-Wirtschaftsfaktor
„Wir befassen uns mit diesem Gesetz zum ersten Mal mit dem oberen Ende der Leine“, sagt Staatssekretärin Sabine Toepfer-Kataw (CDU). „Die Stadt ist nicht der ideale Lebensraum für Hunde, auch die Nicht-Hundebesitzer müssen sich sicher fühlen.“
Zum Hundegesetz gibt es übrigens eine Stellungnahme einer Bürgerinitiative, die es in sich hat:
- Anleinpflicht: Die Ausnahmen sind so weit gefasst, dass es faktisch keine Anleinpflicht gibt.
- Hundeführerschein: Die diesbezüglichen Ausnahmen bewirken, dass die Regelung erst in 14 Jahren wirksam wird.
- Das Recht der zuständigen Behörden, Hunde-Mitnahmeverbote auszusprechen, wird unnötigerweise auf Erholungsgebiete eingeschränkt.
- Die Bestimmung zum Mitnahmeverbot lediglich auf gekennzeichneten Liegewiesen widerspricht dem Grünanlagengesetz.
- Dogwalker/innen dürfen eine unbegrenzte Zahl an Hunden mitführen, und somit weit mehr, als sie in einer Gefahrensituation festhalten können.
- Die Umsetzung des Gesetzes ist nicht gewährleistet, da die Ordnungsämter in den Bezirken unzureichend mit Personal ausgestattet sind und das vorhandene Personal zudem nicht hinreichend geschult ist.
- U.a. fehlt die Registrierung der DNA, da nur eine solche die konfliktfreie, gerichtsfeste Identifizierung von Verursacher/innen von Hundeattacken und liegen gelassenem Kot ermöglicht.
Die Stadt der Tiere
„Hätte man endlich mal die Praktiker sich die Köpfe einschlagen lassen – und zugehört, dann wäre ein besseres Gesetz rausgekommen“, meint Dogwalker Thomas Bursch. Mit Praktikerin meint er nicht in erster Linie die Halter von Hunden, sondern die Profis: Tierärzte, Dogwalker, Hundetrainer, Züchter, Tierhandlungen.
Ines Krüger, Tierschützerin, ist erbost über ein Gesetz, das weder auf Hund noch Halter Rücksicht nimmt: „Genereller Leinenzwang behindert den natürlichen Bewegungsdrang von Hunden und provoziert somit sogar Verhaltensauffälligkeiten.“ Das Gesetz bediene viele Punkte – „aber sicher nicht die Aspekte des Tierschutzes“, sagt sie – und grüßt aus der Stadt der Tiere.
„Hundegesetze greifen nur bedingt, weil sie das Verhalten im öffentlichen Raum regeln“, sagt Rainer Schröder vom Berufsverband der Hundeerzieher und Verhaltensberater. „Die überwiegende Zahl der Beißvorfälle ereignen sich jedoch im privaten Bereich.“
Anni Kari Sieme von den Berliner Schnauzen sagt: „Allein in Berlin generiert die Hundehaltung fast 200 Millionen Euro Umsatz pro Jahr und sichert so Tausende von Arbeitsplätzen.“ Und: Sie findet es falsch, „bestimmte Hunderassen pauschal als gefährlich zu deklarieren.“
Die Thesen der TeilnehmerInnen in ganzer Länge:
Ann Kari Sieme, Berliner Schnauzen
1. Der Leinenzwang birgt die Gefahr, dass Hunde aufgrund von unzureichender Auslastung und Unterbeschäftigung Verhaltensprobleme entwickeln.
2. Entscheidend für die Prävention vor Beißvorfällen sind die Tierschutz-Bildung der Gesellschaft und der individuelle Umgang mit bereits auffällig gewordenen Hunden und keinesfalls eine Rasseliste, die bestimmte Hunderassen pauschal als gefährlich deklariert.
3. Allein in Berlin generiert die Hundehaltung fast 200 Millionen Euro Umsatz pro Jahr und sichert so tausende von Arbeitsplätzen.
Sabine Toepfer-Kataw, Staatssekretärin Justiz
„Zum ersten Mal hat sich der Gesetzgeber mehr mit dem oberen als mit dem unteren Ende der Leine befasst. Die Hundehalter wurden bei einem groß angelegten Bello-Dialog einbezogen.“
„Das Gesetz soll mit der Leinenpflicht zur Beruhigung jener Menschen beitragen, die Hunden begegnen. Da ist es ein Schritt in die richtige Richtung.“
„Uns ging es darum, dass alle, die mit Hunden ein gutes Verhältnis pflegen wollen, gute Möglichkeiten in der Stadt haben. Die Stadt ist ja nicht der ideale Raum für Hundehaltung. Auch die Nicht-Hundebesitzer müssen sich sicher fühlen.“
Ines Krüger, Tierschutzverein Berlin
– Auch wenn das Kind nun einen anderen Namen hat und die Rasseliste nicht mehr Rasseliste sondern Rechtsverordnung heißt, ist dies aus Sicht des Tierschutzes fatal; Hunde nur aufgrund ihrer Rasse per se als gefährlich einzustufen, stigmatisiert Hund UND Halter. Menschen werden weiterhin keine Mietverträge bekommen, wenn sie ein solches Tier besitzen und das Tierheim Berlin wird auch zukünftig mit der bitteren Realität allein gelassen, Hunde dieser Rassen über Jahre zu betreuen und zu versorgen, da ihre Vermittlung schwer bis kaum möglich ist.
– Wer Hunde generell an die Leine legt, muss Sorge dafür tragen, dass es GENÜGEND Auslaufflächen in der Stadt gibt. Genereller Leinenzwang behindert den natürlichen Bewegungsdrang von Hunden und provoziert somit sogar Verhaltensauffälligkeiten.
– Dieses Gesetz mag viele Punkten bedienen wollen – einen ganz sicher nicht, die Aspekte des Tierschutzes. An welcher Stelle sind die Expertenempfehlungen der Anhörung eingeflossen, an welcher Stelle finden sich die Ergebnisse des Bello–Dialoges?
Rainer Schröder, Vorsitzender des Berufsverbands der Hundeerzieher/innen und Verhaltensberater/innen:
1. Hundegesetze greifen nur bedingt, weil sie das Verhalten im öffentlichen Raum regeln. Die überwiegende Zahl der Beißvorfälle ereignen sich jedoch im privaten Bereich.
2. Der Hund trägt als Familienmitglied und Sozialpartner zu Wohlbefinden und Gesundheit bei und stellt einen beträchtlichen Wirtschaftsfaktor dar. Dieser Bedeutung sollte in Gesetzen und Verordnungen Rechnung getragen werden.
3. Es nutzt nichts, Gesetze zu erlassen, die nicht überwacht werden können. Die Umsetzung muss geregelt werden. Verordnungen werden meist von Verwaltungen erarbeitet, ohne Experten hinzuzuziehen.
Thomas Bursch, Dogwalker
„Niemand hat verstanden, dass die Rasseliste des Senats verhaltensbiologisch nicht haltbar ist“.
„Wenn Bezirke bestimmen, wo die Leute mit ihren Hunden spazieren gehen dürfen – und vor allem: wo nicht – bricht das Chaos in der Stadt aus.“
„Man sollte endlich mal den Praktikern zuhören, wenn sie sich die Köpfe einschlagen – dann käme ein gutes Hundegesetz heraus. Praktiker sind Tierärzte, Zoohändler, Dogwalker, Hundetrainer usw.“