An der PH Thurgau beginnt morgen eine Tagung zur Zukunft der Reformpädagogik nach dem Einbruch der sexuellen Gewalt in ihre Ideologie – und, vor allem, gegen ihre Schutzbefohlenen. Zusammen mit dem Vorsitzenden des Vereins Glasbrechen e.V. wird pisaversteher dort versuchen herauszufinden, warum das Täterumfeld so abwehrend auf die Hilferufe der missbrauchten, misshandelten und vergewaltigten Schüler reagierte. Selbst eingefleischte Reformpädagogen, die das Seelenheil ihrer Schüler sonst über alles stellen, schwiegen, sahen weg oder beteiligten sich sogar an der systematischen sexuellen Ausbeutung ihrer Schüler.

Hier der Seminarentwurf von Adrian und mir.

Verglichen mit dem, was wir tun, ist der Kampf gegen Windmühlenflügel vergnügungssteuerpflichtig

Adrian Koerfer und Christian Füller

Aufklärung von sexueller Gewalt ist ein kompliziertes Ding. Das wissen Betroffene, Aufklärer und Hinseher genauso wie Psychologen und Reporter. Die Institution schottet sich ab. Sie steht strukturell zum Täter, sie betreibt – unbewusst oder bewusst – eine Schuldumkehr. Nicht den Opfern wird Mitleid, Hilfe und Solidarität angeboten, sondern seltsamerweise den Tätern. Das zeigt auch die Flut von öffentlich gewordenen Fällen sexueller Gewalt NACH den spektakulären Aufdeckungen an der Odenwaldschule und den katholischen Internaten. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem man annehmen hätte können, dass Gesellschaft und Institutionen etwas gelernt haben.

„National und international machen wir die Erfahrung, dass es Politiker quer durch alle Parteien gibt, die mit grossem Aufwand und viel Netzwerkarbeit verhindern, dass das Thema Kindsmissbrauch transparent behandelt wird und auf die politische Agenda gelangt. Andere foutieren sich um das Thema oder schweigen sich beharrlich aus.“

Adrian Koerfer, Ex-Schüler und Vorsitzender des Aufklärungsvereins „Glasbrechen“, und Christian Füller, Journalist und Autor des Odenwaldbuchs „Sündenfall“, schildern aus ihrer Perspektive persönliche und doch strukturelle Erfahrungen bei dem Versuch, Licht in das Verbrechen sexueller Gewalt gegen Abhängige, die Täter, die Lobby, das „System Becker“ zu bringen. Zusammen mit den Teilnehmern wollen wir sodann ausloten: Wie geht das Umfeld und die Umwelt damit um, wenn sexuelle Gewalt ruchbar wird? Gibt es Parallelen zwischen dem Umgang mit den Betroffenen, den Hinsehern und den internen wie externen Aufdeckern? Seien sie Pädagogen oder Päderasten, Patres oder Perverse.

Die Grundfrage lautet: Warum steht das Umfeld auf der Seite des Täters – und zwar selbst dann, wenn es programmatisch das Wohl und Seelenheil des Kindes wie eine Monstranz vor sich herträgt: Reformpädagogik, katholische Lehre etc.

„Wir können es vor uns selbst nicht zulassen, dass unser Bekannter, der nette Mann von nebenan oder unser charismatischer Trainer der Vergewaltiger eines Kindes ist“,

sagt Julia von Weiler, Psychologin und Leiterin der Anti-Cyber-Missbrauchs-Initiative „Innocence in Danger“ in der taz.

„Der Täter als ein Teil unseres nächsten Umfelds – das wollen die Menschen nicht begreifen. Und das hindert die Gesellschaft ganz allgemein daran, endlich effektive Schritte gegen sexuelle Gewalt zu unternehmen. Weil wir uns dagegen wehren, verstehen wir es nicht.“

Literatur: Den Kopf immer tiefer in den Sand, taz