Berlins Schulreform scheint zu wirken. Im Jahr 2 ihrer Umsetzung bekommen 95 Prozent der Sekundarschüler ihre Wunschschule, bei den Gymnasien sogar 98 Prozent. Das berichtet die taz unter Berufung auf die Schulsenatorin. In absoluten Zahlen: Von über 20.000 Siebtklässlern des Schuljahres 2012/13 haben nur 250 Gymnasiasten und 840 Sekundarschüler ihre Wunschplatz NICHT erhalten.

Besonders bemerkenswert ist: Die zehn Schulen mit der größten Nachfrage sind nicht etwa Gymnasien, sondern Sekundarschulen. Das heißt: Der erwartete Run, die Flucht der Eltern vor der Schulreform auf die Gymnasien ist ausgeblieben, mehr noch: Es gibt einen Run auf Sekundarschulen. Das ist absolut bemerkenswert.

Aber: Schulreformen klappen nicht. Selbst dann nicht, wenn sie klappen. Jedenfalls in der Sichtweise bestimmter Leute.

Man kann auch sagen: Schulreformen, die weg gehen von der gegliederten Schule dürfen nicht funktionieren.

Eine viel kritischere Sichtweise haben also der Tagesspiegel und ein Privatschulverband aus Berlin. Im Tagesspiegel wird bemängelt, dass es eine Reihe von Sekundarschulen in Brennpunkten gibt, die ihre Schülerreihen nicht voll bekommen haben. „Eltern machen einen Bogen um Brennpunktschulen“

Auch eine Berliner Privatschulkette, die sich selbst „Kreativitätsschulen BIP“ nennt, hat durch ihre Kommunikationsagentur Kappe eine bemerkenswerte Analyse der Schulreform in der Hauptstadt abgegeben. In einer Pressemitteilung heißt es:

Zum zweiten Mal seit der Schulstrukturreform versenden die Berliner Bezirksschulämter morgen die Bescheide zur Aufnahme an den weiterführenden Schulen. Das Fazit nach zwei Jahren Reform ist, dass das angestrebte Mehr an Chancengleichheit zu Lasten der Gymnasien in den sozialen Brennpunkten geht. Die begehrten Sekundarschulen picken sich die besten Schüler heraus während die weniger gefragten Gymnasien nicht mehr über die Klientel an Schülern verfügen, die es in 12 Jahren zum Abitur schafft. Trotzdem verhallt die Forderung dieser Gymnasien nach einem moderaten NC von 3,0 ungehört.

Die Idee der Schulreform war es, die völlig kaputten Berliner Hauptschulen zu öffnen und aus dem sozialen Gefängnis ihrer negativen Lernmilieus zu befreien. Baumert und viele andere haben gezeigt, dass Schulen dann besonders negativ für die Motivation und die Lernerfolge ihrer Insassen sind, wenn dort ausschliesslich Kinder aus sozial- und leistungsschwachen Haushalten konzentriert werden. (1) (Diskussion im Freitag-Blog)

Nun ist es offenbar in einem ersten Schritt der Reform gelungen, bessere Mischungsverhältnisse zu bekommen. (Ob daraus ein besseres Lernen und bessere Ergebnisse resultieren, wird man sehen.) Genau das aber, dass es eine lerngünstigere soziale Mischung gibt, wertet die Privatschulkettte als Makel der Reform. Man höre und staune, es gelinge den Sekundarschulen, sich gute Schüler, also gymnasialempfohlene Schüler ZU PICKEN. Das hätte sich bei der Verabschiedung der Reform niemand zu träumen gewagt, dass bereits nach zwei Jahren Sekundarschulen attraktive Profile entwickeln – darunter ein Schulpreisträger, die Brandt-Schule in Pankow.

Die Conclusio aus der Sicht der Privatschulkette BIP: Jede Schulreform ist eine schlechte – entweder sie ist schlecht, oder sie wird schlechtgeredet.

1: Baumert, Jürgen (2006): »Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus«. In: Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 95–180