Viele verstehen unter individuellem Lernen, dass die Kids alles frei wählen können, ihren Lerngegenstand, die Methode, die Zeit, die Intensität, die sie darauf verwenden usw. usf. In Wahrheit geht dieses individuelle Lernen schnell schief – weil tatsächlich nicht jeder Schüler freiwillig auf diese Art lernt. Und das ist keine Plattitüde.
Wer sich mal in den mittleren Klassen der Reformschulen umsieht, der wird schnell merken, dass es eine große Selbsttäuschung ist zu glauben, dass mit dem Paradigma eines schlagworthaften individuellen Lernens das deutsche Lernproblem gelöst wäre. Es ist wichtig, das – überspitzt gesagt – gleichschritthafte Memorieren aufgetragener Lernstoffe in der gleichen Zeit zu überwinden. Aber wir haben ja auch ganz normale Lehrer, die keine Zirkuskünstler sind. Was müssen die machen, können, tun, um eine Lerngruppe individuell lernen zu lassen?
Nicht jeder Lehrer ist eine Sabine Czerny
Ein Beispiel: Wer sich mal den Unterrichtsstil von Sabine Czerny anschaut, ihre Lehrmethoden, vor allem ihre vielen kleinen Kniffe und ihre enorm intensive Zubereitung von Aufgaben verschiedenen Zuschnitts, der versteht, dass individuelle (also selbstständige, forschende, wiederholende, anleitende) Elemente des Lernens nicht nur wahnsinnig aufregend, sondern für die Lehrkraft auch anstrengend sein können. Das kann sicher nicht jeder Lehrer. Nicht umsonst arbeitet die Grundschule Kleine Kielstraße konsequent in Teams.
Beispiel, wie Schulen individuell arbeiten, finden sich auf dem Blog Gute Schule, also etwa die Geschwister Scholl Schule in Hindelang, oder das Futurum in Balsta, Schweden.
Interessant ist ja auch, dass das individuelle Lernen in der Praxis immer wieder zu heftigen Debatten führt, in den Kollegien der Schulen, aber auch im Reden über das Lernen. Siehe z.B. die Klarstellung einer Lehrerin (die übrigens von der kritischen Freundin für Freitag, Ute Andresen, stammt) oder den Streit, den es in der Glockseeschule über den Unterrichtsstil gab. Christina Schenz hat diesen Schein-Widerspruch in einem Interview angesprochen: Leistung oder Individualität?
Es ist beinahe typisch, dass Schulen, die sich auf den Weg machen, plötzlich feststellen:
- ein Teil der Lehrerschaft will noch mehr Freiheit (für die Schüler) haben
- die anderen Lehrer sich fürchten, dass die Kinder nicht mehr genug lernen
- weil sie keine Lust haben und man sie ja nicht mehr klassisch antreiben kann
- weil die hohe Professionalität des Lehrers zuschanden geht, wenn er bloß noch moderiert
- weil sich in Reformschulen oft wahnsinnig viele Individualisten und Freidenker befinden, aber kaum mehr einer, der das taffe Handwerk kann
Als ich vor einiger Zeit, die Bednarska in Warschau besuchte, eine Reformschule der ersten Stunde im polnischen Frühling der frühen 1990er Jahre, sagte der Schulleiter zu mir: Ich will beide Typen von Lehrern an dieser Schule haben,
– Lehrer, die sehr gut im Stoff sind und eher ein traditionelles Verständnis von der Stoffvermittlung haben,
– und sehr freie Lehrer, die von Haus aus gar keine Lehrerausbildung haben, sondern als Künstler, Projektanleiter oder Begeisterer agieren.