Das Down-Mädchen Karola wurde nach Hause geschickt, äh, pardon, sie blieb zufällig übrig.

Dass Karola vor dem Frauenendspiel zwischen Wolfsburg und Turbine Potsdam nach Hause gehen musste war kein Skandal des Fußballbundes, sondern ein Skandal der Sensibiltät. Karola ist 15 Jahre alt, war mit ihrer Mädchenschaft zum Endspiel gekommen – aber am Schluß war sie es, die aussortiert wurde. Also ging sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause. 91 Mädchen waren da, drei mussten wieder gehen. Und da war die Jugendliche mit dem Down-Syndrom dabei.

Zufall?

Ja, sagt die nette Dame vom Deutschen Fußballbund, der das wahnsinnig peinlich ist. „Karola hätte die Choreografie drauf gehabt“, berichtet Frau Seitz, und je länger man ihr zuhört bei dem Vorgang, der Karola übrig ließ, weiß man. Nein, es war keine gezieltes oder gar aggressives Zurücksetzen eines geistig behinderten Mädchens, es war keine bewußte Exklusion. Was im Müngersdorfer Stadion in der Lanxess-Arena vergangene Woche passierte war die ganz ordinäre Alltagsexklusion durch Unsensibilität und Unaufmerksamkeit. 88 Mädchen werden für die Choreografie gebraucht, 91 waren da. Der Verband lädt immer ein paar mehr ein. Nach und nach gingen alle der Mädchen in die jeweiligen Gruppen. Karola meldete sich vielleicht nicht oder man übersah sie. Am Ende habe keiner gemerkt, dass das übrig gebliebene Mädchen das mit dem Down-Syndrom war. Die DFB-Sprecherin entschuldigt sich wieder und wieder. Das ist ein großer Fehler gewesen, das ist ganz falsch gelaufen, das war überhaupt keine Absicht!

Dich brauchen wir nicht mehr

Das Down-Mädchen steht allein. Alle ihre Mitspielerinnen haben inzwischen eine Fahne in der Hand. Nur sie nicht. Und dann sagt jemand: Dich brauchen wir nicht mehr.

Das letzte Tor des Monats hat ein Downie geschossen. Beim FC Bayern führten jüngst Buben mit Trisomie-21 die Superprofis auf den Platz. Aber bei Karola merkt keiner, dass sie einen Ast zu viel auf Chromosom 21 hat?

Was wir sehen ist die Mühe der Ebene. Inklusion ist inzwischen ein Spitzenprojekt. Es wissen Menschen von ihr, die vorher gar nicht auf dem Radar hatten, dass Kinder und Menschen mit Handikaps dazugehören könnten. Einfach so. Und das ist auch gut so. Aber es erfordert eben ein Umdenken, eher Umfühlen, um das auch im Alltag zu realisieren. Mehr im Bauch als im Kopf. Wenn Inklusion mal nicht zum Vorzeigen ist, kein von oben aufwändig installierter Vorgang, sondern von unten gewachsen ist wie bei Karola, dann geht es leicht mal schief.

Wäre Karola eingeteilt gewesen, die neue Bundestrainerin Steffie Jones auf den Platz zu führen, hätte man ihr über den Kopf gestreichelt und niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, sie nach Hause zu schicken. Aber jetzt, da sie ganz normales Mitglied eines Mädchenteams ist und keiner „Inklusion“ ruft, da muss man einfach acht geben, aufpassen, hingucken.

Darf der Neger mit in den Bus?

Es gibt bei der Wahl von Fußballmannschaften eine gute Praxis. Sie lautet: Auch die letzte Pfeife wird nach dem Tiptop mit in eine Mannschaft genommen. Kleine Jungs, Väter mit dicken Bäuchen, absolute Vollpfosten, kurz: Jeder normal Behinderte wird mit aufgestellt. Das ist kulturell tief verankerte Praxis. Wer dagegen verstoßen würde, den würde man verstoßen.

Gegen diese Regel wurde am 1. Mai im Köln Müngersdorfer Stadion verstoßen, als man Karola stehen ließ. Das heißt, es wurde nicht wirklich gegen sie verstoßen, es gibt diese Regel noch nicht, nicht in den Köpfen und nicht im Bauch, dass Downies selbstverständlich auch mit aufgestellt werden. Und dass man auch nicht alle fragen muss, ob der Downie mitspielen darf. Das wäre ja gerade so, als fragte man alle im Bus sitzenden, ob der Neger auch mitfahren darf.

Nicht deutlich genug erklärt, dass das nichts mit ihrer Behinderung zu tun hatte

Es tut uns leid, dass Karola als Fahnenträgerin nicht berücksichtigt wurde und wir können ihre Enttäuschung darüber sehr gut verstehen“, steht in der offiziellen Erklärung des DFB. Für den Mediendirektor ist das Problem dennoch immer noch eines des Wordings. Er schreibt: „In der allgemeinen Hektik vor Ort ist offenbar nicht deutlich genug erklärt worden, dass dies nichts mit ihrer Behinderung zu tun hatte.“ Das bedeutet übersetzt für die Szene vor Ort: Du Karola, darfst nicht mitmachen. Aber es hat nichts mit deiner Behinderung zu tun!

Ein weiter Weg bis ins Müngersdorfer Stadion

Karola hat kein Trauma davon getragen, sie hat sich geärgert und vielleicht ein bisschen geweint. Sie ist es halt gewohnt, sie ist die Pionierin unter den „Normalen“, die öfter mal nicht mittun darf. Karola hat eine sehr aufmerksame Mutter, die seit vielen Jahren nicht nur für die Rechte ihrer Tochter kämpft, sondern für alle Kinder mit Handikaps. Und für das Umdenken. Auch sie hat kein Trauma erlitten. Aber ich kann ihnen sagen, es ist ein weiter Weg, ehe eine Karola wie selbstverständlich als Fahnenträgerin zum DFB-Finale der Frauen eingeladen wird. Und es ist schade, dass er wieder so geendet ist.

Aber wir sind weiter als früher.

Wir sind oben auf den Mühen der Ebene angelangt. Aufpassen!