Bayerische Lehrer tagen unter dem Motto Herz, Kopf und Hand
update 1/6/19: Der Wirkshop war lebendig und informativ. Wir diskutierten über Digitalisierung in der Grundschule, wie man Lehrer fortbildet und die komplizierte Rolle der Eltern. Die Ergebnisse hielten BLLV-Protokolliererinnen fest (Fotos). Im Anhang werde ich später heute ein paar Links und Apps hinterlegen, die ich genannt hatte, z.B. die #Edupnx das #Twitterlehrerzimmer und den #edchatde auf Twitter oder Buchmacher-Apps wie Book-Creator.
Dieser Text ist eine Vobereitung auf meinen Salon bei der Delegiertenversammlung des BLLV in Würzburg

Wenn der bayerische Lehrer*innenverband seine Mitglieder über „Lernen mit Herz, Kopf und Hand“ nachdenken lässt, dann ist das sympathisch, ein Werbegag – und es ist auch naiv. Kinder und Jugendliche stehen mitten in einem neuen Zeitalter, dem der digitalisierten bzw. sich digitalisierenden Schule. Nennen wir es ruhig Neuland, denn wir alle kennen uns darin noch nicht gut aus, selbst die Twitterlehrerzimmer und die Pädagogen-Blogger nicht. In diesem Neuland entstehen eine Menge Lern- und Spielwerkzeuge für die Schule, die viele neue Möglichkeiten eröffnen. Schon die haben freilich oft nicht viel mit Herz, Hand und Verstand zu tun – sieht man einmal von den Makerspaces, Videoateilers und Fotostudios ab, die manche Schulen eröffnen und in denen eine Art postdigitales Lernen möglich wird. Makerspaces sind Lernateliers, in denen händische und haptische Spielzeuge mit digitalen kombiniert werden, also kleine Programmierplatinen, Roboter, 3-D-Drucker usw.
Dort spielt tatsächlich Lernen mit Herz und Hand eine Rolle, hier haben Kerschensteiner und der Kokonstruktivismus eine neue Heimat gefunden.
Aber das ist gar nicht der Aspekt, der das Kongressmotto des BLLV als naiv erscheinen lässt. Ich meine damit die umfassenden und noch kaum thematisierten Risiken und Nebenwirkungen des Digitalen. Kindheit2.0 ist nicht nur ein PR-Kürzel, das eine schöne neue webbasierte Lernwelt imaginiert. In Wahrheit ist es eine Chiffre für Probleme der Digitalisierung, die vor allem Kinder betreffen und an denen diese Kinder schwer zu tragen haben.
Das Beispiel Tiktok
Nehmen wir das Beispiel Tiktok. Es ist eine App, die beinahe alles an Dystopischem mit sich bringt, was Digitalisierung bedeutet: Es ist eine Plattform, die vordergründig Kinder dazu bringt, kurze Tanz- und Musikvideos von sich aufzunehmen und – so der Werbeslogan der Plattform – sich auf diese Weise kreativ auszudrücken. Tatsächlich bedeutet TikTok alles an Spaß, Naivität und junger Körperlichkeit, die Kinder erleben können.

Tiktok provoziert Mädchen, einem Frauenbild nachzueifern, das exhibitionistisch, sexistisch und überholt ist. Das Ideal ist, möglichst sexy, möglichst twerky und möglichst nackt zu tanzen und so Aufmerksamkeit zu erregen. Tiktok ist dabei keine Plattform, auf der Kinder unter sich wären. Reihenweise berichten Mädchen, dass sie von – als Usern getarnten – Männern dazu aufgerufen werden, noch mehr Haut zu zeigen, noch lasziver aufzutreten – und doch bitte ihren Kontakt zu teilen. Psychologen und Sozialarbeiter sagen zwei Dinge über Tiktok: Erstens, Kinder können nicht einschätzen, was sie da eigentlich tun; zweitens, Tiktok ist ein Paradies für Pädophile.
Tiktok hat zwar inzwischen für mehr Sicherheit gesorgt. Aber kann man einem Unternehmen trauen, das Daten von Kindern hinterrücks abgegriffen hat, während sich diese auf der Hauptbühne angeblich selbst verwirklichten?
Was hat Tiktok mit Schule zu tun? Schule ist jene Instanz, die Kinder auf das Leben vorbereiten soll, auf die Selbstwirksamkeit ebenso wie auf die Risiken. Das heißt, Schule muss, wenn sie ein Herz hat, Kindern ab acht Jahren – und so alt sind die Kunden von Tiktok, obwohl sie eigentlich 13 sein müssten – darauf vorbereiten, was ein modernes Rollenbild der Frau ist, was Sexualisierung bedeutet und wie man seine informationelle Selbstbestimmung schützt. Man merkt: da treffen zwei Welten aufeinander. Hier GrundschülerInnen, dort Begriffe aus der Sozialwissenschaft, die von Kindern gar nicht verstanden werden können. Wenn man Kindern ein Risiko nicht erklären kann, dann verbietet man normalerweise den sozialen Sachverhalt, bei dem es auftritt und öffnet es nur schrittweise. Das ist eine vollkommen natürliche Reaktion, die jede Mutter und jeder Vater anwendet. In den sozialen Räumen, Spielplätzen und Hinterhöfen, die im Digitalen in den digitalen Räumen entstehen, ist das komplizierter. Klar ist: Lehrer spielen eine zentrale Rolle. Denn Eltern kennen sich mit den Risiken nicht aus. Und Politiker verharmlosen sie.
Dorothee Bär verharmlost
Das kann man an niemandem besser zeigen als der Staatsministerin, die im Kanzleramt für Digitalisierung zuständig ist. Dorothee Bär wies in einem FAZ-Interview nicht auf ein einziges Risiko von Tiktok hin – sondern sie adelte es zu einer Art Politmagazin für Kinder. Bär sagte:
„Es geht gar nicht nur um die Youtuber. Ich bekomme von meiner Tochter fast noch mehr Beiträge über Tiktok oder Snapchat mit Umweltthemen geschickt“.
TikTok ist nur ein Beispiel für eine Plattform und sie steht nur für einen Teil der sozialpsychologischen Veränderungen, die Social Media auslösen können. Dieser Wandel ist nicht einfach verstehbar. Beispiel WhatsApp: Zunächst ist diese Plattform ein einfaches und schnelles Tool, um Informationen in Gruppen zu teilen und soziale Gemeinsamkeiten herzustellen. Gleichzeitig stellt es hohe Anforderungen an die kommunikative Kultur, denn es handelt sich um getrennte, manchmal abgeschottete Sozialräume, in denen schnell Bullying, Übergriffigkeiten und gezieltes Grooming enstehen. LehrerInnen machen diese Erfahrung gerade massiv. Die Eltern melden ihre Kinder bei WhatsApp an – aber die Konflikte in den Chatgruppen sollen die Lehrer schlichten. An ihnen ist es, eine freundliche und achtsame Kultur des Austauschs herzustellen.
Forschungen zeigen, dass bei Nutzer von digitalen Netzwerken über die gezielte Reizung von Dopamin-Ausstößen ein Suchtfaktor ausgelöst werden kann. Es ist noch nicht abschließend erforscht, was der dauernde Beschuss der – der beim Kind noch unentwickelten – Impulskontrolle bewirkt. Aber dass es einen Effekt hat, ist sicher, und zwar keinen positiven. Nun ist gerade entdeckt worden, dass beim Gaming oder bei intensiver Social Media-Nutzung vermehrt Cortisol ausgeschüttet wird. Cortisol zapft Energiereserven des Körpers an, damit er das permanente Stresslevel besser aushält. Auch das ist, auf Dauer betrachtet, gerade für Kinder schädlich. Die beiden Hormone Dopamin und Cortisol sind dazu da, die Nutzer von Social Media bei der Stange zu halten.
Das Glückshormon Dopamin macht die Nutzer künstlich glücklich, Cortisol sorgt dafür, dass der Körper den Glücks-Stress durchhält. Für Kinder eine toxische Kombination: ihre Phsysis wird durch soziale Medien so manipuliert, damit sie möglichst viel Zeit auf den Plattformen und in den Netzwerken verbringen.
Das Motto der 54. BLLV-Delegiertenversammlung heißt: „Herz. Kopf. Hand. Zeit für Menschen“. Es ist gut, dass die LehrerInnen des BLLV sich darum Gedanken machen. Denn in den sozialen Netzwerken geht es nicht um Zeit für Menschen, sondern um Zeit für den Konsum.

Zunächst hatte ich Cortison geschrieben, das die Vorstufe der stress bedingten Produktion von Cortisol ist