Missbrauch online | Eine Konferenz über sexualisierte Netz-Gewalt in Rom denkt darüber nach, wie jugendliche Online-Belästiger besser aufgeklärt werden können
Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen steht vor einem Wendepunkt. In Rom haben sich Forscher, NGOs, Regierungen und auch Vertreter der IT- und Internetgiganten getroffen, um am Centre for Child Protection der päpstlichen Uni Gregoriana über die Risiken von Kindern in der digitalen Welt zu diskutieren. Dabei ging es um ein neues Bündnis – und einen erweiterten Täterbegriff. Vor allem die Neudefinition von Tätern bringt ein Risiko mit sich. (Hier die Deklaration: DICHIARAZIONE INGLESE CARTA INTESTATA)
(Die Papstaudienz der Konferenzteilnehmer unten, verschiedene Vorträge der Konferenz via Youtube sehen Sie hier und hier und hier)
Die Missbrauchs-Experten aus der ganzen Welt – darunter Chinesen und Russen, die für eine scharfe Regulierung des Netzes stehen – kommen zu dem Schluss, dass zu den Pädokriminellen, die in den Plattformen und Chats des Netzes nach Opfern suchen, eine weitere Gruppe von Tätern hinzugetreten ist – Jugendliche, die andere Jugendliche sexuell belästigen. Man dürfe diese jungen Leute aber nicht als unheilbare pädophile Monster kategorisieren, sagten gleich mehrere TeilnehmerInnen. Es sei die sexualisierte Sprache des Netzes und das für die Altersgruppe übliche Versenden von Nacktbildern oder -selfies, die Jugendliche in die Nähe von Missbrauchstätern rücke. Streng genommen verübten viele der Jugendlichen sexuellen Online-Missbrauch. „Wir können aber nicht jeden dieser Täter verfolgen und verhaften“, sagte Ernie Allen, ein Veteran der Missbrauchsbekämpfung, der die Konferenz in Rom zusammen mit Bruder Hans Zollner von der päpstlichen Universität Gregoriana organisiert hat. Wir müssen früher präventiv tätig werden, sagte Allen. „Wir müssen die Übergriffigkeit von Jugendlichen wie ein Gesundheitsvorsorge-Problem angehen: je früher, desto besser.“
Unvorbereitet ins Netz
Niemand würde dem Ansatz der frühen Prävention für jugendliche Sexter und Cyberbullies widersprechen. Nur ist der Ansatz einer umfassenden und frühen Erziehung zu einer demokratischen Netzkultur eine der abgegriffensten Vokabeln und zugleich der größten Leerstellen. Bis jetzt gilt, dass Jugendliche quasi unvorbereitet ins Netz hineinwachsen, weder Eltern noch Schulen oder Behörden wissen, wie man sie über Risiken dort aufklären könnte. Und wie soll eigentlich der Unterschied zwischen erwachsenen, quasi professionellen Pädokriminellen und jugendlichen, Noch-Nicht-Tätern gemacht werden? Immerhin ist der Verweis auf eine frühe sexuelle Praxis von Jugendlichen eines der ältesten Argumente Pädokrimineller, um das Ausleben ihrer Neigungen als normal oder gar legal darzustellen.
Hans Zollner, Ernie Allen und andere sehen dieses Problem – und halten ihren Ansatz dennoch für richtig. Die Größe der Aufgabe rechtfertige nicht, den Mut zu verlieren. Ein neues großes Bündnis von Staat und Zivilgesellschaft, von Wirtschaft und Religionsgemeinschaften sei in der Lage, die Aufgabe zu bewältigen.
Microsoft und Facebook
Wie kompliziert das neue große Bündnis wird, zeigte sich den Veranstalter bei den Netzgiganten Microsoft und Facebook. Die erteilten freundliche Nicht-Zusagen für das neue Bündnis. Deren Sprecherinnen hielten kluge Vorträge – und hielten sich zugleich zurück, eine Ressource anzubieten, die sie im Überfluss haben: Geld. Hier die Chefin für Cybersicherheit von Microsoft, Jacqueline Beauchere:
Die Drei-Tage-Konferenz endete am Freitag (6.10.) mit einer Audienz beim Papst, sie wurde von der Bundesregierung gefördert, mutmaßlich aus dem Missbrauchs-Forschungstopf des Bildungsministeriums. Die Deutschen aber blamierten sich, abgesehen vom Geld, bei der Konferenz. Die vermeintliche Anti-Missbrauchskämpferin Jutta Croll, die vortrug, hat längst die Seiten gewechselt und arbeitet nun für die Internet-Lobby „digitale Chancen“. Bildungs-Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen (CDU) hatte wohl bei der Vorbereitung ihrer Rede das Konferenzthema nicht beachtet: sie hielt einen Vortrag, der zum Missbrauch in der analogen Welt ganz gut passte – aber mit digitaler sexualisierter Gewalt quasi nichts zu tun hatte. Quennet behauptete, wir wüssten nicht viel über Online-Missbrauch – eine Ohrfeige für die versammelte Welt-Expertise von Online-Missbrauch. Sie sagte, wir brauchen mehr Forschung. Der Südafrikaner und Anwalt Benyam Dawit Mezmur antwortete trocken: Wir brauchen mehr Aktion. Denn in Afrika und Asien gehen bald 500 Millionen jugendliche Internetnutzer online. Sie sollten das aufgeklärt tun.