Eine Kriegs-App für Kinder des islamischen Staats ist besser gemacht als die 130-Millionen-Euro Sprachlernapps der Bundesregierung

Angeblich hat die Terrorgruppe Daesh, die sich selber IS nennt, eine App programmiert, die Kindern den Krieg beibringt. Genauer: Die wichtigsten Vokabeln, die man als späterer Kindersoldat braucht. Sieht man sich die screenshots bei longwar an, dann muss man – leider – den Hut ziehen. Die Materialien sehen besser aus als die offiziellen, die im Namen der Bundesregierung gefördert oder herausgegeben werden.

(Den Link habe ich durch einen freundlichen Verweis von dem stets wachsamen TG Rüdiger bekommen)

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Dieses unangenehme Ereignis schreit danach, mal nachzusehen, was eigentlich aus den tollen Sprachlerntools geworden ist, die Johanna Wanka im Herbst letzten Jahres, also inmitten der Flüchtlingskrise, angekündigt hatte. Wanka hatte damals versprochen, sie werde verstärkt online-Seiten und Apps nutzen, damit die Flüchtlinge ganz schnell Deutsch lernen können. In einer Mitteilung hieß es damals, die Bundesregierung werden 130 Millionen Euro bis 2017 zur Verfügung stellen, damit Integration besser gelingt.

„Um die Sprachkompetenz der Flüchtlinge zu steigern, würden spezielle Lernapps entwickelt. Wanka sagte, die meisten jungen Flüchtlinge besäßen ein Smartphone – ein Umstand, den man sich zunutze machen müsse.“ (Wanka 30.9.2015, Tagesschau-Online)

Ich hatte mir für den Civil Society-Kongress im Haus der Kulturen (und den Workshop Refugee Kids & Digital Technologies) einige Sprachlerntools genauer angeschaut, die für Flüchtlinge bereit gestellt wurden. Das Ergebnis war gemischt.

Mit Abstand am schlechtesten schnitten da die Tools ab, auf welche die Bundesregierung so gern verweist. Dazu zählt u.a. Ich will Deutsch lernen, die App „Informationen für Flüchtlinge“ oder die App „Ankommen“.

Informationen für Flüchtlinge
Informationen für Flüchtlinge
Dort wurden in der Regel nur die Etiketten für Plattformen verändert oder erweitert, die sich an Ausländer richten. Die DaF-Materialien sind, wenn man sie sich genau anschaut, für Flüchtlinge meistens nicht oder nur schlecht geeignet. Sie sind kompliziert statt niedrigschwellig; sie sind voller Zeigefinger-Hinweise, dass man in Deutschland bitte pünktlich und gründlich sein muss; und sie spiegeln vor allem eine Welt wieder, die mit den Erfahrungen und dem Schicksal vieler Geflüchteter wenig bis nichts zu tun haben. 

Was taugen die Regierungsapps?
Was taugen die Regierungsapps?
Eine eigene Sprachlernapp für Kinder sucht man bei der Bundesregierung vergeblich. Böse gesagt: Warum auch, es sind ja nur 350.000 Kinder und Jugendliche, und für die sind ja die Bundesländer zuständig. 

Aber auch die online-Ressourcen aus der Zivilgesellschaft haben ihre Eigenheiten. Die Sachen von Refugee-Phrasebook zu Beispiel sind unheimlich engagiert, und die fleißigen Helfer waren wahnsinnig schnell. Sie haben dafür auch Preise eingeheimst, etwa den OER-Award 2016. Aber, nüchtern betrachtet, hilft es Flüchtlingen nur bedingt, wenn sie eine riesige Exel-Tabelle im Netz vorfinden, auf denen wichtige Wörter in zig Sprachen sind. Ausdrucke von solchen Wörterbüchern sind sicher praktisch – aber Sprache lernen geht damit nicht. Man sollte das den Refugee-Leuten nicht vorwerfen. Sie sind weder Didaktiker in Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache noch haben sie das Geld, um eigene Kurse zu entwerfen und zu verbreiten. 

Screenshot der IS-Kinder-Seite
Screenshot der IS-Kinder-Seite
Ich habe jüngst mit einem der engagierten jungen Leute gesprochen, natürlich jemand, der in irgendeinem anderen Projekt für lau arbeitet. Ihnen fehle die Zeit und die Ressourcen, um den ersten Aufschlag von Refugee Phrasebook weiter voran zu treiben. „Wieso beantragen Sie dann nicht die OER-Kohle, welche die Bundesregierung mit beiden Händen zum Fenster hinaus wirft?“ – „Welches Geld meinen Sie?“, gab er zurück.

Tatsächlich existiert gerade ein 2-Millionen-Euro-Titel für so genannte Offene Online-Bildungsresourcen, das doofe englische Wort dafür heißt: open educational resources. Johanna Wanka und ihre teuer bezahlten Spitzenbeamten wissen nicht recht, wo sie das Geld hintun sollen. Sie haben so zum Beispiel bereits eine Dreiviertelmillion ausgegeben, um zwei Studien zu fördern, die nicht etwa die Produktion von so wichtigen Dingen wie Sprachkursen fördern, sondern strikt auf der Meta-Ebene bleiben.

Ich finde, es wäre höchste Zeit, dass Refugee Phrasebook einen Antrag stellt, damit das Geld endlich sinnvoll eingesetzt wird und nicht nur schwer lesbare Studien davon bezahlt werden. Oder besser noch, die Regierung geht auf die Macher von Refugee Phrasebook zu und gibt ihnen – wie sie es schon bei Wikimedia gemacht hat – 620.000 Euro von sich aus. (Ich will lieber nicht darüber berichten, welche bürokratischen und arroganten Antworten man bekommt, wenn man bei den zuständigen Beamten oder bei den Mittelverwaltern anfragt. Nur so viel: Gebt Bürokratien am besten kein Steuergeld, weil sie schrecklich langsam sind, wenig zielgenau und obendrein ganz schön frech.)

Die zum Teil wirklich guten und didaktisch herausragenden Apps und online-Ressourcen anderer Organisationen und Einzelpersonen sind hier auf der Seite zum Workshop und hier in einer Prezi zu entdecken. Die beiden Highlights sind dabei übrigens die Videos des Linguisten Professor Jürgen Handke und Enaam Eliya sowie des ntv-Journalisten Konstantin Schreiber, das Marhaba-TV

Eins der Videos von Handke&Eliya