Vor ein paar Tagen haben wir hier über die fortgesetzte Produktion von Risikoschülern geschrieben, die das deutsche Schulsystem betreibt. Am kommenden Montag will Marius Busemeyer, ein exzellenter Berufsbildungsforscher aus Konstanz, bei der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Konsequenzen diskutieren. Deutschland wirbt europaweit für the job of your life – was manchmal, aber nicht immer funktioniert. Gleichzeitig hängen hierzulande weiter Zehn- bis Hunderttausende Jugendliche in Warteschleifen und Ersatzmaßnahmen.
Übergangssystem vs duale Ausbildung
Doch so einfach ist die Debatte nicht mehr: der Mismatch zwischen den Anforderungen von Ausbildungsplätzen und den Voraussetzungen, die Jugendliche oft mitbringen, ist unübersehbar. Der Mangel an geeigneten Bewerbern in High Touch- und High Tech-Berufen ist objektiv. Und der Wettbewerb zwischen akademischer und beruflicher Bildung wird gleichzeitig schärfer, Stichwort Akademisierungswahn.
Was tun?
Wenn Sie mitdiskutieren wollen, tun Sie das hier auf dem Blog - oder versuchen Sie sich noch für Montag in der Stiftung anzumelden anmeldungFES13.
Bei der Ebert-Stiftung wird am Montag ab 13 Uhr diskutiert über: Duale Ausbildung – Auslaufmodell oder Exportschlager? >>> Ankündigung
Die Diskutanten der zwei Podien – eines eher wissenschaftlich angelegt, eines eher praktisch – haben bereits Thesen vorgelegt.
Zunächst wird Marius Busemeyer versuchen, mit einem Reformvorschlag den Streit um die duale Ausbildung zu befrieden. Er sagt:
Die Einführung eines vollzeitschulischen außerbetrieblichen Zweigs erhöht das Inklusionspotenzial des Berufsbildungssystems.
Er bringt unter anderem ein Modell aus Dänemark mit. >>> Siehe seine Präsentation BusemeyerFES13
Professor Gerhard Bosch von der Uni Duisburg findet:
Das Geheimnis der deutschen Wettbewerbsfähigkeit liegt im zunehmenden Fachkräfteeinsatz. Durch die Modernisierung der Berufsbildung ist die Flexibilität der Fachkräfte erhöht worden. Schulische Defizite können nicht alle in der Berufsausbildung korrigiert werden.
Professor Ute Clement meint:
Entscheidend für die künftige gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung Deutschlands ist, inwieweit es gelingt, auch solche Jugendliche in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, die von ihren sozialisatorischen Voraussetzungen dort zunächst nicht hinzupassen scheinen.
Erwachsenen-Pisa
Lena Behmenburg von der BDA widerspricht der Einführung von vollzeitschulischen Ausbildungen für geringqualifizierte Jugendliche:
Leistungsschwächere Jugendliche werden erfahrungsgemäß vor allem durch Praxiserfahrung motiviert, nicht durch weiteren Schulbesuch. Eine Einstiegsqualifizierung im Betrieb ist die bessere Alternative zu schulischen Übergangsmaßnahmen.
Der DGB-Mann Matthias Anbuhl setzt auf eine Ausbildungsplatzgarantie:
Her mit der Ausbildungsgarantie: Jugendliche, die aufgrund mangelnder Ausbildungsangebote keinen Ausbildungsplatz erhalten, müssen nach spätestens vier Monate nach Beginn eines Ausbildungsjahres einen Rechtsanspruch auf eine mindestens dreijährige Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf haben.
Ganz anders Esther Hartwich vom DIHK,
1. Eine grundsätzliche Reform unseres erfolgreichen dualen Systems ist weder notwendig noch sinnvoll.
2. Es fehlt nicht an Lehrstellen, sondern das Matching zwischen Berufswünschen und Angebot muss verbessert werden. Rund 100.000 Jugendliche aus dem Übergangsbereich könnten direkt eine duale Ausbildung oder eine Einstiegsqualifizierung absolvieren.
3. Der Academic Drift bedroht zunehmend das bislang ausgewogene Verhältnis von akademischer und beruflicher Bildung.
Hamburger Modell
Und Ansgar Klinger von der GEW sagt dieses:
Entscheidend für das duale System ist die betriebliche Praxis. Alternative vollzeitschulische bzw. außerbetriebliche Zweige der Berufsbildung benötigen ein hohes Maß an betrieblicher Praxis.
Reinhold Weiß vom Berufsbildungsinstitut hingegen sieht mehr Bedarf nach Evolution statt Revolution:
In der Berufsbildung gibt es keinen Reformstau, wohl aber einen ständigen Reformbedarf.
Karriere mit Lehre darf kein Schlagwort sein, sondern muss in der Personalentwicklung und Bildungspolitik verankert sein.
Dass so relativ viele Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, ist ein Versagen von Schule und nicht von Schülern. Den einzelnen Lehrer trifft daran meist wenig Schuld, das Bildungssystem ist strukturell vermurkst: Demokratie-unwürdiger Schulgebäudeanwesenheitszwang von 1938 (sic!), fixe, mangelhaft entrümpelte Lehrpläne, chronobiologie-widrige Beginnzeiten, viel zu große, schein-, weil altershomogenisierte Gruppen, denen jeweils gleicher Stoff in derselben Zeit präsentiert wird, den hinterher alle können sollen…?!?!
Ganz offen, das ist pädagogischer Irrsinn, es grenzt an Misshandlung aller Beteiligten, daran scheitern nicht nur Schüler sondern auch Lehrer, letztere vor allem regelmäßig und vorhersehbar dann, wenn sie nicht über moderne konsequent positive Verhaltenslenkungsstrategien verfügen, sondern so altes schädliches Zeugs machen wie Nörgeln, Schimpfen, Kränken, Strafarbeiten und Beschämen.
Dass so relativ viele Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, ist ein Versagen von Schule und nicht von Schülern. Den einzelnen Lehrer trifft daran meist wenig Schuld, das Bildungssystem ist strukturell vermurkst: Demokratie-unwürdiger Schulgebäudeanwesenheitszwang von 1938 (sic!), fixe, mangelhaft entrümpelte Lehrpläne, chronobiologie-widrige Beginnzeiten, viel zu große, schein-, weil altershomogenisierte Gruppen, denen jeweils gleicher Stoff in derselben Zeit präsentiert wird, den hinterher alle können sollen…?!?!
Ganz offen, das ist pädagogischer Irrsinn, es grenzt an Misshandlung aller Beteiligten, daran scheitern nicht nur Schüler sondern auch Lehrer, letztere vor allem regelmäßig und vorhersehbar dann, wenn sie nicht über moderne konsequent positive Verhaltenslenkungsstrategien verfügen, sondern so altes schädliches Zeugs machen wie Nörgeln, Schimpfen, Kränken, Strafarbeiten und Beschämen.