Spielen! Macht Spaß! Wir alle! Der viel gerühmte @spreeblick-Macher Johnny Haeusler hält eine affirmative Keynote bei der „Fachkonferenz“ digitale Spiele in Kinderhänden

disclaimer: digitales Lernen wird Kindergärten, Schulen und Hochschulen erfassen. Das ist nicht zu verhindern, und das ist auch gut so. Digitale Lernwerkzeuge bieten zusätzliche, oft bessere Möglichkeiten als bisher, damit Lernende zusammenarbeiten und kreativ sein können. Das gilt vor allem für Schulen und Hochschulen. Aber deswegen dürfen digitale Geräte nicht wahllos Bildungseinrichtungen überschwemmen, zuletzt Kitas. Dafür wissen wir schon zu viel darüber, dass massiver Bildschirmeinsatz für die Entwicklung und das Lernen kleiner Kinder kontraproduktiv sein kann. Nicht umsonst betreibt Antje Bostelmann eine Kita, in der digitale Geräte selbstverständlich sind - sagt aber: "Computergames brauchen wir in Kitas nicht." Ich binde hier ein kurzes Video aus einer Klax-Kita ein, das die vielen digitalen Lernwerkzeuge zeigt.

Lieber Johnny Haeusler,

ich muss Ihnen das erklären. Von dem viel gerühmten Erfinder von Spreeblick und re:publica hätte ich mir in einer Keynote mehr erwartet. Ich meckere nicht über Ihre Eloquenz und Lässigkeit; die ist garantiert bei jemandem, der witzige Anekdoten von Pong über das Tontaubenschießen bis zu seinen langen Nächten mit Lara Croft erzählen kann. Außerdem haben Sie ihre Lebensleistung erbracht allein dadurch, dass Sie den Missbrauchs-Opfern des Canisius-Kollegs eine Plattform boten, ihr Schweigen zu brechen und ihre Leiden zu berichten. Das nimmt Ihnen keiner.

Mein Problem ist etwas, was man bei Aufsätzen in der Schule angekreidet bekam – und kommen Sie mir jetzt nicht mit „alte Schule, längst vorbei“ -: Die Keynote war eine Themaverfehlung, außerdem fiel sie aus der Zeit, sie war nicht aktuell.

Ich glaube, Sie haben das Thema der Konferenz „digitale Spiele in Kinderhänden“ („Computerspiele für Drei- bis Siebenjährige“) genau ein einziges Mal berührt – als sie sagten, „natürlich sollte man einen Zweijährigen nicht allein/lange vor einem Computerspiel sitzen lassen.“ Da würde ich Ihnen zustimmen. Nur hätte ich gerne mehr davon erfahren, von ihnen, dem intellektuellen Leitstern der Gamer- und Nerdszene. Immerhin ging die Konferenz um dieses Thema! Und nachdem dorthin – so gut wie – keine kritischen, sondern nur affirmative Experten geladen waren, hätte vielleicht die Keynote den Part des Reflektierens übernehmen können. Dann hätten wir zusammen im gedanklichen und dann realen Diskurs Kriterien entwickelt für die Fragen: warum, warum nicht, wie, wie lange – sollen kleine Kinder an Computern welcher Art auch immer spielen?

Ein Phantom als Adressat

Alles das gab es aber nicht, weil die Haeuslersche Platte einen Sprung hatte und sich gewissermaßen an ein Phantom wandte, das seit beinahe zehn Jahren nicht mehr gesehen wurde: der blutverschmierte Gamer, der an einem Killerspiel ein späteres Schulmassaker übt.* Eigentlich war auch nicht diese Figur ihr Sparringsparter – sondern derjenige Politiker, Kritiker etc., der den Killer hypostasierte, ihn sich aus seinen Vorurteilen plus einigen Hinweisen zusammen als Phantasma bastelte. Diese Physiognomie aber, der Gamesverächter, ist in der Gesellschaft quasi ausgestorben – von dem notorischen Hirn-Spitzer und einigen nervösen Eltern abgesehen. Warum also sollte diese Spezies noch Adressat einer Keynote im Jahr 2015 sein? Auf einer „Fachkonferenz“, bei der es um das Gamen von Kleinkindern und Kindern geht? (Zumal Spitzer ausdrücklich nicht geladen war, weil das „nicht produktiv“ gewesen wäre.) Vielleicht können Sie uns das sagen?

Aka Fachkonferenz

Ihre Keynote ist Ausdruck einer Veranstaltung, die den Namen Fachkonferenz nicht verdient. Sie versammelte vor allem Euphoriker des digitalen Spielens, und es ist gar keine Frage, dass die dazu eingeladen sein müssen. Aber es wurde verpasst, die ganzen Disziplinen und Experten zu versammeln, die aus – auch grundsätzlichen – Erwägungen formulieren, warum das Computerspielen ab zwei oder drei Jahren falsch oder kontraproduktiv oder süchtig machend oder ein inhumanes soziales Experiment oder was auch immer sein könnte.

Das aber ist das erschütterndste an dem Vortrag von Haeusler: dass er so unfassbar gedankenfrei war.

Es verlor sich, lieber Johnny H., keine einzige Idee in ihre Rede. Sie haben ausschließlich Sachverhalte geschildert. Und verdoppelt und affirmiert. Ungefähr so lässt sich das zusammenfassen: Spiele! So isses, ja! Ist so. Also wir auch. Und Dreijährige. Warum nicht! „Jede Menge Spaß“, prangte minutenlang als „These“ auf der Leinwand.

Nicht anders Peter Tscherne von der Stiftung digitale Spielekultur im Beitrag des ZDF über die Konferenz:

„Kinder im Alter ab zwei Jahren eigentlich schon fangen an, auf dem Smartphone, auf dem Tablet, auf der Konsole digitale Spiele zu spielen. Das ist die Medienrealität der Kinder.“

 

Bildschirmfoto 2015-11-13 um 16.10.53

Es fand nur das Beschreiben und Niederknien vor dem Sach- bzw. Gruppenzwang statt: Es gibt die Spiele, sie machen Spaß, warum also sollten wir sie nicht spielen?

Das ist aber leider nicht die Frage, sie muss vielmehr lauten:

Wozu sollten Dreijährige Computerspiele absolvieren?

Was hilft es ihnen, wozu brauchen sie das, was verlieren sie, wenn sie es später tun?

Es kann sein, dass bestimmte Games für Dreijährige was bringen. Wir wissen es nicht. Aber wir müssen darüber nachdenken. Wir alle. Nicht nur die Freaks aus der Szene. Das wäre, sorry, ein bisschen zu dürftig, wenn Sie und Ihresgleichen unter sich blieben.

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* Dazu muss man eine Anmerkung machte. Es geht um die Verhöhnung von realen Opfern und Angehörigen von school-shootings, indem man sich über die Killerspiel-These so unwahrscheinlich lustig macht. Bei den späteren erweiterten Schulselbsttötungen kam die Community mit ätzenden Sprüchen ins Netz, noch ehe die Zahl der toten Schüler oder Lehrer bekannt war. „Höhöhö, das waren bestimmt die Gamer – das kommt jetzt wieder“, hieß es dann. Eine Missachtung und Politisierung von Opfern. Sie werden nicht bedauert oder gar beweint, sie werden als Argument missbraucht in einem Moment, da ihre Väter und Mütter noch nicht einmal wussten, dass ihr Kind von einem Mitschüler umgebracht worden war.

P.S. Wer wissen will, wie die Szene mit Kritikern (sie nennen es Trolle) umgeht, sollte sich das folgende Video anschauen. Es wurde mir von Julia Huke aka @herrwie zugeschickt. Sie verstand es als Aufmunterung. Jedem sei selbst überlassen zu interpretieren, was Sie meint…