Calliope Mini: Bereits kurz nach dem bombastischen Start auf dem IT-Gipfel ist die Gratisvergabe des kleinen Wunder-“Computers“ gefährdet. Ein Regelbruch steht bevor: Crowdfunding für öffentliche Schulen
Der Calliope Mini mag ein intelligentes Spiel- und Lernwerkzeug sein. Die Kommunikation, die um den „Mikro-Computer“ herum stattfindet, ist chaotisch. Die Behauptung, alle dritten Klassen oder gar alle Drittklässler in Deutschland würden mit dem Board geflutet, und zwar umsonst, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Die Finanzierung ist vielmehr hochkompliziert – und vor allem wacklig. Das hat Pisaversteher aus Gesprächen mit den Gründern und Ministerien gelernt.
update: Stephan Noller hat extra für gegen diesen Blogpost ein eigenes Blog eingerichtet: CalliopeInfos. Auch hier und hier wird über Calliope informiert – allerdings einseitig.
Im Moment sieht es wie folgt aus: Eine Herausgabe der kleinen Wunderflunder an die dritten Klassen in allen Bundesländern wird nicht durch das Bundeswirtschaftsministerium garantiert. Die Anschubfinanzierung aus dem Hause Sigmar Gabriels ist bereits ausgelaufen. Sie reichte nur für die Give Aways auf dem IT-Gipfel und Teile des Saarlands. Das sind zwei Schulen. Insgesamt hatte Gabriel 200.000 Euro für das Projekt bereit gestellt.
Bereits die Calliopes für die anderen Schulen aus dem Mini-Bundesland müssen nun also andere Sponsoren oder das Bildungsministerium in Saarbrücken bezahlen. Ein Sprecher des Ministeriums wiederum sagte Pisaversteher: man gehe davon aus, dass alle Calliopes, die das Saarland braucht, durch Dritte finanziert werden. Bei Calliope hieß es hingegen, man bemühe sich derzeit um die Finanzierung der Geräte für das Saarland. (Einige saarländische Lehrer übrigens haben auf Twitter mitgeteilt, dass die Eltern dort mit 15 Euro den Calliope mitfinanzieren.)
@schb Im Saarland mussten die Eltern 15,-€ dafür zahlen @eisenmed @bildungsradar @mgrosty
— Monika Heusinger (@M_Heusinger) December 18, 2016
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„Uns wäre es am liebsten, wenn der Staat die finanziellen Mittel bereit stellen würde“. Stephan Noller
Bisher hatte es geheißen, der revolutionäre Minicomputer werde im Jahr 2017 an alle Drittklässler in Deutschland verteilt. Ziel sei es, dass bereits Grundschüler dann das Coden erlernen könnten, also Programmieren. Calliope Mini ist eine Platine, auf der sich Stecker und LEDs befinden und mit der man Programmieren kann.
Tatsächlich aber muss nun um alles wieder neu gerungen werden. Das kann man nicht den wohlmeinenden Gründern der gemeinnützigen gGmbH allein anlasten; sie wollten etwas bewegen. Es sei nicht fair, das Start up Calliope „in Grund und Boden zu schreiben“, meinte eine Sprecherin ganz richtig. Stephan Noller, einer der Macher des Projekts, sagte Pisaversteher: „Uns wäre es am liebsten, wenn der Staat die finanziellen Mittel bereit stellen würde“. Aber das sei nunmal nicht der Fall.
Der derzeitige Stand ist daher ein ganz anderer als der anfangs verkündete oder suggerierte.
Calliope sammelt bereits seit einiger Zeit Gelder von Sponsoren ein. Das sind diverse Firmen, die mit Geld oder Sachleistungen helfen. Einen Überblick bekommt man auf der Seite von Calliope. Mit diesen Sponsoren sollen möglichst viele Calliopes an möglichst viele Schulen in den Bundesländern vergeben werden. Allerdings reichen dafür die Mittel nicht, sodass die Calliope gGmbH auch bei den Bildungsministerien um eine Co-Finanzierung nachsucht.
Die dritte Finanzierungsschiene ist nun das in den letzten Tagen gestartete Crowdfunding. Es ist – so Mitbegründer Maxim Loick zu Pisaversteher – dafür da, die vielen Anfragen zu bedienen, die es von Privatpersonen gibt. Ausgelöst durch den Hype auf dem IT-Gipfel und einen schwärmerischen Artikel bei Zeit-Online ist die Direktnachfrage bei Calliope nämlich nicht gering. Wer sich an dem Crowdfunding beteiligt, bekommt entweder einen Calliope aus der Sonderedition zu 50 Euro oder alsbald im April einen neu produzierten für 30 Euro.
Die Calliope-Gründer begehen einen Regelbruch: Sie mobilisieren privates Geld für eine staatliche Aufgabe
Das Problem von Maxim Lock freilich ist ein anderes: Seine Mitteilungen über die Finanzierung des Calliope sind durchaus kryptisch. Auf dem Text für das Crowdfunding bei Startnext steht nicht sehr eindeutig, dass man mit einer Spende das Recht auf einen Calliope erwirbt. Vielmehr heißt es dort: „Sie werden damit Unterstützer und Multiplikator für unser Ziel: den flächendeckenden Einsatz des Calliope mini in Deutschlands Grundschulen.“
Wenn das so ist, dann haben die Gründer um Stephan Noller, Maxim Loick und Gesche Joost nicht nur ein intelligentes Coding-Spielzeug entwickelt, sondern sie begehen einen Regelbruch: Sie mobilisieren private Gelder für staatliche Aufgaben wie Schule. Das wäre dann tatsächlich eine Schulrevolution, die durch den Calliope Mini ausgelöst wird – aber eine ganz andere als die beabsichtigte. Es würde die öffentliche Finanzierung des Schulwesens infrage stellen.
Aus der Perspektive der ungeduldigen Reformer ist das durchaus naheliegend. Joost et al wollen, dass sich endlich was bewegt. Daher haben sie den Calliope nach dem Vorbild von Micro:Bits adaptiert und wollten wohl auch so etwas Ähnliches hinbekommen wie in UK, wo die BBC mit Microbits die Schulen für eine neue Technologie geöffnet haben. Was in Deutschland passieren könnte, ist nun folgendes: der Calliope öffnet die Schulen – für neue Finanzierungsmodelle, aber nicht für kreatives Lernen.
Saarlands Bildungsminister Ulrich Commercon (SPD) hat sich bei Pisaversteher bereits dagegen ausgesprochen. „Was aber nicht geht: dass IT-Konzerne ausschließlich unter dem Vorwand der ‚digitalen Bildung‘ einen Zugang zum ‚Markt Schule‘ erhalten. Schulen sind keine Unternehmen und kein Markt.“ Commerçon hat bei Calliope 1.000 Exemplare bestellt, weitere 8.000 sollen nachgeordert werden können. Commerçon sagte ziemlich selbstbewusst, das Crowdfunding „hat mit den Lieferungen an das Saarland nichts zu tun“. Ob das stimmt, wird man sehen. Im Moment ist die ganze Calliope-Choose jedenfalls ziemlich unübersichtlich.
Ich denke das Problem ist, dass Ministerien nicht einfach so tausende von Euro vergeben können. So etwas muss im Haushalt beschlossen werden von 15 Koalitionen in 16 Bundesländern. Überall muss die Idee soweit angekommen sein, dass so eine Zusatzidee über die Pläne im Koalitionsvertrag hinaus, eingeplant wird. Die Haushaltsverhandlungen waren gerade.
Calliope könnte also versuchen, in die nächste Haushaltsrunde zu kommen. Dazu muss das Projekt aber seinen Lobbyismus weiterbetreiben. Ein erfolgreiches Crowdfundingprojekt mit weiteren Schulklassen, die zeigen, wie es geht, könnte da sehr nützlich sein.
Ich vermute, das Problem ist, dass die Bildungsministerien nicht einfach so ein paar zehntausende Euro vergeben können. Dazu müssen die Geld in den Haushalt stellen lassen. Dazu müssen alle Bildungsminister.innen davon überzeugt sein, dass das eine gute Idee ist und dann ihre Koalitionen davon überzeugen, dass sie das Geld für diese neue Idee und nicht für Dinge ausgeben wollen, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurden.
Das Projekt braucht also eine gewisse Aufmerksamkeit. Ein Crowdfundingprojekt ist dafür super, weil es zum Einen mediale Aufmerksamkeit bringt und zweitens zeigt, dass viele Leute die Idee für gut halten.
Mit den 60.000 Euro können ein paar mehr Vorzeige-Klassen ausgestattet werden – das ist ein tolles Signal aber bei weitem kein alternatives Finanzierungmodell. Dafür reicht das ja dreimal nicht.
Calliope braucht einen langen Atem – wie jede Idee, die bundesweit durchgesetzt werden soll.
Danke für Ihren Beitrag. Ich erinnere daran, wer die großen Erwartungen geweckt hat: Calliope und der Wirtschaftsminister haben mehrfach davon gesprochen, dass alle dritten Klassen die Programmier-Platine bekommen – und zwar umsonst. Jetzt stellt sich raus: Das war eine PR-Aufblase. Die haben insinuiert, dass alles klar geht. Daher hat sich die Twitter-Community auch so gewundert, als plötzlich das Crowdfunding begann für eine Sache, die doch längst organisiert und bezahlt schien.
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Aufmerksamkeit: Werfen Sie mal einen Blick auf die Fotos zum Nationalen IT-Gipfel, die sie z.B. hier oder bei der Tagesschau finden können: Mehr Aufmerksamkeit, als mit Timotheus Höttges, Sundar Pitchai, der Kanzlerin, der Ministerpräsidentin des Saarlandses und Gabriel geht schlicht nicht. Hätte die Calliope gGmbH das bezahlen müssen, hätte sie das ein Vermögen gekostet. Wenn sie so wollen, haben die einen sechsstelligen Werbetat von Gabriel geschenkt bekommen.
Calliope war von Anfang ein SPD-Start up. Es ist anzunehmen, dass die Digitalbotschafterin der Bundesregierung UND Calliope-Gründerin Gesche Joost ihre Kontakte zu Gabriel und der SPD genutzt hat, um den Werbegig IT-Gipfel nutzen zu können. O-Ton: „Ohne ihn [Gabriel] gäbe es das Projekt Calliope mini schlicht nicht, fullstop… Wir sind ihm persönlich zum Dank verpflichtet. Als @holadiho ihm die ersten Prototypen vorgestellt hat, die bei Berührung eine Star Wars Melodie abgespielt haben, hat er gesagt: Macht das!“
Nun stellt sich blöderweise heraus, dass das Geld gerade mal für ein paar Giveaways und zwei Schulen im Saarland reicht. In anderen Zusammenhängen fände man wohl andere Worte und Begriffe für das, was Stephan Noller u.a. da veranstalten, Veräppeln ist noch das schönste. Maxim Loick hat inzwischen klar gestellt, dass auch die Gemeinnützigkeitsvariante nur eine Zwischenlösung ist.
Was bleibt also? Ein paar coole Start-up-Typen kopieren ein Produkt aus UK, nutzen ihre Sozi-Connections für nen Super-Werbe-Gig beim IT-Gipfel. Vier Wochen später haben sie kein Geld mehr in der Tasche und betteln sich die fehlende Kohle in der Community zusammen. Wir fluten das Bildungssystem, hieß das anfangs, wir stehen vor einer digitale Schulrevolution. Für mich ist das eine Pinocchio-Story, nicht mehr. Ich kenne viele tolle Bildungsprojekte, die die Klappe nicht so weit aufreißen, die keinen privilegierten Zugang zur Macht haben – und die sehr gute Sachen machen. Die kommen sich grad ziemlich ver… vor.
Viele vergessen, dass es beim (gemeinsamen) Lernen in öffentlichen (!) Schulen nicht nur um Qualifizierung der einzelnen geht, sondern um die Möglichkeit, ungefähr zu wissen, was die anderen wissen. Das ist nämlich die neben der eigenen Fähiggkeit, die andere Grundlage für Erwartungsbildung und Kommunikation. Das geht im bilateralen Lernen verloren und auch die Platttform ersetzt nicht den Blick darauf, wie und was andere lernen.