In der Kollaboration steckt der Segen der digitalen (Lern) Welt – und ihr Fluch
Die KMK hat jüngst ein Papier zur „Bildung in der digitalen Welt“ veröffentlicht, das gern als mustergültig gefeiert wird. Richtigerweise markiert es die Abkehr vom Schulbuchtrojaner, den die Kultusminister noch vor einigen Jahren 2011 zum Ausspähen von Lehrercomputern einsetzen wollten. Nun geht es um Chancen und ein bisschen auch um Risiken. Zum Beispiel auf Seite 39. Mehrfach wurde mir diese Stelle in den letzten Tagen als Durchbruch gezeigt, weil hier Risiken umfassend beschrieben seien.
Ja und Nein.
Das KMK-Papier ist ganz ok, aber es ist zugleich ein Symbol dafür, wie weit die Kumis Kultusminister noch im alten Denken stecken. Sie sind blind für den Wesenskern des Digitalen: der Kollaboration. Digitale Medien haben vor allem den Vorteil, dass sie neue Formen der Kooperation möglich machen – über das Face-to-Face des normalen Unterrichts hinaus. Heute geht das über viel mehr Plattformen und Kanäle, und es gibt dafür viele Beispiele, die man aufführen könnte, von Pads über Blogs bis Wikis.
Schüler müssen auch lernen, die Interaktions- und Kommunikationsrisiken in sozialen Netzwerken, Plattformen, Messengersystemen und in Games zu erkennen, zu verstehen und zu vermeiden
Schauen wir aber mal kurz auf die Risikoseite. Mir ist schleierhaft, warum Kollaboration im Positiven stets gehypt wird, aber es im Negativen konsequent vergessen wird; Probleme darf´s offenbar nicht geben. Oder findet jemand auf dem IT-Gipfel eine Veranstaltung zu Cybergrooming? Ich habe das mal an der entscheidenden Stelle des KMK-Papiers eingetragen. Statt der Gesundheitsrisiken hätte man von „Interaktions- und Kommunikationsrisiken“ sprechen sollen. Es geht darum, Schüler zu befähigen, „diese Risiken in sozialen Netzwerken, Plattformen, Messengersystemen und in Games zu erkennen, zu verstehen und sie vermeiden zu können.“

Schauen wir anhand der Mikado-Studie des Familienministeriums, die quasi unter dem Tisch gehalten wird, was die Risiken der „Kollaboration“ im Negativen bedeuten. Innocence in Danger hat wichtige Ergebnisse der Studie visualisiert.

5,3 Prozent Erwachsener haben sexuelle Online-Kontakte zu Kindern und Jugendlichen; gehen diese Kontakte offline, werden sie IMMER zu sexueller Gewalt. Ich meine: das sollte keine Überschrift (!) des digitalen Lernens in einem KMK-Papier oder beim IT-Gipfel werden. Aber es müsste schon irgendwo vorkommen, oder? Es sollte vielleicht eine Unterüberschrift des Unterpunkts „Schützen“ werden. Die Studie Mikado des Regensburger Ablegers von „Kein Täter werden“ hat aber noch ein Ergebnis erzielt, das pädagogisch von Belang ist. Wie gehen Erwachsene im Netz vor? Sie tarnen sich, sie täuschen und tricksen.

Das hat gravierende Auswirkungen. Wenn nämlich ein Drittel der Erwachsenen bewusst Camouflage-Techniken einsetzt, um im Netz an Jugendliche heran zu kommen, dann hat das Auswirkungen auf das Mantra aller Medienpädagogen: dass man Kinder ermächtigen könne, souverän mit dem Netz umzugehen. Ich halte das für ein Missverständnis, es ist eine Lebenslüge.
Wenn Erwachsene tricksen, dann müssen Kinder nämlich nicht nur lernen, wie die Technik funktioniert und was das Netz bedeutet, sondern müssten sich auch aktiv selbst gegen die Tarnungen der Täter schützen. Das, mit Verlaub, können sie nicht. Nicht alleine. Dabei müssen wir ihnen helfen. Durch einen „Netzverkehrsführerschein“ und durch aktive Schutzmassnahmen.