Sie müssen die „Du spielst nicht mehr mit“-Kompetenz in der Tasche haben. Aber vor allem müssen sie Lehrerteams motivieren können.
Deshalb brauchen wir eine große unabhängige bundesweite Schulleiterakademie – zu der Stiftungen keinen Zutritt haben
Die Debatte um Zahl und Eigenschaft von Schulleitern ist wahrscheinlich so alt wie die Schule selbst. Seit Jahren ploppt sie immer wieder auf, weil die (strukturell armen) Länder ihre Schulen personell so heruntergewirtschaftet haben, dass sich für die wichtigen, aber wenig herausgehobenen und (vergleichsweise) schlecht bezahlten Leitungskräfte kaum noch Bewerber finden: Wer will den aufregenden und aufreibenden Job „Schulleiter/in“ unter diesen Bedingungen machen? Viel zu wenige!
Pisaversteher hat vor längerem zu diesem Thema drei Kernsätze einer großen Schulreform formuliert, bei der die Rolle der unabhängigen starken Schulleiter autonomer Schulen auf Platz 1 stand: ich forderte eine große Schulleiterakademie auf nationaler Ebene, bei der pädagogische Qualifikation und Leitungsvermögen gezielt gefördert werden. (Nummer 2 war individuelles Lernen; Nummer 3 eine große halbstaatliche Stiftung)
Aktuell rast das Thema in der Lehrerfilterblase erneut hoch, weil Kolleginnen der Welt am Sonntag das Thema tausender fehlender Schulleiter aufgegriffen haben. Daraufhin schimpfte der kluge Schulleiter @T_Off aus Schleswig-Holstein, wieso man das Thema nicht mal frischer und interessanter behandeln könnte.
immer mal wieder ein Artikel mit dem Titel „Schulleitung verzweifelt gesucht“. Gefühlt copy&paste. #nixNeues https://t.co/XL7kHqB4yV
— ich bin off (@T__Off) June 19, 2016
Darauf gabs sofort viele Reaktionen, u.a.
@T__Off und du fühlst dich als Ausnahme?
— tommdidomm (@tommdidomm) June 19, 2016
@T__Off @tommdidomm @ciffi Ich wüsste nicht, was man da noch weiter kaputtmachen könnte. Selbst A15 Funktionstellen am Gym werden schwierig.
— Maik Riecken (@mccab99) June 19, 2016
Dazu und zu dem engagierten René @Scheppler ein paar Anmerkungen mit Bezug auf meine drei Punkte: 0. große Stiftung mit 20 Milliarden Euro 1. Schulleiterakademie 2. individuelles Lernen trainieren 3. Freiheit für die Schulen
- Wieso sollen die Welt-Kolleginnen nicht auf das Problem hinweisen, und wieso nicht auch faktenbasiert? Die Arbeitslosenzahlen kommen auch jeden Monat neu und keinen stört, wenn darüber berichtet wird. (@t_off)
- Die Rolle des Schulleiters ist komplex, weil er das soziale und pädagogische Gefüge „Schule“ anführen soll, ohne dass er echte personelle Führungsinstrumente an der Hand hätte. Primus inter pares erreicht also nicht. Vergleichbar ist die Rolle wahrscheinlich mit einem Fußballtrainer oder einem Redaktionsleiter oder vielleicht auch einem Dirigenten. Diese Spielleiter müssen alle was zu sagen haben, aber durch einfaches Dekretieren erreichen sie ihr Ziel nicht. Dann spielt die Mannschaft nicht gut, entsteht keine gute Zeitung und bleibt auch ein Orchester unter seinen Möglichkeiten. Dennoch muss ein Trainer, ein Chefredakteur und ein Dirigent natürlich das Team bestimmen – positiv wie negativ. Er muss die „Du spielst nicht mehr mit“-Kompetenz in der Tasche (Siehe FAZ 2014) haben, sonst funzt das nicht. Das ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.
- Dazu müssten man eine Schulleiterakademie einrichten. Sie sollte sowohl pädagogische als auch Managementqualitäten vermitteln. Sie sollte unabhängig sein, 20 Milliarden Euro haben (!), auf nationaler Ebene tätig sein. Und sie sollte ein Zutrittsverbot für Stiftungen formulieren. (Dazu unten mehr.)
- Die Haltung der Schule scheint mir wichtig zu sein. Wenn eine Schule sehr schlecht abschneidet, dann kann m.E. nur ein Schulleiter mit starken Kompetenzen sie drehen – von innen.
Das geht von oben quasi nicht. Ich finde den Begriff „turnaround“ in diesem Fall den richtigen Begriff, auch wenn der von mir sehr geschätzte René das Wort in den Instrumentenkasten der Ökonomisierung einreihen würde. Die Schule soll ja keinen Profit machen, aber sie darf eben keinen negativen Output an Schülern produzieren. Ich meine damit: Eine bestimmte Zahl an Schülern, die ein bestimmtes Maß an Grundkompetenzen nicht erreicht. Das darf meines Erachtens nicht sein, und ich finde es vollkommen richtig, dass uns Pisa und Vera (und andere Schulröntgenapparate namens Vergleichstests) diese Messinstrumente dafür an die Hand gegeben haben. Gleichwohl darf das nicht in die Totalvermessung abgleiten. Aber diese Gefahr sehe ich eher in den USA und weniger bei uns.
- Würde ich die Stiftungsidee nochmal aufschreiben, würde ich sie heute genauer formulieren, weil es einen schlimmen Rollenwandel bei Stiftungen gibt. Die Stiftung, die ich meine, müsste wirklich unabhängig sein von politischen und wirtschaftliche Einflüssen, vor allem aber von den vergifteten Ratschlägen von Bertelsmann- und Telekom-Stiftung und ähnlichen Läden. Diese Einrichtungen mausern sich gerade zu reinen Werbe- und Profitvorbereitungsagenturen, die meines Erachtens weder mit der philantropischen Idee von Stiftungen noch mit den konkreten Regeln des Stiftungsrechts vereinbar sind. Diese Stiftungen haben kein Recht mehr, Schulen zu beraten – weil die Profitinteressen der mit ihnen verknüpften Unternehmen übermächtig geworden sind. Die Schulen sollten die Bertelsmann- und die Telekom-Stiftung meiden, die Länder sollten alle Kooperationen mit ihnen sofort beenden.
- Was ich meine, ist eine Stiftung im Humboldt´schen Sinne einer in Vermögen und Handlungsweisen unabhängigen Einheit, wie Wilhelm von Humboldt sie für die Universität der Moderne vorgeschlagen hat. Schulen sind solche Einheiten, und sie dürfen weder den Ideen oder Reformprogrammen eines Staats noch der Wirtschaft unterworfen werden. Schulen müssen eigenständig sein und nur ein Ziel verfolgen: Kinder und Jugendliche gut aufs Leben, auch das berufliche vorbereiten, und zu diesem Zweck optimale Bedingungen für ihre Lehrer zu schaffen: Erfolgreiche, zufriedene Kinder, gesunde und engagierte Lehrer. Andere Ziele hat eine Schule nicht, und darüber wacht eine Person: der Schulleiter, die Schulleiterin. Sie muss immun sein können gegen Ratschläge aus dem Ministerium – und sie sollte auch Stiftungen rausschmeißen können, nicht nur Lehrer.
Der Text mit meinen Ideen aus 2009 bzw. 2011 hier nochmal.
Bea Beste hat auf Twitter die change-one-thing-Frage gestellt: Wenn Du eine Sache im Schulsystem ändern könntest, die direkten Effekt hat, welche wäre das?
Da gibt es meines Erachtens eine Antwort: Wir brauchen eine Führungskräfte-Akademie für Schulleiter. Denn das sind die wichtigsten mittleren Manager, die uns fehlen an den Schulen. Sie fehlen sowieso, weil die meisten Schulleiter bürokratisch gefesselt sind. Sie fehlen aber vor allem für eine Aufgabe, die vor uns steht: Das Schulsystem in überschaubarer Zeit so zu reformieren, dass es für das Jahrhundert derKreativität, das 21., fit ist.
Mein Vorschlag, leicht verändert gegenüber 2009: Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung bekommt ein Stiftungskapital von 20 Milliarden Euro – zur Hälfte aus der Wirtschaft, zur Hälfte vom Staat! Jawohl. 20 Milliarden. Sofort.
Und dann macht Heike Kahl, die Chefin der DKJS, drei kluge Sachen:
Erstens richtet sie eine Führungskademie für Rektoren ein – eine Change Leadership-Programm wie in den USA. Weil die Rektoren die pädagogischen Köpfe, Moderatoren und Manager vor Ort sind, die eine Schule drehen können. Uns laufen diese Rektoren aber gerade in Scharen davon laufen.
Zweitens brauchen wir eine großangelegte Fortbildungsstrategie für das neue, selbstständige Lernen. (Ich würde sie übrigens die Roman-Herzog-Gedächtnis-Kuschelecke nennen – weil dort im Grunde nur eins gelehrt wird: Wie Lernen Spaß macht!)
Und wir brauchen, drittens, Freiheit für die Schulen. Die KMK sollte einmal etwas Vernünftiges in ihrem Schildkrötenleben machen und einen charter-school-Beschluss fassen. Dann kann jede Schule ihre Mittel verwenden, wie sie mag, die Lehrer einstellen, die sie gut findet – wenn sie die Kinder nur glücklich und klug macht. Der Baumert überprüft das schon. Dann haben wir freie öffentliche Schulen. Und dann ziehen wir in 10 Jahren eine Bilanz – die richtig gut sein wird.
Die Langversion dieses Vorschlags steht im Freitag, auch von 2009, aktueller denn je.
Ein guter Beitrag, der auf viele Aspekte hinweist. Ich kann bei vielem mitgehen – sehe anderes aber auch kritisch (wie ja im Beitrag bereits angedeutet).
Primus inter pares: Dies basiert wesentlich auf der Idee der Demokratischen Schule. Summerhill mag hier das Extrem sein – aber die Grundidee möchte ich doch gegenüber einer sehr führungsorientierten Struktur aufrechterhalten. Ein Schulleiter, der abgekoppelt von eigenen Unterrichtserfahrungen führt, entfernt sich zunehmend vom Lehrerkollegium. Ein Kollegium, das spürt, bei wesentlichen Entscheidungen mitgenommen zu werden, wird sich deutlich engagierter einbringen. Die „Du darfst nicht mitspielen“-Kompetenz ist hoch gefährlich, wenn sie falsch eingesetzt wird. Hier kann man Kritiker nicht nur mundtot machen, sondern dadurch auch wichtige Regulativfunktionen verlieren. Auch, wenn Demokratie über verfasste Strukturen (Schulkonfrenz, Lehrer-/Gesamtkonferenz, Fachkonferenz, Personalrat und Schülervertretung) oft mühsam, langwieriger und unflexibler sind, bergen sie aus meiner Sicht deutliche Vorteile gegenüber Schulführern, die autonom und gegen Widerstände Entscheidungen fällen. Ein Schulleiter, dem es gelingt, sein Kollegium zu motivieren und engagieren – sich in Konferenzen nicht durchzusetzen sondern zu überzeugen, wird deutlich nachhaltigere Ergebnisse erzielen.
Zum „Turnaround“-Begriff: Ich denke, dieser ist durch die das amerikanische Modell des New Public Management (NPM) und das darauf aufbauende Turnaround-Programm in New York verbrannt. Die Robert-Bosch-Stiftung hat dann ihr Übriges getan, den Begriff nach Deutschland zu übertragen und in Schulen ein wirtschaftsökonomisches Denken hineintragen zu wollen – ebenfalls unter dem Begriff „Turnaround-Schools“.
Die Eigenverantwortlichen bzw. Selbstständigen Schulen sind nicht unwesentlich durch das Betreiben der BertelsmannStiftung in NRW forciert worden ( Ziel à la Reinhard Mohn war dabei: „Wettbewerb und Leistungsorientierung einführen — mit
spürbaren Sanktionen.“) . Ein Ausrichten von Schulen und damit Bildung an ökonomischen, wirtschaftlichen Gelingensbedingungen ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Dies würde unweigerlich zu einem Bildungswettbewerb und Finanzierungswettkämpfen mit einer Selbstregulierung nach unten führen. Ich kann die Idee dahinter nachvollziehen, schnelle, flexible, innovative Einrichtungen zu schaffen. Die Realität würde aber zu einem „Mit immer weniger Mitteln, immer mehr erreichen (wollen/müssen)“ führen.
Ein interessanter Ansatz, der in der aktuellen Ausgabe der Hessischen Lehrerzeitung kontrovers diskutiert wird, ist derjenige des „Schulleiters auf Zeit“: http://www.gew-hessen.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/hlz/hlz2016/1606_hlz.pdf, S. 16/17
Letztlich gilt aus meiner Sicht:
1) Gegen Lehrkräfte und Schülerschaft kann man keine Schule erfolgreich leiten. Das gilt auch umgekehrt. Und das gilt vor allem für Schulmanager.
2) Darüber zu wachen, dass alle Schulen vergleichbare Bedingungen erfahren und der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag gewahrt bleibt, ist eine Aufgabe, die der Staat nicht delegieren kann. Auch nicht an dafür ausgebildete Schulfürsten.
Lieber René, nur kurz in Stichworten: selbständige Schule würde ich mir nicht von den Mohns wegnehmen lassen. Der Begriff Turnaround muss dir als dem Lehrer einer aktiven Schule ein Gräuel sein. Aber es gibt – wie ein Studie von Jürgen Baumert vor einigen Jahren zeigte – Hunderter kaputter Schulen in Deutschland, das sollten wir nicht vergessen. Man kann Schülern und Eltern nicht zumuten, dass es Jahre dauert, sie „umzudrehen“.