Zeitlicher Nachklapp bzw. redaktioneller Vorspann: Der Fish-Bowl war extrem spannend – weil ungewöhnlich positiv. Offensichtlich versammeln sich unter den Web2.0-affinen Lehrern die engagierten Kollegen. Die Lernwerkstatt der Fallada-Schule ist ein interessanter multimedialer Arbeits- und Experimentierraum. Die Schule nennt ihren Zugang entdeckendes Lernen. @ciffi hat zum Fish-Bowl einen Twitter-Stream geschrieben, der zumeist aus Zitaten von Lehrern besteht. Themen unter anderen: Fortbildung, Moodle, von Kindern lernen, die kulturelle Distanz von Schule zu Web2.0… [wird fortgesetzt, siehe unter twitter hashtag #21j100lernen]
„eXplorarium und die Schule von morgen“, hieß eine Fachtagung am Mittwoch, den 21.9.2011 in der Berliner Hans-Fallada-Schule. Dabei gab es unter anderem einen Fish-Bowl, der die Frage aufwarf, welchen Beitrag das eXplorarium für die Schulentwicklung leistet. Dazu einige grundsätzliche Thesen für die Debatte.
0) Die Schulen der Bundesrepulik stehen, ob sie es wollen oder nicht, vor einer digitalen Bildungsrevolution.
Die Frage wird dabei sein, ob die Kultusminister diese Revolution wieder verschlafen – wie bereits das schleichende Schulform-Erdbeben, das sich seit etwa zehn Jahren der Schulen bemächtigt. Obwohl die Kultusminister die Schulformen zum Tabu erklärten, haben sie fast alle an den Schulen herumgebastelt. Und zwar so, dass heute eine babylonische Schulnamenverwirrung herrscht. (Siehe pisaversteher)
1) Die Bildungsrevolution besteht aus drei parallelen Prozessen. Alle drei finden ohnehin statt – es geht darum, sich zu ihnen zu verhalten.
1.1 erobern die digitalen Medien und inbesondere die Web2.0-Anwendungen die gesamte Gesellschaft. Die Lebenswelt aller wird davon berührt. Die Schule sträubt sich gegen die Eroberung – aus Geldmangel und kultureller Distanz.
1.2 sind die Schüler digital natives, die wie selbstverständlich mit der Vielzahl an online-Angeboten und -Instrumenten umgehen. Besonders stark aber nutzen männliche Jugendliche das Medium der Egoshooter. Das führt zu einer fatalen Entwicklung: Ein Teil der Jungen verbringt heute mehr Zeit vor Killerspielen als in der Schule. (Das zeigen Erhebungen des notorischen Christian Pfeiffer, der zeigen kann, dass 16 Prozent der 14- bis 16jährigen täglich 4,5 Stunden Killerspiele konsumieren bzw. spielen.)
1.3 wird die Pubertät aller Jugendlichen durch den Online-Porno extrem stark beeinflusst. In der wichtigen und fragilen Phase ihrer Persönlichkeitsfindung als sexuelle Personen werden die Jugendlichen von einer sexualisierten Bildwelt überschwemmt. Das berührt die Identitätsfindung, um es vorsichtig zu sagen. Oder: Der komplexe Prozess der sexuellen Selbstfindung und -bestimmung wird durch eine obsessive Nacktheit und Pornografie nachhaltig gestört.
Nach meinem Eindruck wehren sich Lehrer in der Regel gegen diese Prozesse bzw. durchschauen sie nicht. Sie haben mit ihnen zu tun, da sie ja die web2.0-geladenen Jugendlichen in der Schule vor sich haben. Aber sie können für diese komplexe Lebenswelt der Schüler kaum konstruktive und kritische Angebote machen. Verkürzt könnte man sagen: Schüler sind digital natives, Lehrer sind digital resistants.
2) Für die Lehrerbildung wird die digitale Bildungsrevolution zur Nagelprobe. Es wird darauf ankommen, digital resistants zu souveränen Akteuren eines web2.0-gestützten kollaborativen Lernens zu machen. Meine These: Die üblichen Fortbildungsprozesse sind viel zu zäh und langatmig, um mit der rapiden digitalen Durchdringung der Lebenswelt der Schüler mitzuhalten.
Ein Beispiel: moodle ist ein vergleichsweise sperriges online-Tool für den Unterricht. Es fällt den teilnehmenden Lehrern (und Journalisten ;-)) durchaus schwer, die Prozeduren des Instruments zu verstehen. Dahinter bleibt der evidente Nutzen von moodle in der Lernsituation zunächst weit zurück. Im Unterricht ist moodle ein spannendes Instrument, um auch jüngeren Jahrgängen den Effekt kollaborativen Lernens bewusst zu machen. moodle macht es – anders als bei Hefteinträgen oder normalem fragend-entwickelnden Unterricht – möglich, die individuellen Beiträge jedes Schülers sichtbar zu machen. Sie legt die kreativen Potenziale einzelner Schüler frei – und öffnet sie zugleich für einen kolletiven Lern- und Stimulationsprozess.
Dennoch bleibt moodle ein sperriges und beinahe taubes Instrument – im Vergleich etwa zu den Potenzialen einer iPad-Klasse, die von einem Web2.0-erfahrenen Lehrer angeleitet wird. Mit iPads ist es möglich, einfach und schnell eine Vielzahl von medialen Subtools wie Apps in die Schülerschaft zu tragen – und sie zu selbständigen und kollaborativen Teilnehmern von Lern- und Produktionsprozessen zu machen.
ist denn moodle für schüler so anders als für studenten? ich kenne es aus meiner studienzeit und habe es als gutes zusatztool kennengelernt. digitales lernen kann keinen unterricht ersetzen, nur ergänzen. ziel sollte es sein, den kindern einen sinnvollen umgang mit den online-medien klar zu machen und deren potentiale positiv zu nutzen. unterricht kann zweifellos spannender und bunter mit medien gestaltet werden. die face-to-face auseinandersetzung können sie nicht leisten.
beim umgang mit ego-shootern; online-games usw. sind es vor allem korrelierende faktoren: elternbindung, peer-group und die persönlichkeitsstrukturen der kinder, die zu einem kippen des gesunden maßes und auch einer desensibilsierung führen. nicht nur die schulen, sondern auch die eltern müssen hier mitziehen. es ist zu leicht zu sagen, dass die schulen das leisten müssen. die schulen können lediglich präventiv und aufklärend arbeiten (das allerdings sollten sie auch tun!)
allerdings, wenn die kinder nach hause kommen und der (oder mehrere) fernseher oder (die) computer laufen, „lernen“ sie auch das verhalten ihrer eltern.
die sexuelle verrohung ist ein allgemeines problem der gesellschaft. wenn körper und körperlichkeit zum verkaufsargument werden und halbnackte frauen riesengroße plakatwände zieren, wenn sich neunjährige mädchen gedanken über ihre figur machen, dann fängt es hier bereits an. die pornos werden vor allem über kamerahandys weiter gegeben und im internet geschaut. da frage ich mich doch (auch; s.o.) wo bleiben die eltern?
muss ein zehnjähriges kind ein touchscreen-handy haben? muss der internetzugang unbeschränkt sein (keine ahnung was die da den ganzen tag machen; vermutlich spielen). kinder brauchen strukturen, wenn sie die nicht bekommen, sich keiner um sie kümmert und sie aufklärt, dann darf man sich auch nicht aufregen, dass sich nicht gegen die gesellschaft zu wehren wissen, die wir (mit) erschaffen haben. schule allein kann das nicht leisten, aber einen anfang machen.
pd
Pädagogisch betreutes „Moodle“ verbunden mit realem Handeln, genau das ist „eXplorarium.de“ wie in der Hans-Fallads-Schule, gibt den Kindern Strukturen und Anreize, digitale Instrumente für ihr Leben sinnvoll zu nutzen ohne die Realität aus den Augen zu verlieren. C.F.