Kleiner Pressespiegel der Corona-Quarantäne
Boom der guten Ideen:
Überall im Land halten netzaffine Lehrer Tipps für analoge Kollegen bereit. Das #Twitterlehrerzimmer, ein Hashtag auf dem Kurznachrichten-Dienst, quillt über vor guten Ratschlägen. Pädagogen, die sich mit Lernplattformen auskennen, teilen ihre Erfahrungen
Man muss es so hart formulieren: Die Politik hat die Digitalisierung vergeigt, in weiten Teilen steckt das deutsche Bildungssystem noch in der Buch- und Prüfungsschule des 19. Jahrhunderts fest. Das rächt sich jetzt. (Am 18. März in Die Zeit)
Die erzwungene Revolution
Alle diese Motive verschwimmen nun in der modernen Homeschool-Bewegung, die vom Coronaschock den letzten Kick bekommen hat: Entschlossenheit, Aufbruch, auch Wut. Misstrauen herrscht spätestens seit der Enthauptung des neunjährigen Gymnasiums. Nun wollen die Eltern des 21. Jahrhunderts verhindern, dass ihre Kinder in fünf oder mehr Wochen unterrichtsfreier Zeit den Anschluss verlieren. Sie sind verständnislos, dass die Schulminister erst eine Woche lang unentschlossen Gründe für den Schulbesuch stammelten – um dann doch Hals über Kopf den Unterrichtsstopp für einen Monat zu verfügen.
Und die Eltern sind genervt, dass der Staat sein Schulsystem nicht zu modernisieren in der Lage ist. Seit 2016 wird über einen Digitalpakt mit virtuellen Klassenzimmern diskutiert, aber wenn man die digitalen Wolkenkuckucksheime tatsächlich braucht, um coronafrei zu lernen, kommen die Kinder mit Stapeln von Arbeitsblättern nach Hause. Diese Kopien sind das Symbol der Buch- und top-down-Schule. Irgendwie wissen die Eltern: das ist vorbei, wir müssen das wohl selbst in die Hand nehmen. (Welt 19.3.2020)
Datenkrake Whatsapp als Brücke zur Bildungscloud
Kaschierung zögerlicher Digital-Politik: Unbeteiligte Dritte, die im Nutzertelefon gespeichert sind, also etwa Lehrerkollegen, könnten „nicht in die Datenweitergabe einwilligen oder ihr widersprechen.“ Das bedeutet, der Kultusminister animiert seine Lehrer mit dem Leitfaden zur Weitergabe auch von Schülerdaten und zum Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung. (Tagesspiegel 21. April)
Schulreformen dank Corona

Corona ist, so lernen wir, erstens, eine grausame Pandemie – und, zweitens, ein Treiber sozialen Fortschritts, der an der Grundfeste der alten Schule nagt: den Prüfungen. (Deutschlandfunk, 27. April)
Die Revolution des Lernens hat begonnen
Ada Pellert: Aus den Berichten von Lehrenden aus der Coronakrise wissen wir: Sie sehen in digitalen Kanälen oder Produkten oft viel genauer, was ihre Schützlinge drauf haben, als wenn der einzelne Lerner in einer Klasse mit 25 bis 30 Schülerinnen und Schülern verschwimmt. In einem Einzel-Videogespräch kann sich ein Lehrer zum Beispiel viel mehr Zeit für einen Schüler nehmen, als wenn er auf dem Schulflur schnell ein paar Hinweise gibt.
Klagen Lehrer deswegen, dass Videoteaching so viel aufwändiger ist?
Viele Unbeteiligte und auch Eltern können sich das nicht vorstellen, aber es ist so: Gut gemachter digitaler Fernunterricht birgt die Gefahr der Überforderung. Wir beobachten gerade in der Gruppe der engagierten Digitallehrerinnen und -lehrer, dass ihnen die Grenzenlosigkeit den Atem raubt. Diese Pädagogen stehen von 8 Uhr morgens oft bis in den Abend hinein zur Verfügung. Das schlaucht.
Was könnte man dagegen tun?
Ich finde zweierlei wichtig: Wir Bürger sollten, erstens, den Lehrern mehr Respekt zollen. Das, was wir fälschlicherweise Homeschooling nennen, macht Lehrern wahnsinnig viel Arbeit; und wir müssen, zweitens, für diese neue Welt Spielregeln entwickeln. Das sollten wir gemeinsam tun: Wie halte ich als Lehrer im Videogespräch die nötige Distanz? Welche von den anderen Aufgaben müssen weniger werden oder ganz wegfallen? Kriegen wir das nicht hin, werden unsere Lehrerinnen und Lehrer überrollt. (FAZ, 10. Juni)