Reaktionen auf das Stück „Unbekanntes Terrain“ in der SZ: pedantisch, oft wichtig
[mit update zu re:publica, mobile.schule und wes4_0 goes lmz vom Mai 21]
Wir Journalisten müssen damit leben, dass eine neue Zeit angebrochen ist. Jeder Text wird in sozialen Netzwerken sofort einer genauen Lektüre und Korrektur unterzogen. Manchmal steht da Blödsinn, oft aber finden sich wichtige Ergänzungen und Einwände. Ich will solche Korrekturen zu meinem Stück in der Süddeutschen Zeitung „Unbekanntes Terrain“ benennen und beantworten.
Vergangene Woche schrieb ich über das kategorial neue Fortbildungsformat für Lehrer*innen, das es seit einiger Zeit, genau gesagt schon seit einigen Jahren gibt. Die Molol ist die derzeit angesagteste Lehrerfortbildung in Deutschland. Aber wie es so ist in einer industriellen Revolution, versteht eine Mehrheit und selbst die kleine Avantgarde das Neuland erst nach einiger Zeit in Gänze. So ist es auch mit der Perzeption der selbstorganisierten, begeisterten, durch social media berühmt gemachten Massenfortbildung für Lehrer*innen. Die stilbildenden Formate sind hier die #Molol, die mobile.schule Oldenburg, und ihre kleinere Schwester, die wes4_0 in Karlsruhe an der Walter-Eucken-Schule. Sie ziehen inzwischen 600 bis 1.000 Lehrer*innen in ihren Bann – und wirken sich in vielfältiger Weise auf die staatlich organisierte Lehrerfortbildung aus.
So viel vorneweg: den Beat des Textes „neues, selbstorganisiertes Format der Lehrerfortbildung“ traf m.E. keine der Korrekturen. Man kann es einteilen in…
- kleinteilige Pedanterien
- wichtige Zahlen
- bedenkenswerte Erweiterungen
ad 1: Pedanterien
In dem Text hatte ich die #Molol mit den großen wichtigen Digital-Events mit Bildungsanspruch verglichen, die re:publica, das ForumBD oder den großen Hackathon #wirfürschule. Bei der re:publica schrieb ich, dieser wichtigste deutsche Digitalkongress habe erst seit 2019 ein eigenes Bildungsprogramm namens #relearn. Darauf kam auf Twitter einer um die Ecke – manche nennen ihn Hassos Hasso, weil er wie ein Kampfhund unbotmäßige Twitterer am Hosenbein packt, bis Harvey und die Suits übernehmen. Er korrigierte, es gebe bereits seit 2010 ein Bildungsprogramm unter dem Namen #relearn. @spreeblick, einer der Mitbegründer der republica, assistierte, die relearn sei von Anfang an eine eigene Subkonferenz gewesen.
Seit 2010 ist die re:learn eine eigene „Subkonferenz“ der @republica mit eigenem Programm. Was ein „abgeschlossenes Bildungsprogramm seit 2019“ sein soll, weiß ich nicht. https://t.co/xwRZcMh7UW
— Johnny Haeusler (@spreeblick) July 12, 2020

Richtig ist, dass es #relearn bereits seit 2010 gibt, von @joeranDE organisiert. Allerdings war es lange kein eigenständiges Bildungsprogramm, sondern nur ein „Track“. So jedenfalls nannten es die Veranstalter selbst im Programm. (Siehe Foto rechts) Kein Wunder, dass man es so betitelte, war die Handvoll Bildungssessions doch nur eine kurze Schiene unter den weit über 100 Veranstaltungen der re:publica, die sich auf teilweise über acht parallel bespielte Bühnen und drei Tage hinweg erstreckte. Die Bildungs-Workshops, fünf an der Zahl, dauerten an einem Donnerstag im April 2010 von 10 bis 13 Uhr. Eine Subkonferenz von drei Stunden Länge? Bis 2018 findet sich im Menü des republica-Programms kein Button mit dem Stichwort „relearn“.

re:learn – Verkündung im letzten Moment
Erst 2019 wurde verkündet, dass es nun über drei Tage hinweg mit eigener Bühne und eigenem Programmteil die relearn gebe. Aber selbst 2019 war die relearn noch kein eigener Programmpunkt, sondern man findet sie unter dem Programmteil „next generation“. Das ist eine Kollektion von drei – um mit @spreeblick zu sprechen – Sub-Subkonferenzen namens tincon, relearn und jetpack. „Unter dem Titel `re:publica Next Generation` werden wir im Kühlhaus bei der STATION Berlin erstmals neue Formate und Kooperationen allein für Jugendliche und mit dem Schwerpunkt Bildung und Ausbildung vorstellen.“ Tincon oder „teenageinternetwork conference“ ist inzwischen ein eigenes Label. Hier deutet sich wohl eine Abspaltung mit folgender interessanter Idee an. Zur Jugend-re:publica für 13 bis 21jährige dürfen im Prinzip nur Jugendliche. „Die Talks und Workshops [der Tincon] finden teilweise in nur für die Jugendlichen zugänglichen, geschützten Räumen statt“, schreibt der Verein Tincon. „Um die Zielgruppe nie aus den Augen zu verlieren“, haben die Macher*innen u.a. einen Jugendbeirat angeschafft und veranstalten Programmworkshops mit Jugendlichen. Das erinnert ein bisschen an die deutsche Jugendbewegung um 1900, die auch von Erwachsenen angeleitet wurde.

Zurück zur Sub-Subkonferenz relearn: Freilich ging es mir mitnichten darum, die relearn madig zu machen. @joeranDE ist einer der kundigsten Kuratoren bildungsdigitaler Sessions und er ist von allen am längsten unterwegs. Am Rande der 19er-Konferenz sagte er mir, er habe erst im letzten Moment davon erfahren, dass relearn 2019 ein eigenständiger Programmteil werde und habe daher keinen call for pitches mehr machen können. Das heißt: die relearn wird noch unabhängiger von der republica – auch im Programm.
Ziel des Vergleichs in der SZ war, den erstaunlichen Aufstieg der #molol von einer kleinen Schulfortbildung in der Waldschule Hatten im Jahr 2010 mit 25 Teilnehmer*innen zur größten und mitreißendsten Lehrerfortbildung der Republik im Jahre 2019 abzubilden – mit 180 Sessions, wenn auch immer noch tief in der niedersächsischen Provinz. Im selben Zeitraum wuchs die relearn auf der metropolen Berliner republica vom schmalen Track mit fünf Workshops auf eine Subkonferenz mit 35 Workshops in drei Tagen. Auch das sicher eine beachtliche Entwicklung.
ad 2: Zahlen
Das Landesmedienzentrum Baden-Württembergs (LMZ) monierte, dass die Zahl der Teilnehmer*innen an digital orientieren Lehrerfortbildungen des Landes BaWü nicht – wie geschrieben – bei 2.000 gelegen habe, sondern deutlich darüber. Tatsächlich hat auch das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Fortbildungen im Programm. Auf Nachfrage übersandte das ZSL eine Liste, die leider ein bisschen unübersichtlich ist. Danach lag die Zahl der Teilnehmer*innen an Lehrerfortbildungen je nach Lesart zwischen 2.165 und rund 7.000. Auch hier gilt: die Mololdigital als Werk einer Einzelperson plus ihrem Netzwerk schafft rund 5.000 Teilnehmer*innen in fünf Online-Veranstaltungen. Das ganze Bundesland Baden-Württemberg schafft mit LMZ und ZSL irgendwo zwischen 4.000 und 9.000 TN in rund 80-100 Online-Fortbildungen. Nicht schlecht, BaWü. Und dennoch: Well done, Molol!
ad 3: Erweiterungen
@bildungsradar schließlich störte sich daran, dass unklar ist, wer die Sponsoren der molol sind – und welche Interessen sie verfolgen.
Wenn Lehrer*innen zu Fortbildungen gehen (müssen), die im Rahmen von Bildungmarketing von Konzernen und Unternehmen finanziert werden (die sich dort auch noch werbend präsentieren), läuft etwas gehörig schief in der Aus- und Fortbildung von Staatsbediensteten.#Ökonomisierung https://t.co/PJRFNmtqjy
— bildungsradar (@bildungsradar) July 13, 2020
Ich finde die Arbeit von René fundamental. Denn die Frage des ökonomischen Einflusses privater Geldgeber und Giganten auf digitale Bildung eine der wichtigsten. Bei der molol halte ich sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt – noch – für nicht entscheidend. Ich bin kein Wirtschaftsprüfer, habe aber journalistisch gecheckt, welche Einflusskanäle bestehen könnten. Ergebnis: wenn drei der fünf Big5 zusammen einen Seminarraum an der Uni Oldenburg mieten, um darin Produkte vorzustellen, die ohnehin jeder kennt und die Firmenworkshops als solche gekennzeichnet sind, dann ist das in meinen Augen unproblematisch. Zumal die Sponsoringbeträge sich in ihrer Dimension nicht von denen der Mittelständler und Kleinspender mit einem Einzelstand unterschieden. Besonders im Vergleich zu den enormen sichtbaren wie unsichtbaren Interesseneinflüssen, die Big5-Konzerne sonst in der Bildung geltend machen, ist der Seminarraum in Oldenburg keine Lobby für milliardenschwere Interessen.
Aber man wird sicher beobachten müssen, wie es weiter geht. Es wird eh spannend mit der Molol.
Update Mai 2021: Im Jahr nach dem digitalen Corona-Wahnsinn an den Schulen – u.a. mit Steigerungsraten bei Schulclouds, die Tiktok in den Schatten – kommt die re:publica mit einem Mikro-Bildungsprogramm aus. Es gibt drei fünf Sessions, eine davon sieht aus wie ein Werbeblock mit vier klugen Frauen von für Microsoft, den Björn Nölte und ein Schülersprecher aus Bayern komplettieren. (Siehe unten)
Auf Anfrage, warum die re:learn praktisch verschwunden ist, teilt die Sprecherin der re:publica mit:
„im Rahmen der Online-re:publica vom 20.-22. Mai 2021 gibt es aus verschiedensten Gründen keine eigene Subkonferenz mit dem Titel re:learn. Was unter der Überschrift re:learn in Zukunft passieren wird, kann man in den kommenden Wochen und Monaten erfahren!“ (Sprecherin re:publica)
Die #Molol oder besser Mobile.Schule läuft indessen stabil alle vier Wochen. Als Mobile-Schule -Digital kommt sie dabei auf TeilnehmerInnen-Zahlen von 1.000 und mehr Interessierten. Zur Vertiefung bietet Andreas Hofmann eine Mobile-Schule-Flatrate an, bei der Lehrer:innen und Schulen verschiedene Pakete zwischen 99 und 4.000 Euro buchen können.
Und auch die Wes4_0 hat sich weiterentwickelt. Sie wird von Saskia Ebel weiter geführt, allerdings macht Saskia als ans LMZ abgeordnete Lehrerin noch viel mehr. Sie hat die digital@regional mit ihrem Team entwickelt, es gibt Moodletage und, als Anstoß von Fabian Karg, die ExploreAndLearn. Allein bei den Moodletagen nahmen 1.700 Leute teil.
Nun, es sind eben nicht nur die gekennzeichneten Workshops, die von Firmen direkt oder indirekt gesponsert werden. Tatsächlich arbeiten z.B. auch immer APLS auf der Veranstaltung (Molol), die indirekt von Apple bzw. über die Apple Solution Partner bezahlt werden. Ich vermute für Windows und Smartboard gibt es ähnliche “Experten”, die dort Workshops anbieten. Ich finde das grundsätzlich nicht verwerflich, habe selbst davon ganz stark inhaltlich profitiert. Dass damit allerdings, auch seitens Apple (nicht nur auf der molol, sondern auch bei anderen Veranstaltungen) nicht offen und transparent umgegangen wird, stört mich hingegen enorm.
Es treten Hunderte von Referentinnen auf, die zum Teil nebenberuflich für Smart, Wacom, Samsung, MS, Apple, Promethean, Book creator, explain everything und unzählige andere Firmen auftreten. Ihr Vorwurf bezüglich der #molol allerdings ist leider so komplett falsch. Von Firmen gesponserte Workshops sind explizit gekennzeichnet. Seit nunmehr zehn Jahren ist das so. Sponsoren werden sogar darüber hinaus auf der Eventseite aufgeführt. Wenn Referentinnen einen Anbieter favorisieren, steht es im Titel oder in der Beschreibung. Was sie sonst sagen, kann und will ich nicht überprüfen. Wenn jedes Mal etwa 5-10 Firmen in irgendeiner Form auftreten oder vertreten sind, so geschieht dies bewusst in einem Gleichgewicht und alle Player sind an Bord, allen steht die Tür offen. Dem dt. Mittelstand wie den Big5. Wo genau ist nun eine Intransparenz ?