Calliope Mini: Bereits kurz nach dem bombastischen Start auf dem IT-Gipfel ist die Gratisvergabe des kleinen Wunder-“Computers“ gefährdet. Ein Regelbruch steht bevor: Crowdfunding für öffentliche Schulen

Der Calliope Mini mag ein intelligentes Spiel- und Lernwerkzeug sein. Die Kommunikation, die um den „Mikro-Computer“ herum stattfindet, ist chaotisch. Die Behauptung, alle dritten Klassen oder gar alle Drittklässler in Deutschland würden mit dem Board geflutet, und zwar umsonst, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Die Finanzierung ist vielmehr hochkompliziert – und vor allem wacklig. Das hat Pisaversteher aus Gesprächen mit den Gründern und Ministerien gelernt.

update: Stephan Noller hat extra für gegen diesen Blogpost ein eigenes Blog eingerichtet: CalliopeInfos. Auch hier und hier wird über Calliope informiert – allerdings einseitig.  calliope%22bildschirmfoto-2016-11-17-um-20-12-39 

Im Moment sieht es wie folgt aus: Eine Herausgabe der kleinen Wunderflunder an die dritten Klassen in allen Bundesländern wird nicht durch das Bundeswirtschaftsministerium garantiert. Die Anschubfinanzierung aus dem Hause Sigmar Gabriels ist bereits ausgelaufen. Sie reichte nur für die Give Aways auf dem IT-Gipfel und Teile des Saarlands. Das sind zwei Schulen. Insgesamt hatte Gabriel 200.000 Euro für das Projekt bereit gestellt. calliope%22bildschirmfoto-2016-11-17-um-20-12-39

Bereits die Calliopes für die anderen Schulen aus dem Mini-Bundesland müssen nun also andere Sponsoren oder das Bildungsministerium in Saarbrücken bezahlen. Ein Sprecher des Ministeriums wiederum sagte Pisaversteher: man gehe davon aus, dass alle Calliopes, die das Saarland braucht, durch Dritte finanziert werden. Bei Calliope hieß es hingegen, man bemühe sich derzeit um die Finanzierung der Geräte für das Saarland. (Einige saarländische Lehrer übrigens haben auf Twitter mitgeteilt, dass die Eltern dort mit 15 Euro den Calliope mitfinanzieren.)

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 „Uns wäre es am liebsten, wenn der Staat die finanziellen Mittel bereit stellen würde“. Stephan Noller

calliope%22bildschirmfoto-2016-11-17-um-20-12-39Bisher hatte es geheißen, der revolutionäre Minicomputer werde im Jahr 2017 an alle Drittklässler in Deutschland verteilt. Ziel sei es, dass bereits Grundschüler dann das Coden erlernen könnten, also Programmieren. Calliope Mini ist eine Platine, auf der sich Stecker und LEDs befinden und mit der man Programmieren kann.

Tatsächlich aber muss nun um alles wieder neu gerungen werden. Das kann man nicht den wohlmeinenden Gründern der gemeinnützigen gGmbH allein anlasten; sie wollten etwas bewegen. Es sei nicht fair, das Start up Calliope „in Grund und Boden zu schreiben“, meinte eine Sprecherin ganz richtig. Stephan Noller, einer der Macher des Projekts, sagte Pisaversteher: „Uns wäre es am liebsten, wenn der Staat die finanziellen Mittel bereit stellen würde“. Aber das sei nunmal nicht der Fall.

Der derzeitige Stand ist daher ein ganz anderer als der anfangs verkündete oder suggerierte.calliope%22bildschirmfoto-2016-11-17-um-20-12-39

Calliope sammelt bereits seit einiger Zeit Gelder von Sponsoren ein. Das sind diverse Firmen, die mit Geld oder Sachleistungen helfen. Einen Überblick bekommt man auf der Seite von Calliope. Mit diesen Sponsoren sollen möglichst viele Calliopes an möglichst viele Schulen in den Bundesländern vergeben werden. Allerdings reichen dafür die Mittel nicht, sodass die Calliope gGmbH auch bei den Bildungsministerien um eine Co-Finanzierung nachsucht.

Die dritte Finanzierungsschiene ist nun das in den letzten Tagen gestartete Crowdfunding. Es ist – so Mitbegründer Maxim Loick zu Pisaversteher – dafür da, die vielen Anfragen zu bedienen, die es von Privatpersonen gibt. Ausgelöst durch den Hype auf dem IT-Gipfel und einen schwärmerischen Artikel bei Zeit-Online ist die Direktnachfrage bei Calliope nämlich nicht gering. Wer sich an dem Crowdfunding beteiligt, bekommt entweder einen Calliope aus der Sonderedition zu 50 Euro oder alsbald im April einen neu produzierten für 30 Euro.  

Die Calliope-Gründer begehen einen Regelbruch: Sie mobilisieren privates Geld für eine staatliche Aufgabe 

Das Problem von Maxim Lock freilich ist ein anderes: Seine Mitteilungen über die Finanzierung des Calliope sind durchaus kryptisch. Auf dem Text für das Crowdfunding bei Startnext steht nicht sehr eindeutig, dass man mit einer Spende das Recht auf einen Calliope erwirbt. Vielmehr heißt es dort: „Sie werden damit Unterstützer und Multiplikator für unser Ziel: den flächendeckenden Einsatz des Calliope mini in Deutschlands Grundschulen.“ calliope%22bildschirmfoto-2016-11-17-um-20-12-39

Wenn das so ist, dann haben die Gründer um Stephan Noller, Maxim Loick und Gesche Joost nicht nur ein intelligentes Coding-Spielzeug entwickelt, sondern sie begehen einen Regelbruch: Sie mobilisieren private Gelder für staatliche Aufgaben wie Schule. Das wäre dann tatsächlich eine Schulrevolution, die durch den Calliope Mini ausgelöst wird – aber eine ganz andere als die beabsichtigte. Es würde die öffentliche Finanzierung des Schulwesens infrage stellen.

Aus der Perspektive der ungeduldigen Reformer ist das durchaus naheliegend. Joost et al wollen, dass sich endlich was bewegt. Daher haben sie den Calliope nach dem Vorbild von Micro:Bits adaptiert und wollten wohl auch so etwas Ähnliches hinbekommen wie in UK, wo die BBC mit Microbits die Schulen für eine neue Technologie geöffnet haben. Was in Deutschland passieren könnte, ist nun folgendes: der Calliope öffnet die Schulen – für neue Finanzierungsmodelle, aber nicht für kreatives Lernen.

Saarlands Bildungsminister Ulrich Commercon (SPD) hat sich bei Pisaversteher bereits dagegen ausgesprochen. „Was aber nicht geht: dass IT-Konzerne ausschließlich unter dem Vorwand der ‚digitalen Bildung‘ einen Zugang zum ‚Markt Schule‘ erhalten. Schulen sind keine Unternehmen und kein Markt.“ Commerçon hat bei Calliope 1.000 Exemplare bestellt, weitere 8.000 sollen nachgeordert werden können. Commerçon sagte ziemlich selbstbewusst, das Crowdfunding „hat mit den Lieferungen an das Saarland nichts zu tun“. Ob das stimmt, wird man sehen. Im Moment ist die ganze Calliope-Choose jedenfalls ziemlich unübersichtlich.