Die Gemeinschaftsschule ist das zentrale Schulreformprojekt in Deutschland. Gibts (auch) dafür heute einen Schulpreis?
Update 5/6/19: 14:30 Uhr - tatsächlich hat die Alemannenschule Wutöschingen einen Schulpreis gewonnen. Damit hat die erste Gemeinschaftsschule aus Ba-Wü den wichtigsten deutschen Preis für Bildungseinrichtungen geholt. Gratulation
Dieser Schulpreis-Tag wird wichtig. Das gilt nicht nur für gute Schule, sondern auch für gute Schulpolitik. Und die gibt es bekanntermaßen derzeit nicht in Baden-Württemberg. Eine Schule aus Ba-Wü – erneut eine Gemeinschaftsschule, muss man sagen – steht heute unter den Nominierten: die Alemannenschule in Wutöschingen. Und weil die Bosch-Stiftung bei all dem Guten, was sie tut, mehrfach gezeigt hat, wie unpolitisch sie ist, ein paar Anmerkungen.
Die Gemeinschaftsschule ist das zentrale Schulreformprojekt in Deutschland. Nein, nicht offiziell, aber de facto. Seit 2007 wächst die Zahl der integrierten Gesamtschulen, zu denen auch Gemeinschaftsschulen gehören, sprunghaft an. Diese „Schule für alle“ hat ihre Zahl verdreifacht von rund 700 im Jahr 2007 auf über 2.100 im Jahr 2017. Warum ist das wichtig? Weil es, erstens, ein Schlag gegen die überkommene und zurecht kritisierte dreigliedrige Schule ist. Und weil es, zweitens, der Beginn eines neuen Lernens ist, eines Lernens mit heterogenen Gruppen – also genau das, was die Gliederung der Schulen in (vermeintlich) homogene Leistungsgruppen seit knapp 200 Jahren verhindern will.
300 Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg
Baden-Württemberg ist eine der Hauptbühnen dieser Entwicklung. Über 300 Gemeinschaftsschulen sind dort entstanden, seit die Grünen diese Schulform als Reformmodell anboten. Leider, muss man sagen, wird die Gemeinschaftsschule im Südwesten nicht gerade gefördert, im Gegenteil: sie wird eher blockiert. Es gibt Leute, die sagen:
Die Grünen haben Eltern und Kinder der Gemeinschaftsschulen zu Versuchskaninchen gemacht.
Wie das? Das muss man kurz erklären. Die Gemeinschaftsschule braucht, nein: zu ihr gehört wie das Amen in die Kirche eine Oberstufe. Ohne die Aussicht aufs Abitur wird in Gemeinschaftsschulen keine Mischung aus SchülerInnen ganz verschiedener Talente entstehen. Oberstufen aber vergeben das Land und seine Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU) nur sehr sehr sparsam. Bislang sind es vier, zu erwarten seien elf. Heißt es. Nichts genaues weiß man nicht. Bei einer Zahl von 300 Gemeinschaftsschulen ist das ein Witz. Viele, die meisten Eltern melden ihre Kinder auf dieser Schulform an, weil ihre Kinder dort a) mit weniger Druck lernen, einfach anders lernen und b) weil die Schule den Weg zum Abi offen hält. Bleibt der Weg versperrt, weil es keine Oberstufe gibt, bleiben die Kinder weg. Kurz: Die Gemeinschaftsschulen brauchen Oberstufen, und zwar jetzt.
Die gemeinen Tricks der Eisenfrau
Aber noch zwei weitere Maßnahmen erschweren den Gemeinschaftschulen das Leben:
Zum einen sind sie die Schulform, die verstärkt Hauptschüler aufnehmen soll. Die Ministerin Eisenmann hat durch einen geschickten Kniff dafür gesorgt, dass Realschulen auf Hauptschüler keine Rücksicht nehmen sollen. Jetzt wird’s ein bisschen kompliziert, aber so ist Schule: nach der neuen Realschul-Idee in Ba-Wü sollen Kinder dort in der 5. und 6. Klasse nicht nach differenten Zielen unterrichtet werden. Es wird also nur auf mittlerem Niveau unterrichtet. Es gibt keinen pädagogischen Grund, warum eine Realschule nicht auch Hauptschüler mitnehmen soll. Es gibt aber einen politischen Grund: wenn die Realschulen den Eltern sagen, sorry, auf Kinder mit Hautschulempfehlung können wir keine Rücksicht nehmen, dann gehen die wohin…? Genau, in die Gemeinschaftsschule. Das ist der Plan.

Zum anderen ist es die Gemeinschaftsschule, die sehr oft Inklusion anbietet, sprich das Lernen von Kindern mit Handikaps. Das ist auch gut so, denn das Lernen in heterogenen Gruppen ist ja das, was die Gemeinschaftsschulen auszeichnet. Nur muss man natürlich Acht geben, dass die Zahl der Inklusionskinder auf allen Schulen verteilt wird und nicht etwa in bestimmten Schulformen konzentriert wird.

Was macht die Schulpolitik in Ba-Wü also: sie enthält den Gemeinschaftsschulen die gymnasialempfohlenen Schüler vor – und schiebt ihnen verstärkt Hauptschüler und Kinder mit Handikaps zu. Was kommt dabei heraus? Genau: nicht eine Gemeinschaftsschule, in der auch das Abitur gemacht werden kann, sondern eine Haupt- und Sonderschule, auf die die Eisenfrau mit dem Finger zeigen kann.
Gemeinschaftsschulen nicht die Flügel brechen
In Baden-Württemberg sind in kurzer Zeit bemerkenswerte Schulen entstanden. Immer wieder haben die sich für den Schulpreis qualifiziert und sind auch in die Endrunden vorgestoßen. Heute steht die Alemannenschule in Wutöschingen unter den Anwärtern. Daumen drücken, dass sie es aufs Treppchen schaffen. Es wäre ein Sieg nicht nur der tollen Schulen in dem Ort, sondern auch einer für die Schulform, die im Südwesten so stiefmütterlich behandelt wird. Die Bosch-Stiftung und die Schulpreis-Jury sollten dazu endlich Klartext sprechen. Es kann nicht sein, dass der Schulpreis den Schulen Flügel verleiht – und in einem wichtigen Bundesland Schulen systematisch die Flügel gebrochen werden.