Am Mittwoch beschließt das Kabinett 1 Mrd für Anja Karliczek und 1 Mrd für Franziska Giffey, um Nachhilfe zu organisieren und Familien und Kindern in psychsozialem Corona-Stress zu helfen. Ich habe versucht herauszubekommen, wann das Geld kommt und wofür es genau eingesetzt wird. Spoiler: uns steht eine eklige Debatte um Umsatzsteueranteile der Länder bevor. Was das mit den Corona-Depressionen von Schülern zu tun hat? Bingo – das ist das Problem. Die Länder und ihre Bürokratien sind die Wegelagerer der Coronakrise.
Das große Thema der Corona-Schuldebatte sind die psychischen Krisen der Schüler und die möglichen Defizite beim Lernen. Beides sind keine Erfindungen. Studien von Ludger Wössmann und den Jugendämtern haben das gezeigt. Die Große Koalition hat nun beschlossen, mit zwei Milliarden Euro ein Aufholpaket dagegen zu stellen. Eine Milliarde Euro geht als „Lernlücken“-Hilfe an Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), eine Milliarde an Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Die Mittel wurden nach Auskunft von MdB Sönke Rix (SPD) am Freitag per Nachtragshaushalt bewilligt:
„Jetzt wird verhandelt, wie das Geld genau verteilt werden soll.“
Es werde gerade auf ministerielle Ebene auf Hochtouren daran gearbeitet. „Die Mittel sollen zum kleineren Teil über Umsatzsteuerpunkte an die Länder und zum größeren Teil über Projektmittel verteilt werden“, sagte Rix. „Am kommenden Mittwoch soll das Kabinett beschließen.“
Freilich könnte es ein bisschen dauern, bis es los geht. Dieses Problem der Verzögerung, das sich bereits bei den noch immer nur bruchstückhaft verteilten Digitalisierungsmilliarden zeigte, versuchen ich im folgenden Text zu beschreiben. These: allein die Tatsache, dass zwei Milliarden Euro zwischen mehreren Institutionen, Parteien, Organen und föderalen Ebenen beschlossen, verhandelt und dazwischen immer wieder politisch angepriesen werden müssen, entschleunigt dieses wichtige Programm auf extreme Weise. Ein schwer erträglicher Widerspruch zwischen dem Gerede von Chancengleichheit – und dem realen politischen Handeln.
Aufholpaket im Stau
Die Corona-Jugend leidet zusehends unter psychischem Druck und Lernverlusten. Die große Koalition schnürt deswegen ein milliardenschweres „Aufholpaket“ aus psychosozialer Unterstützung und Nachhilfe. Die Bildungsministerin aber verschiebt nun die milliardenschweren Lernhilfen auf das nächste Schuljahr.
Übers Wochenende findet der so genannte Duke-of-Edinburgh-Summit statt, eines der prominentesten Freizeitlern-Projekte für Jugendliche weltweit. Erfinder ist Philip, der eben verstorbene Gatte der Queen, der die Bedeutung großer Projekte für das soziale Lernen einst an der deutschen Schule von Schloß Salem kennen lernte. „Es ist wichtiger als jemals zuvor, dass Regierungen und Zivilgesellschaft innovative Wege finden, um Gemeinschaft und Hoffnungen der jüngeren Generation zu fördern“, heißt es mit Bezug zur Corona-Pandemie in der Einladung.
Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD hatte – wenn man so will – eine vergleichbare Idee mit ihrem „Aufholpaket“. Es soll coronageschädigten Schülern und Familien helfen. Das soll mit einer Mischung aus außerschulischen Nachhilfen und sozialer Unterstützung geschehen. Nun aber werden Teile das geplanten Programms in Höhe von zwei Milliarden Euro bereits verschoben. „Wir wollen erst im neuen Schuljahr mit dem regulären Nachhilfeunterricht beginnen, weil die Schulen momentan sehr damit belastet sind, überhaupt einen Unterricht aufrecht zu erhalten“, sagt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zu Pusaversteher. Karliczek will eine Milliarde in Nachhilfe investieren, die andere Milliarde wird von Franziska Giffeys Familienministerium verwaltet. [update 26. April] Giffey hatte die Milliarden bei der Konferenz der Jugendämter so erläutert:
https://youtu.be/Xc3hdcQE3wU?t=864
Dass die Bildungsministerin die Mittel sogleich ins nächste Schuljahr verschob muss verwundern. Denn ausfallende Schul- und Lernzeiten brennen Familien gerade jetzt auf den Nägeln. Die Hälfte der Eltern beklagte zum Anfang des Jahres eine psychische Belastung ihrer Kinder durch das Distanzlernen zuhause. Im Vergleich zum Beginn der Pandemie hat der Anteil der Eltern, die das berichten, deutlich zugenommen. Das haben Bildungsforscher des Münchner Ifo-Instituts herausgefunden. Aus einer aktuellen Untersuchung lesen sie zudem ab, dass das Lernpensum besonders von benachteiligten Kindern in den Zeiten des Homeschoolings dramatisch gesunken ist. Deutsche Jugendämter befürchten in einer aktuellen Studie gar, dass die entstandenen Bildungsrückstände bei einem Teil der Schüler nicht mehr aufgeholt werden könnten. [update 26. April] Sie schätzen in der Befragung, dass 20 bis 25 der Kinder und Jugendlichen von lebenslangen Folgen betroffen seien – das seien drei bis vier Millionen Betroffene aus Familien mit geringen materiellen und kulturellen Ressourcen. (Screenshot aus der Befragung, S. 34)
Deswegen erstaunt es umso mehr, dass die Anstrengungen gegen Lerndefizite nun in den Herbst geschoben werden sollen – und Hilfsmittel so lange ungenutzt herum liegen würden. „Das geht nicht von heute auf morgen“, hieß es aus dem Bildungsministerium, „das muss erst administriert werden“.
Zuhause bringt das nichts
Nach Informationen von Pisaversteher gestalten sich die Verhandlungen mit den Ländern über das Nachhilfe-Programm des Bundes zäh. Die Arbeitsgruppe mit den Staatssekretären ausgewählter Schulministerien der Länder tagt zwar bereits, um klarzustellen wer mit wie viel Geld Schülern Extrastunden erteilen können soll. Mehrere Ländervertreter mutmaßten indes, der Bund habe seine Milliarde noch gar nicht beisammen.
Ministerin Karliczek widersprach dem auf Anfrage. Sie sagte, sie werde das Programm finanzieren. „Wir fangen damit nach den Sommerferien an, derzeit laufen die Gespräche“, sagte die Ministerin Pisaversteher zu den einzelnen Maßnahmen. „Ein derart großes Programm muss natürlich auch gut vorbereitet werden“. Auch die Bundesländer selbst schaffen an einen sofortigen Beginn der landeseigenen Corona-Nachhilfen nicht. Das hat damit zu tun, dass die Länder etwa Sommerschulen erst organisieren müssen. Zudem behindere die pandemische Lage den sofortigen Start der Nachhilfen. „Wenn die Kinder zuhause hocken, bringt das nichts“, hieß es aus einem Bundesland.
Widerspruch bei Startups: kann sofort losgehen
Dagegen regt sich Widerspruch in der Szene der Start-ups und der Nachhilfeeinrichtungen. „Wir sind startklar, wir können sofort loslegen“, sagte Felix Ohswald vom Start-Up „GoStudent“. Der österreichische Online-Anbieter von Nachhilfe per Videokonferenz hat der deutschen und der französischen Regierung fünf Millionen Stunden angeboten – zum Selbstkostenpreis. GoStudent-Gründer Ohswald sagte: Er könne es nicht nachvollziehen, dass es bei Bildungsinitiativen häufig zu Verzögerungen komme.
Wie schnell die Milliarde für bzw gegen die psychsozialen Folgen von Krise und Lockdown einsetzbar sind, konnte das Ministerium nicht spontan sagen. Vor dem nächsten Schuljahr? „Wir gehen davon aus, dass das klappt“, sagte Giffeys Sprecherin Ulla Fiebig Pisaversteher. Interessant ist, dass die Familienministerin nichts Neues erfinden will, sondern das Geld in vorhandene Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe zu geben.