Neue Medien sind aus unserer Lebenswelt nicht mehr wegzudenken. Kinder werden heute wie automatisch zu digital natives. Von klein auf lernen sie, mit Smartphones und Tablets umzugehen. Für unsere Kinder ist das Ende der Gutenberggalaxie eine Gewissheit.

Dieser Text ist Teil eines Projekts, das Axel Krommer gestartet hat. Er wollte – zusammen mit anderen in einem geteilten Dokument – einen "prototypisch schlechten Text über #digitaleBildung mit allem" Digi-Blabla der Szene verfassen. Sofort aber waren die Digi-BlaBläher zur Stelle und versuchten das Stück zu kapern. Sie verbrannten die übliche Sockenpuppe Manfred Spitzer. Hier mein - aus dem Google-Doc zurückgezogener - Textteil, der das Uranliegen verfolgt. Möglichst viel dämliche Digi-Phrasen zu einem Bullshit-Bingo zu verschmelzen. Ich danke Axel Krommer für seine Initiative. 

Warum also sollten Schüler noch mit der Hand schreiben lernen? Wieso sollten sie sich mühsam eine Schreibschrift antrainieren, die sie nicht brauchen? Das wäre sinnlose Quälerei. Schon Kleinkinder können digitale Endgeräte intuitiv starten. Sie wischen sich durch die Apps, sie kennen wie natürlich erste Schritte in Programmen. Deswegen gehören digitale Geräte auch in die Schule und in den Kindergarten. Das ist einfach die Realität, vor der wir die Augen nicht verschließen können. Bildung muss unter den Bedingungen der Digitalisierung gedacht werden. Medienpädagogen können überzeugend nachweisen, dass normative Setzungen und Werturteile über das Wohl des Kindes nicht zielführend sind. Was zählt, ist allein die Realität unserer Kinder: die Wahrheit liegt in der Hosentasche – und da sitzt das Smartphone mit Flatrate.

Digitale Maßanzüge

Langsam setzt sich auch unter digitalen Verweigerern die Erkenntnis durch, dass mit Computer und Internet nicht nur ein neues Werkzeug hinzugekommen ist. Es ist etwas Epochales eingetreten, das alle Bereiche der Gesellschaft mit zunehmender Geschwindigkeit von Grund auf verändert. Wir dürfen uns freuen auf eine neue Zeit. Ihre Gestalter sind – unsere Kinder mit ihren Smartphones.
Wir stehen am Beginn einer besseren, kreativeren, menschenwürdigen, partizipativen und vor allem individuellen Pädagogik. Lernen von der Stange ist out, wir brauchen digitale pädagogische Maßanzüge für unsere Kinder. Schulbücher und Curricula werden bald nicht mehr benötigt. Heute zählt der kürzeste Lehrplan aller Zeiten, die 4K-Kompetenzen: Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken. Fachwissen und Vertiefungen spielen in Zeiten von Alexa und Siri keine Rolle mehr. Google ist der neue Brockhaus – nur viel leichter und schneller. Bücher werden in Tablets importiert. Tafelanschriebe gibt es nicht mehr. Präsentiert und gelernt wird über Displays und Bildschirme. Die Kreidezeit ist Geschichte. Und der nächste Schritt in eine leichte und lachende Zukunft steht bereits bevor: die künstliche Intelligenz. Es gibt mahnende Stimmen, dass KI den Menschen belehren oder gar beherrschen könnte. Das ist sicher nicht richtig. Der Generalmanager von Microsoft Deutschland hat vielmehr Recht, wenn er sagt: “Künstliche Intelligenz ist nichts, was über Nacht über uns hereinbrechen wird, sondern etwas, an dem wir heute bauen und gestalten.”

Totale Partizipation

Ziel des kommunikativen und kollaborativen Lernens ist es, das Kind vom Objekt der alten Schule zum mündigen Bürger zu machen. Das Lernen des Industriezeitalters – alle pauken zur gleichen Zeit das selbe, eingesperrt in das Prokrustes-Bett von Lehrplänen und Curricula, benotet von einem Lehrer, überwacht von Kultusbürokratie und Schulinspektoren – geht ultimativ zu Ende. Die Zeit der Vermassung des Lernens ist vorbei. Bildung wird befreit und individuell auf den einzelnen zugeschnitten. Heute kann sich jeder selbst finden und verwirklichen – im digitalen Lernen. Mit den Sofort-und-Überall-Geräten lässt sich Wilhelm von Humboldts Idee der Urteilsfähigkeit endlich umfassend realisieren: totale Partizipation wird möglich. Die Polis ist keine jahrtausendealte Schimäre, keine Arena aus Steinen mehr, sondern wir haben sie stets bei uns – mit unseren intelligenten Telefonen, Uhren, Brillen. Diese Geräte sind mehr als nur Kommunikationsmittel. Sie stellen Kulturzugangsgeräte dar, ja, sie sind unsere Kultur. Gutenberg ist tot, es lebe Turing.
Unsere Kinder können diese Geräte selbstverantwortlich bedienen und beherrschen – wenn sie nur rechtzeitig lernen zu coden. Das ist weit mehr, als informatische Grundbildung. Der neue Mensch wird Herr des Algorithmus sein. Daher sollten die Schlaumäuse, die Turtle-Programmierzentren von Microsoft, die Calliope-Kurse sowie den Google-Campus und die digitale Bertelsmann-Uni bereits für Zweijährige geöffnet werden. Wer rechtzeitig mit der lingua franca des 21. Jahrhunderts beginnt, dem Programmieren, dem werden sich viele wichtige Fragen, mit denen wir uns heute noch herumquälen, nicht mehr stellen. Kinder, die kollaborativ und kritisch mit digitalen Inhalten umgehen, können auch mit zehn Jahren schon harte Pornos anschauen. Sie können verantwortungsvoll damit umgehen. Und es wäre auch sinnlos, sie durch technische Schranken zu beschützen. Denn sie werden diese Sperren schnell und problemlos knacken. Und was könnte besser helfen, um Kinder wirkungsvoll gegen die Einflüsterungen des IS abzuhärten, als wenn sie schon mit acht Jahren anschauliche Enthauptungsvideos abrufen können? Das erspart der Elternschaft, ihrem Nachwuchs komplizierte Dinge zu erklären.

Tablets in die Kitas!

Das alles aber kann nur gelingen, wenn wir unsere Zukunft nicht dem Zufall überlassen. Sie muss nach MINT schmecken. Die Zahl der Studierenden in den Mathematischen, Informatischen, Naturwissenschaftlichen und Technischen (MINT) Disziplinen ist zwar neuerdings gestiegen. Aber wir sind die leistungsstärkste Exportnation der Erde. Wir haben keinen anderen Rohstoff als das Wissen. Wir müssen ihn konsequent und von Kindesbeinen an ausbeuten. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Nie war diese alte Weisheit richtiger als heute. Dass nach einer Umfrage über 80 Prozent der Erzieherinnen nie oder nur einmal im Monat ihren Schützlinge ans Tablet lassen ist daher ein bildungspolitischer Skandal. Macht aus Kindergärten kleine Forscherlabore und Makerspaces. Nicht denken, nicht risikoabschätzen – einfach mal machen. Wir brauchen eine neue Gründermentalität, und die kann nicht erst im BWL-Studium beginnen. MakeyMakey heißt die Methode, und sie gilt auch für Kita-Entrepreneurs. Neue Realität wird gemacht. Sofort. Und sei sie virtuell.

Zeitgemäße Bildung3000

In Wahrheit gibt es gar keinen Unterschied mehr zwischen real und virtuell. Der Cyberalltag ist unsere Realität. Nicht Bildung2.0 oder 4.0 rettet uns. Wir sollten diese kleinteiligen Zählungen hinter uns lassen. Denn wir lernen für Berufe, die es noch gar nicht gibt. Und diese liegen nicht im 21. Jahrhundert, das wäre zu engherzig gedacht. Wir sprechen über Bildung im 3. Jahrtausend, also Bildung3000. Weil nicht jeder aber so weit ist, wollen wir uns vorläufig für einen Begriff entscheiden, den auch ganz normale Lehrer verstehen. Wir sprechen von „zeitgemäßer Bildung”, bis alle Pädagogen die Turing´sche Reflexionsstufe erreicht haben.