Anmerkungen zu Stephan Nollers Rant gegen mächtige Lehrer und das Ende des Fachwissens: Es geht nicht um Macht, sondern um die – berechtigte – Angst der Lehrer
stephan stefan noller hat auf seinem blog beimnollar über einen elternabend geschrieben, der ein handyverbot für die klasse beschlossen hat. das treibt ihn zu verzweiflung.
es ist ein schönes textlein, das ich leider in dieser art nun schon zum x-ten mal gelesen habe. ich finde, da steht nichts neues drin – außer der hochnäsigkeit des werbetreibenden, der mit der „alles idioten außer mir“-attitüde schreibt. das verstörende aber ist nicht der text, sondern das jubelnde feedback, das er im netz erringt. als würde eine alte, fade pizza mit applaus empfangen.
mein tweet zum text wurde öfters retweetet, von martin lindner sogar zum besten und klarsten stück über das thema geadelt, das er jemals gelesen habe. uiuiui.
Schüler & digitale Medien: Es geht um Macht. Bester, genauester Text dazu, den ich kenne, von @holadiho via @ciffi: https://t.co/CFsNu3ub3W
— Martin Lindner (@martinlindner) October 27, 2015
dennoch ist es interessant, die beiden zentralen argumente des autors aufzugreifenspießen:
- die macht
- das faktenwissen
beides ist nicht falsch. aber, wie würde mein sagenhafter erdkundelehrer von damals sagen:
wenn sie bei der frage, „was war locarno?“ antworten: „dort wurde ein vertrag geschlossen!“ dann ist das nicht falsch. aber sie bekommen für diese „antwort“ noch keine punkte.
kurz: in der vorgetragenen verabsolutierung ist die macht-und-fakten-these unterkomplex – und kontraproduktiv. sie hilft nicht weiter, sondern vergrößert das unvereinbarkeits-faszinosum schule&digitales lernen sogar noch.
1) macht – die lehrer wollten ihre machtposition nicht aufgeben, sie wollten weiter die herrenmenschen im klassenzimmer sein. meint der noller.
es stimmt – aber eben nur für die 5-10 prozent lehrer, die überhaupt noch macht verspüren. bei den anderen isses doch längst was anderes: angst – vor der überforderung, vor den häufig durchgeknallten eltern und, ja, vor der neuen technologie, die ihre schüler so unendlich viel schneller bedienen können. auf das schulsystem als ganzes bezogen stimmt die macht-ohnmacht-these. auf den einzelnen akteur lehrer bezogen ist sie aber ganz falsch.
Die Machtfrage verstellt den Weg aus der Krise
den lehrern machtbewusstsein zu UNTERstellen, VERstellt also gleichzeitig den ausweg aus der krise. ich habe unter anderem auf dem letzten #ecber15 educamp in berlin erleben dürfen, wie viele session-teilnehmer über die doofen lehrer herzogen. in der sitzung ging es um angst, doku hier. lehrer seien zu faul zum sich fortbilden, zu mutlos für das tablet, zu rückwärtsgewandt für die technologie. „v auf die kann man nicht warten“, höhnte die schlauberger-truppe über die lahmen lehrer. „die müssen in die zwangsfortbildung oder gleich rausfliegen“. das waren die o-töne – u.a. von einem superdozenten der volkshochschulen vorgetragen. unheimlich.
alle lehrer im raum kamen sich wie der letzte abschaum vor. glücklicherweise war die kluge @lammatini da, die offen über ihre ängste als lehrerin beim einsatz des digitalen im unterricht sprechen konnte. lehrerInnen brauchen hilfe und angebote – aber keine verhöhnungen á la jimmy johnny häusler oder noller. (ich gebe zu, johnny häuslers text – der immerhin bei wired bejubelt wurde -, war noch ein bisschen blasierter. ein handyverbot auf der klassenfahrt ist absolut sinnvoll. außer es ist eine forscher-fahrt.)
2) fachwissen: „das Smartphone stellt letztlich das ganze auf Fakten-Wissen angelegte System in Frage“
das von noller vorgetragene beispiel des „fachwissen“-googelns beim mondschau-abend ist leider derart simpel und kümmerlich, dass man sich an den kopf fassen muss.
glaubt noller ernsthaft, schulische wissenseroberung bestehe darin, im smartphone nach begriffen zu suchen? das hat doch nichts mit lernen zu tun, wie es die kids im 21. jhd brauchen! diese art „fachwissen“ hinterlässt keinerlei spur in der erfahrung oder im hirn des kindes/jugendlichen, wenn es nicht mit projekten, lehrplan-inhalten und curriculum sinnvoll verknüpft wird.
flipped classroom als Verknüpfung zwischen altem und neuem Lernen
selbstverständlich geht es darum, digitale lern- und forschungsmöglichkeiten zu einem alltäglichen instrument von schule zu machen. aber gegen die alten schule? da geht es doch eher um den gezielten einsatz im sinne einer didaktik für bestimmte fächer, also etwa flipped classroom als wegweisende verknüpfung von altem und neuem lernen in der mathematik.
auch dort übrigens stellt sich keine „macht“-frage. lehrer, die nicht flippen wollen, haben doch keinen machtverlust vor augen – sie scheuen einfach die für sie völlig andersartige vorbereitung, ein fachlich korrektes, spannendes und auch unterhaltsames lern-video von 5 bis 8 minuten herzustellen. kann man ihnen diese furcht verübeln? wollten sie lehrer oder günter jauch werden? haben sie tiefes wissen studiert – oder entertainement? hat ein „beimnollar“ etwa alle tools und allen mut bei der hand, seine nase in die webcam zu halten und eine lektion aufzunehmen?
hier sieht man, wie problematisch die holzhammer-methode von noller ist: flipped classroom ist schön, macht aber viel arbeit und angst. selbst schüler finden das anfangs uncool – und sind dann begeistert. und lehrer brauchen natürlich nicht ewig 2 stunden für ein video, das geht sehr schnell sehr viel schneller…
Hindelanger Bauernschläue hilft nicht bei der digitalen Lernrevolution
(auf Anraten befreundeter Deutschlehrer habe ich diese Stelle runtergedimmt bzw. gestrichen:) das problem des noller-textes liegt vielleicht auch woanders. ich glaube, er hat selber angst. er kennt wie viele seiner netz-applaudiererclaqueure ja nur den einstieg ins thema „das tablet, das digitale, der lehrer & ihre abgründe“. dahinter kommt wenig. das zeigt sein untaugliches absurdes „wie ist der mond entstanden?“ beispiel. also macht der noller das, was leute gerne machen, wenn sie nicht weiter wissen: sie überheben sich über die angeblich so bescheuerten lehrer&co-eltern
tb; dr
– und wärmen sich die kalten füße mit einem arroganten text in kuhpisse. genau so wie es noller im allgäu gelernt hat, als er als kleiner junge mal nicht weiter wusste.
leider hilft hindelanger bauernschläue bei der frage „schulen-ans-netz-aber-bittschön-wie denn?“ aber eben nicht weiter.
Nachträge: Im Netz bisschen Debatte
@ciffi #Schule #flippclassroom Aber je mehr Videos erstellt werden, je leichter und schneller geht es von der Hand. Der Mehrwert überwiegt.
— Martina Grosty (@mgrosty) October 28, 2015
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@mrtewes_berlin @ciffi aber wer sagt den Ausbildern, was sie zeigen sollen? Da traut sich keiner was, weil es mindestens einer besser weiß
— Sebastian Schmidt (@FlippedMathe) October 28, 2015