Die Inklusion, das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Handikaps, kostet das Land NRW binnen zwei Jahren rund 100 Millionen Euro. Das hat der Bildungsökonom Klaus Klemm errechnet. Er hat damit indirekt das viel diskutierte Gutachten der Gemeindeverbände in NRW korrigiert – aber nur im Detail. Nach dem Papier (Zusammenfassung hier) der Autorengruppe um Alexandra Schwarz von der Uni Wuppertal hatte das Land dementiert, dass die Inklusion dreistellige Millionenbeträge koste. Nun bestätigt Klemm genau das. (Siehe Auszug aus der Zusammenfassung, am Ende dieses Beitrags)

Müssen immer zwei Lehrpersonen in einem Klassenzimmer sein?

pisaversteher hat vor der heutigen Veröffentlichung des Gutachtens mit Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) gesprochen.

pisaversteher: Wenn Ihnen Inklusion so wichtig ist, warum tun Sie dann eigentlich in Ihrem eigenen Bundesland NRW so wenig dafür?

Wir tun viel für Inklusion! So gibt es bis 2017 allein 3.200 Lehrerstellen zusätzlich. Das ist ein Teil der insgesamt 9.500 Lehrerstellen, die nicht abgebaut werden, obwohl der Schülerrückgang es erlauben würde ,. Ich komme gerade von einer Veranstaltung, bei der  142 Moderatoren für die inklusive Schulentwicklung ihr Zertifikat erhalten haben. Diese Moderatoren begleiten die Schulen ganz konkret in der pädagogischen Praxis. Es geht ja nicht nur um ein Gesetz, es geht darum, den Kollegien die Sorgen zu nehmen, die sie wegen der Inklusion haben, und sie vorzubereiten und zu begleiten. Das ist gut investiertes Geld.

pisaversteher: Genau diese Inklusionsmoderatoren sagen uns aber: Ja, die Schulen machen sich auf den Weg, aber es braucht viel mehr Hilfe vom Land! Man müsse den Schulen die Chance geben, eine zweite Lehrperson in Klassen mit behinderten Kindern tun.

Das habe ich dort nicht gehört. Und ich frage wirklich: Müssen wir jede Schule, jede Klasse, jede Lerngruppe gleich behandeln?

pisaversteher: Was meinen Sie damit?

Müssen immer zwei Lehrpersonen in einem Klassenzimmer sein? Gilt das automatisch für sehbehinderte genauso wie für geistig behinderte Kinder? Oder reicht hier vielleicht eine vernünftige Sehhilfe und dort ein Integrationshelfer und in anderen Fällen – nicht in allen – vielleicht ein zusätzlicher Sonderpädagoge. Muss das von oben angeordnet werden? Ich sage: Nein, das muss vor Ort entschieden werden. Die Kinder sind so verschieden, dass in der jeweiligen Schule eine differenzierte Antwort gegeben werden muss.

pisaversteher: Wenn vor Ort aber schlicht das Geld und das Personal für gute Inklusion fehlt?

Ich nehme die Sorgen sehr ernst, die an mich herangetragen werden. Es gibt aber eine Haltung, die große Angst vor dem ersten Schritt hat. Man muss es erleben und fühlen, dass es gut ist für alle Kinder. Das braucht auch Zeit. Der frühere Behindertenbeauftragte Hubert Hüppe von der CDU sagt zu Recht: ‚Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie nicht will, sucht Gründe.‘ Inklusion ist eine Generationenaufgabe, die wir schrittweise angehen wollen. Und nochmal: Wir investieren in NRW spürbar in die Inklusion; von 2012 bis 2017 rund 850 Millionen Euro zusätzlich.

pisaversteher: Auch ein Gutachten des Städtetages sagt Ihnen, dass Sie viel zu wenig für die Inklusion ausgeben.

Streitig ist der Umfang, und ob diese Kosten durch unser Gesetz ausgelöst werden. Es geht um die Frage, ob nur das Land für die Inklusion zahlt, oder ob auch die Kommunen als Schulträger ihren Teil zu dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe beitragen. Allein von 2012 bis 2017 wird das Land rund 850 Millionen Euro zusätzlich für die Inklusion bereitstellen. Es gibt einen Dissens, und es wird hart ums Geld gerungen. Das kommt in den besten Familien vor – aber wir haben bereits ein konsensuales Verfahren entwickelt. [Das jetzt mit der Herausgabe des neuen Gutachtens mit konkreten Zahlen operieren kann, cif] Bis Ende Januar wollen wir in einer Arbeitsgruppe zusammen mit einem gemeinsam benannten Bildungsökonomen zu einem Ergebnis kommen. Und: Land und Kommunen sollten gegenüber dem Bund an einem Strang ziehen.

pisaversteher: Sie sagen als Kultusministerpräsidentin, der Umbau der Regelschulen in inklusive Schulen sei eine Generationenaufgabe. Aber als Schulministerin Ihres Landes, die es bezahlen soll, erkennen Sie es nicht mal als zusätzliche Aufgabe der Kommunen an?

Schulentwicklungsplanung ist eine kommunale Aufgabe. So steht das im Gesetz, und so wird das auch in anderen Bundesländern gehandhabt. Wir haben heute eine Inklusionsquote von 25 Prozent – da kann man doch nicht sagen, dass das was völlig Neues ist. Und die Inklusionshelfer hat der Bund ins Sozialgesetzbuch geschrieben, die muss er also auch bezahlen – und nicht das Land Nordrhein-Westfalen.

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Klaus Klemm schreibt:

Wenn die Zusatzausgaben je Schüler auf das Land hochgerechnet werden, so ergibt sich auf der Basis der Daten

  •  aus Krefeld ein Ausgabenvolumen von 70,5 Mio. Euro für die Schaffung der schulischen Voraussetzungen der Inklusion (Ausgabenvolumen I) bzw. von 34,5 Mio. Euro für schulische Inklusion unterstützende Maßnahmen (Ausgabenvolumen II)
  •  aus dem Kreis Minden-Lübbecke ein Ausgabenvolumen von 81 Mio. Euro für die Schaffung der schulischen Voraussetzungen der Inklusion (Ausgabenvolumen I) bzw. von 40,5 Mio. Euro für schulische Inklusion unterstützende Maßnahmen (Ausgabenvolumen II)