Studier-Dir-das-Netz-schön: Studien, die konsequent Risiken und Nebenwirkungen des Netzes aussparen

Was sind eigentlich Freunde auf Facebook? Das ist eine Frage, die irgendwie alle umtreibt, die dem virtuellen Freundesbegriff von social media nicht trauen. Frank Patalong hat das nun in einem schönen Stück aufgeschrieben, das in dem Satz gipfelt: „Kein Mensch hat Hunderte Freunde. Und wer sich das von Facebook einreden lässt, entwertet Konzept und Bedeutung von Freundschaft.“ Es war klar, dass die Netz-Evangelisten über diese Kritik nicht erfreut sein würden. Auch das DIVSI (das Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet) zweifelte Patalongs Hinweis an – und benutzte dazu eine „Studie“. Es ist wichtig das Wort in Anführungszeichen zu setzen. Denn was im Netz und für das Netz an Studien fabriziert wird, ist obskur.

Sehen wir uns kurz die Studie des DIVSI aus dem Jahr 2014 an. „Ist das wirklich so?“, fragte DIVSI den Spiegel-Autor Patalong und drückte sinngemäß aus: Facebook-Freunde sind echte Freunde! Dazu wurde diese Grafik veröffentlicht (Bild unten). Man fragt sich ein bisschen: Was will uns die Grafik sagen? Dass Freunschaften auf Facebook feiner differenziert sind? Das Kapitel der so genannten U25-Studie von DIVSI heißt: „7.1 Vom Mythos der Freundschaftsinflation“. U25 bedeutet, dass die Studie das Netzverhalten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen erforschen will.

So viele "Freunde"-Kategorien - durch Facebook
So viele „Freunde“-Kategorien – durch Facebook

Der Kernsatz des Kapitels lautet: „Facebook-Freunde haben einen eigenen Status und in der Regel wenig mit dem zu tun, was im Alltag einen Freund ausmacht.“ Das ist quasi exakt das, was Patalong sagt. Aber warum richtete DIVSI dann via Twitter maliziöse Fragen an Patalong? Ich glaube, es geht darum, diese Studie unters Volk zu bringen. In ihr geschieht etwas, was typisch für Online-Studien ist: Die Macher der Studie haben ein Vorverständnis des Internets, das durch und durch positiv gefärbt ist; und auch wenn die Studie plötzlich kritische oder sagen wir: interessante neue Fragen aufwirft, wird das in den Überschriften unterdrückt. Das Positive muss herausgestrichen werden! In der Überschrift wird der „Mythos Freundschaftsinflation“ durch Facebook infragegestellt, im Kapitel aber steht genau das Gegenteil: „Ab etwa 14 Jahren beginnt ein häufig offensives Netzwerken und ein demonstratives ‚Gefunden-Werden-Wollen‘“, sprich: über Facebook bekommt man mehr Freunde, als man managen kann. Das ist etwas völlig anderes als die Überschrift sagt.

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Philippe Wampfler hat mich via Twitter gefragt, wieso ich die DIVSI-Studie nicht wissenschaftlich finde. Erstens, weil sie Tricks anwendet, um ihre eigenen Ergebnisse geschönt abzubilden. Zweitens, weil der Freundschaftsbegriff von Facebook als Maßstab gesetzt wird – und nicht etwa einer, der vor dem Internet galt, also ein unabhängiger sozialpsychologischer. Drittens, weil damit eine kritische Diskussion dessen verhindert wird, was das Netz eigentlich bewirkt. Und viertens, weil Risiken – wie in vielen anderen so genannten Netz-Studien – systematisch ausgeblendet werden. In Kapitel 7.3 geht es z.B. darum, was im Netz bzw. in sozialen Netzwerken „gar nicht geht“. Eine der wichtigsten Kategorien, die es gibt, das Cybergrooming, kommt nicht vor. Cybergrooming ist das gezielte sexualisierte Ansprechen von Minderjährigen durch – meistens als Kinder getarnte – Erwachsene. Es kommt auf den 172 Seiten überhaupt nicht vor. Auch Sexting existiert für diese Studie nicht, ein Phänomen, das inzwischen 10 Prozent bis ein Drittel der Jugendlichen praktizieren. Was taugt diese „Studie“ eigentlich?

Foto: Mike Licht, NotionsCapital.com
Sexting CC BY 2.0 Foto: Mike Licht, NotionsCapital.com, no changes

Warum wären diese Begriffe so wichtig? Weil sie den Kern von social media berühren – der im Begriff „social“ bereits ausgedrückt wird –, dass Netzwerke den sozialen Umgang von Menschen vollkommen verändern. Diese Revolution der kommunikativen und sozialen Beziehungen bezieht sich auch darauf, Freunde und Partner zu gewinnen, natürlich gehören emotionaler Austausch, Flirten und Groomen dazu. Aber wenn es um den Missbrauch dieser Kommunikation zum Zwecke des Ausübens sexualisierter Gewalt geht, dann setzen die DIVSI-Forscher plötzlich die Schlafbrille auf. Gerade hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass das Netz ein Eldorado für Cybergroomer ist – weil der Zugang zu Menschen und Kindern so unglaublich leicht ist. Das Smartphone und andere Netzzugangsgeräte sind ultimative Tatmittel, sagte Julia von Weiler von Innocence in Danger:

„Das Smartphone ist das ultimative Tatmittel für Täter. Das Smartphone erlaubt den beständigen, vielfältigen, unmittelbaren und ungestörten Kontakt zu Opfern“. Julia von Weiler

Laut der Mikado-Studie des Familienministeriums sind über 700.000 Erwachsene im Netz unterwegs, um mit Kindern sexualisierte Kontakte aufzunehmen. Kinder und Jugendliche berichten übrigens von einer Vielzahl solcher Kontakte – aber nur, wenn man sie danach fragt. Unterschlägt man diese Frage, die übrigens auch für Eltern von großer Bedeutung ist, dann verfälscht man eine Studie und man betrügt die Bürger. Man will offenbar ein Vertrauen ins Netz herstellen, das es in Wahrheit nicht gibt und das im übrigens auch sehr gefährlich wäre.

Mikado-Studie, Zahl der Erwachsenen im Netz mit sexualisierten Kontakten zu Kindern
Mikado-Studie, Zahl der Erwachsenen im Netz mit sexualisierten Kontakten zu Kindern
Visualisierung der Mikado-Studie durch Innocence
Visualisierung der Mikado-Studie durch Innocence

Quellen: Mikadostudie (links), Hochrechnung Innocence in Danger (unten)

Die DIVSI-Studie ist nicht uninteressant, damit da kein Missverständnis aufkommt. Sie ist eine wichtige Informationsquelle. Aber sie hat blöderweise an einer entscheidenden Stelle einen blinden Fleck. Das ist übrigens nicht sehr besonders. Viele Studien über das Netz sind einäugig. D21 hat jüngst eine Sonderstudie „Schule digital“ herausgebracht, in der die Internet-Initiative behauptete, durch digitale Medien werde ein Lernzuwachs bei Schülern erzeugt. Dafür gab es in dem Papier keinerlei Beleg. Es wurde in der Einleitung der Studie kurzerhand als Ziel der Untersuchung ausgegeben:

dass digitale Bildung einen direkten
Einfluss auf die Kompetenzentwicklung hat anhand der vergleichenden Betrachtung von Schulen mit digitalem Schwerpunkt und ohne

Das herauszufinden, war methodisch aber gar nicht möglich, da die Studie keine Leistungsmessung vornahm, sondern nur die Meinung von Menschen erhob. Um dem fiktiven Ziel näher zu kommen, wurden mitten in den Ergebnisteil Statements von Lobbyisten eingepflanzt – die ihrerseits interessante Behauptungen aufstellten, die aber mit der Methodik der Studie gar nicht zu verifizieren waren. In der Wissenschaft wird ja auch nicht verifiziert, sondern falsifiziert. Internetstudien falsifizieren praktisch nie, meistens behaupten sie einfach.

Lobbyistin, die im Ergebnisteil der Studie etwas behauptet
Lobbyistin, die im Ergebnisteil der Studie etwas behauptet

Was bedeutet das? Internetstudien sind sehr oft – Verzeihung – Fakestudien. Sie behaupten viel, erheben auch viel, aber dazwischen gibt es oft keine logische oder kausale Verbindung. Dennoch sind solche Studien ungemein einflussreich: weil sie von Lobbyvereinen wie D21 oder Bitkom aufwendig hergestellt – D21 hat sogar ein eigenes Meinungsinstitut dafür – und dann mit großer Reichweite verbreitet werden. Die Bundesregierung macht das gerne mit. Ein interessanter Aspekt des 21. Jahrhunderts: Regierung und Wirtschaftslobbies arbeiten Hand in Hand, um den Menschen das Internet als toll und vertrauenswürdig zu verkaufen. Allein das sollte die Bürger misstrauisch machen.