Der für Endgeräte ergänzte Digitalpakt hat einen Run auf Tablets und Laptops ausgelöst. Nicht die Bürokratie bremst diesmal – die Industrie hat nicht genug Geräte auf Lager

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Viele Jahre lamentierte der Branchenverband fürs Digitale Bitkom über den lahmen Riesen Deutschland. „Vor zwölf Jahren teilten sich elf Schüler einen Laptop in der Schule“, sagte etwa Bitkom-Präsident Achim Berg. „Wir haben es sage und schreibe in zwölf Jahren geschafft, dass es jetzt nur noch neun sind.“

Das war beim Digital-Gipfel 2018. Aber jetzt ist alles anders. Mit dem vor zwei Wochen unterzeichneten Zusatz zum Digitalpakt hat Deutschland den Turbo eingeschaltet. Eine regelrechte Tabletflut ergießt sich über die Schulen. „Da kann man nicht meckern, das ist extrem einfach gelöst worden“, sagt der Vertriebsmann eines großen Geräteherstellers. „Das Problem ist: niemand hat so viele Endgeräte auf Lager, wie jetzt gebraucht werden.“

Den Run auf die Endgeräte geht auf die Zusatzvereinbarung 200703_DigitalPakt Schule_ZV_Endgeräteförderung. pdf zum Digitalpakt zurück. Sie macht eine halbe Milliarde Euro für digitale Endgeräte sofort verfügbar, und das mit extrem wenig Bedingungen. Möglichst viele Schülerinnen und Schülern sollen Laptops, Notebooks und Tablets erhalten, und zwar vor allem jene, die sich selbst keine Geräte leisten können. Entschieden wird darüber allerdings nicht mittels amtlicher Bedürftigkeitsprüfungen, sondern von den Schulen. „Das ist so unbürokratisch organisiert, wie ich es noch nie erlebt habe“, kommentiert Jürgen Banse, Geschäftsführer des Verbands der Privatschulen in Sachsen-Anhalt, der schon manchen Kampf mit Staat und Bürokratie ausgefochten hat, um Fördertöpfe anzapfen zu können.

Bund und Länder kabbeln sich um den Digitalpakt, seit die damalige Bildungsministerin ihn einseitig als „DigitalPaktD“ verkündete.

Die Länder waren darüber extrem beleidigt. Als der Digitalpakt 2019 endlich unterzeichnet war, wurde den Schulen aufgetragen, zunächst MEP zu verfassen, Medienentwicklungspläne. Das führt dazu, dass die Digitalpakt-Gelder in Höhe von fünf Milliarden Euro bisher nur spärlich abgerufen wurden. Schulen und auch die Industrie finden das nicht ideal. „Die Umsetzung des Digitalpakts verlief bisher aus Sicht aller Beteiligten zu behäbig. Die Folgen der Coronapandemie zeigen deutlich, dass die Antragsprozeduren aus einer anderen Zeit stammen“, sagte Steffen Ganders von Samsung.

Der neue 500-Millionen-Gerätepakt geht nun viel schneller. Einzelne Kommunen und Länder verteilen bereits die ersten Tablets an ihre Schüler. „Wir ahnten, dass der Digitalpakt langwierig wird“, sagte Bürgermeister Michael Meyer-Hermann (CDU). „Solange wollten wir aber nicht warten und haben schon mal angefangen.“ Meyer-Hermann hat seinen Grundschulen bereits schon 200 Tablets übergeben. Weitere 600 will er anschaffen, vergangene Woche (28. KW) hat er wieder 250 Geräte für 100.000 Euro ausgeschrieben. Alle Grundschülerinnen in Versmold sollen ein Tablet bekommen – auch Erst- und Zweitklässler. „Wir wollen, dass nach den Ferien jeder Schüler am Fernlernen teilnehmen kann“, sagte Meyer-Hermann, dessen Frau Grundschullehrerin ist.

Selbst einige Bundesländer waren fix. Berlin etwa hatte bereits im April 9.500 Endgeräte an Schulen verteilt. Und will sich die nicht etwa nachträglich von der Bundesregierung bezahlen lassen. „Die Mittel des Sofortprogramms des Bundes sind davon unberührt“, sagte eine Sprecherin des Senats. Aber nicht nur die Hauptstadt will noch mehr Hardware. Ähnlich läuft es in Bremen und Nordrhein-Westfalen. Die Hansestadt wird alle Lehrer und Schüler mit Endgeräten ausstatten, NRW alle Lehrer und jene Schüler, die sich kein Laptop oder Tablet leisten können. Beide Bundesländer müssen dazu die ihnen zustehenden Bundesmittel erheblich aufstocken: Bremen erhält regulär 4,8 Millionen Euro aus dem Gerätepakt – und will aus eigenen Mitteln 47 Millionen drauflegen. NRW erwartet 105 Millionen – und will rund 50 Millionen dazu tun. Das Land Baden-Württemberg, dem aus der Zusatzvereinbarung 65 Millionen Euro zustehen, hat den Förderbetrag für Endgeräte kurzerhand auf 130 Millionen Euro verdoppelt.

Für den Gerätemarkt bedeutet das wohl eine Überhitzung der Nachfrage. Bereits der neue, schnelle Bundeszuschuss reicht für rund eine Million Geräte. Wegen der Einkäufe der Bundesländer müssten die Hersteller über die Sommerferien Hunderttausende weiterer Tablets und Laptops liefern. „Das wird kein Wunschkonzert, viele Schulen werden nehmen müssen, was noch da ist“, sagt der zitierte Vertriebsmann. Mit Digitalpakt, Zusatzvereinbarung und Eigeninvestitionen der Länder stehen derzeit allein für Endgeräte rund zwei Milliarden Euro bereit. Der große Gewinner des Gerätebooms dürfte Apple werden. Rund 70 Prozent des Kaufrauschs wird Apple zugute kommen, schätzen Insider. Der schickste und mächtigste Gerätehersteller könnte über den Sommer mit Deutschlands Schülern viele Hundert Millionen Euro Umsatz machen.

Was machen die Wettbewerber? Beim Smartphonebesitz Jugendlicher ist Samsungs Marktanteil mit 40 Prozent sogar größer als der von Apple (31 Prozent). An den Schulen ist das anders – obwohl die Tablets von Samsung von vielen Lehrern geschätzt werden. Auf diese pädagogische Kompetenz hofft Samsung. „Die Idee ist, nicht allein Endgeräte anzuschaffen, sondern auf ein pädagogisches Ökosystem zu achten, das nachhaltig, didaktisch und vor allem systemoffen ist“, sagte Judith Hoffmann, Head of Commercial Operations bei Samsung. Gleichzeitig scheint man zu spüren, dass die Übermacht von Apple den Koreanern Sorgen bereitet: „Wer im Coronafieber auf Hardware fokussiert, der wird sich später möglicherweise in einer Situation mit eingeschränkter Flexibilität wiederfinden, die Innovation behindert. Schulen müssen unabhängig bleiben – daher sollte auf Interoperabilität geachtet werden“, so Hoffmann.

Viele Pädagogen begrüßen, dass das Geräte-Programm schnell umgesetzt wird. „In der gleichen Geschwindigkeit wären Ressourcen für die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sinnvoll“, sagte Matthias Förtsch vom Evangelischen Firstwald Gymnasium Mössingen. „Wir machen halt gerne den zweiten technischen Schritt vor dem ersten in unserer Herangehensweise an die Transformation des Bildungssystems“, so der Schulentwickler und Autor des Buchs „Die agile Schule“.

Genau daran hapert es, da hat Förtsch recht. Die Länder investieren in Hardware – und vernachlässigen die Aufgabe, die sie bei den Digitalpaktverhandlungen für sich reservierten: die Lehrerfortbildung. Das Land Schleswig-Holstein berichtete auf Anfrage von Info-Seminaren und Qualifikationen in den Sommerferien. Bremen richtet zehn neue Stellen für Trainer ein – bei 8.000 Lehrern. Das heißt, es schwappt zwar eine Flut von Endgeräten über die Schulen. Vom Wumms in der Lehrerfortbildung ist aber wenig zu spüren.