Bildungspolitik muss strengeren Maßstäben genügen als andere Politik – denn es geht nicht nur ums Lernen, sondern um konkrete Hoffnungen einer Generation
Pisaversteher hat in den letzten Tagen eine Weihnachtsgeschichte über die heiligen drei Königinnen Löhrmann, Wanka und Kurth erzählt (Siehe in diesem Blog weiter unten.) Eine Geschichte von Ministerinnen, die nicht Weihrauch und Myrrhe bringen, sondern – leider – Märchen erzählen, die Eltern und Schüler lieber nicht glauben sollten
10 Milliarden vergossene Milch
Es ging darum, dass die Kultuspräsidentin Sylvia Löhrmann die Bafög-„Reform“ (ab 2016/17) als Erpressung des Bundes bezeichnete – obwohl die Erpresser sicher nicht im neuen Bildungsministerium am Neuen Ufer in Berlin sitzen. Sondern in den Provinzen.
Ihre Nachfolgerin Brunhild Kurth aus Sachsen träumte dann von einem Zentralabitur – obwohl sie weiß, dass es das nicht geben kann und wird.
Und Johanna Wanka schließlich vergoss 10 Milliarden Euro Milch an die Länder – obwohl sie weiß, dass sie damit das einzige Pfand aus der Hand gibt, das sie zum Verhandeln guter Studienbedingungen braucht: Geld. Trotzdem hat sie munter Dauerstellen angekündigt.
Es gab Kritik aus den Kultusministerien daran, dass die Thesen zu hart wären und zudem aus Hintergrundgesprächen stammten. Ja, das stimmt, die Interpretationen sind unbequem. Auch, wenn Pisaversteher den Ministerinnen keine Lügen im moralischen oder strafrechtlichen Sinne vorhält, so sind es dennoch scharfe Zuspitzungen. Ich finde, sie sind gerechtfertigt – denn es geht um eine geänderte Verfassung, um betrogene Hoffnungen und um fahrlässige Reden.
Balance von Hoffnungen und echten Chancen
Wieso halten die Ministerinnen, die doch jede für sich sympathisch, klug und engagiert sind, solche Reden vom Bafög, Zentralabitur und Dauerstellen, deren enthaltene Behauptungen einer Überprüfung nicht standhalten? Das ist schwer zu sagen. Sie müssen Erfolge verkaufen, sie wollen den Leuten auch was Gutes tun. Und, ehrlich gesagt, sind sie wohl auch ein bisschen verzweifelt. Da greifen sie zu Versprechungen, die sich gut anhören, die aber niemals Wirklichkeit werden können.
Das Problem dieser Art des Politikmachens ist, dass es in der Bildung nicht um hehre Worte geht, sondern um ganz reale Abiturwünsche, um Studienplätze, um Ausbildungsplätze und das Eintrittsticket in Gesellschaft, ganz allgemein, um Aufstiegschancen. Dem realen Aufstieg – oder dem Traum davon. Bildungspolitiker müssen immer die Balance zwischen gutem Hoffnungmachen und realem Chancengewähren halten.
Erdbeben in der Bildungslandschaft
Die Republik erlebt gerade einen Totalumbau ihres Bildungssystems. Vor ein paar Jahren waren es circa 30 Prozent eines Jahrgangs, die sich als Abiturienten Richtung Hochschule aufmachen wollten, inzwischen haben wir fast 60 Prozent. Die Gewichte zwischen den Bildungsgängen verschieben sich, es ist ein kleines Erdbeben der Bildungslandschaft zu beobachten. Die Gymnasien und die Hochschulen müssen also quantitativ und qualitativ mit viel mehr und ganz anderen Schülern und Studenten umgehen. Darauf sind sie überhaupt nicht vorbereitet. Und diejenigen, die ohne Blick aufs Abitur in den unteren Schulformen verbleiben, sie dürfen sich nicht als der doofe Rest empfinden. Sie haben das gleiche Recht auf gute Chancen. Das gilt genauso für die duale Ausbildung, die im Erdbeben unterzugehen droht.
Was wir aber beobachten können ist, dass keine der alten Schulformen auf die neuen Anforderungen vorbereitet ist. Genauer: Die Kultusminister haben sie nicht darauf vorbereitet. Es ist freilich ihr Job als Schul- und Hochschulminister, sich darum zu kümmern. Dafür wurden sie berufen und dafür bekommen sie ihr Geld. Die Kultusminister haben aber im Gegenteil etwas herbeigeredet, das sie jetzt nicht gar gewährleisten können: Studienplätze, Chancen, Ausbildung. Stattdessen quasseln sie ein bisschen rum.
In die Hochschulen gelockt
Die Bildungsminister locken seit vielen Jahren immer mehr junge Leute in die Hochschulen. Sie haben sogar ein beschleunigtes Abitur eingeführt, damit noch mehr junge Leute noch schneller auf die Hochschulen kommen. Dadurch entstanden doppelte Abi-Jahrgänge. Das war aber nur ein wichtiger Treiber des Abitur- und Studentenbooms. Die jungen Leute wollen auch studieren, weil sich die Welt verändert hat und sie auf eine komplexe Zukunft gut vorbereitet sein wollen. Und auch weil ihre Eltern – zurecht – Qualifikation als den Schlüssel für Erfolg und Einkommen sehen.
Da liegen sie vollkommen richtig – in ihren Träumen. Aber in ihrer Realität bekommen die jungen Leute weder ausreichend Studienplätze, also genug Dozenten, die mit ihnen Vorlesungen und Seminare abhalten, noch bekommen sie Bibliotheken, Mensen, Studentenwohnheime, nicht mal das Bafög wird ausgeweitet.
Beim Bafög sieht man deutlichsten den Missbrauch von studentischen Hoffnungen. Angekündigt wird eine Bafög-Erhöhung. In Wahrheit aber wurde die Studienförderung als Verhandlungsmassen für die Verfassungsreform benutzt. Die Länder bekommen das Bafög ab 1. Januar als Freibetrag – die Studenten müssen noch bis Ende 2016 warten. Ein Skandal.
Mit dem Hochschulpakt ist es ähnlich. Mit ihm wurden schnell noch vor der Verfassungsänderung 10 Milliarden Euro an die Länder verschoben – und zwar ohne die Chancen zu nutzen, dass man seit gestern mit Bundesgeld Dauerstellen hätte einrichten können – man hätte also aus vielen prekären Beschäftigungen unter den 180.000 befristet arbeitenden Hochschuldozenten Stellen mit Perspektiven machen können. Vergeben, eine Jahrhundertchance wurde verpasst. Der Hochschulpakt ist also eine große Lüge ein Traumschloß, in das ganz viele Studenten nie werden einziehen können.
Die Kultusminister gehören für viele Bürger inzwischen in die unterste Schublade der Politik. Sie haben kaum etwas zu sagen, sie sind langsam wie eine Schildkröte, der damalige Ministerpräsident Christian Wulff wollte sie sogar mal ganz abschaffen. Damals ging es um die Rechtschreibreform. Dieser Wunsch von Wulff war natürlich Populismus, denn die Schul- und die Wissenschaftsminister haben selbstverständlich eine wichtige Aufgabe: Sie sollen den Menschen die Möglichkeit geben, eine gute Bildung und Ausbildung zu erhalten. Und darum steht es in diesem Land auch besser als anderswo auf der Welt.
Mit Hoffnungen macht man keine Späße
Dennoch produzieren Bildungsverantwortliche Verdruss, wenn sie Dinge versprechen, die sie in Wahrheit nicht halten können. Wenn sie also suggerieren, dass es bald ein Abitur geben wird, das die Zukunftsaussichten und Ansprüche des Abiturs von früher einhalten wird. Oder wenn sie Studenten versprechen, dass es ausreichend Studienplätze geben wird. Oder wenn sie ein Bafög ankündigen – es dann aber den Ländern und nicht den Studenten schenken.
Abitur und Studium sind die wichtigsten Projektionsflächen für ein gutes Leben – von Eltern wie von ihren Kindern. Alle Untersuchungen zeigen, dass Bildung seit der Pisastudie und der gleichzeitigen ökonomischen Verunsicherung der Mittelschicht in den Familien als das (letzte) große Zukunftsversprechen begriffen wird. Damit macht man keine Späße. Schon gar nicht als Bildungsminister. Und vor allem dann nicht, wenn der Studentenberg 2,7 Millionen Studierende hoch ist. Diese Studierenden werkeln im Moment noch ganz brav in ihren Bachelor- und Master-Kästchen vor sich hin, ohne darüber nachzudenken, ob sie irgendwann erfolgsprechend auf den Markt kommen – und sich ihre Träume realisieren lassen. Wenn dieser Berg aber ins Rutschen kommt, wenn die Studenten also merken, dass sie die Kultuspolitik seit vielen Jahren mit all´ ihren fahrigen Versprechen hinter die Fichte geführt hat, dann wird es spannend.
Dann können Frau Kurth, Frau Löhrmann und Frau Wanka erzählen, was sie wollen. Niemand wird dann noch zuhören.