Lief am Donnerstag 2.8.18 als Kommentar auf RBB-Kulturradio
Anno Domini 2018 beschloss das französische Parlament, Mobiltelefone an Schulen zu verbieten. Junge Franzosen dürfen ihre Smartphones nicht mehr in der Schulzeit und auf dem Pausenhof benutzen. Das Verbot gilt von der école maternelle bis zur Mittelstufe eingeschlossen, von drei bis 15 Jahren.
L’interdiction générale des téléphones portables dans les écoles et les collèges a été définitivement adoptée par l’Assemblée nationale aujourd’hui.
Engagement tenu— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) July 30, 2018
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Ein Gesetz wie aus dem Mittelalter, so scheint es. Entsprechend hysterisch fallen die Reaktionen aus. Das Handyverbot werde der Grande Nation nicht gerecht, Paris verbaue seinen Schülern die Zukunft – und dem Land gleich mit.
Aber, halt!, es lohnt sich einen Moment innezuhalten. Viele Kritiker machen es sich zu leicht.
Frankreichs Gesetzgeber haben die smarten Internetzugangsgeräte keinesfalls für das Lernen verboten. Lehrer können die Wunderflundern also sehr wohl einsetzen, um mit ihren Schülern im Netz zu recherchieren oder Apps und digitale Plattformen zu nutzen. Dass das nicht ganz einfach zu handhaben ist, klar. Alle Eltern wissen um die komplizierte Aufgabe, Smartphones als Telefon oder Wecker zu erlauben, aber das Internet in ihnen zu unterbinden. Jedenfalls phasenweise – und das ist bitter nötig.
Keine Familie, kein vernünftiger Forscher, auch keine gute digitale Schule arbeitet heute ohne Smartphone-Verbote. Dafür gibt es gute Gründe. Gerade erst hat die Weltgesundheitsorganisation die gaming disorder als Störung offiziell anerkannt – es ist eine Internetsucht. Weitere Online-Süchte werden folgen, zum Beispiel die social-media-Sucht, von der in Deutschland 100.000 Jugendliche betroffen sind. Die ersten Forschungen über die Effekte des digitalen Lernens sind nicht eben hoffnungsvoll: Ausgerechnet dort, wo es gezielt eingesetzt wird, sinken die Leistungen. Selbst die medialen Fähigkeiten der Schüler sind kleiner. Auch die Ablenkungseffekte lassen sich solide belegen. Das sind alles Ergebnisse, die von den Digital-Evangelisten – ja, die nennen sich wirklich so – und denen, die sich fette Gewinne aus der Digitalisierung versprechen, wie etwa der Bertelsmann-Konzern und die de facto als seine Marketing-Abteilung arbeitende Bertelsmann-Stiftung, nicht bejubelt werden. Aber negieren kann man sie nunmal nicht.
Diese Erkenntnisse sind, selbstverständlich, nicht dazu da, Smartphones und digitale Endgeräte als solche für das Lernen zu diskreditieren. Es gilt viel mehr die Frage zu klären, wie man die Geräte sinnvoll einsetzt. Und dafür hat die Assemblée Nationale einen Meilenstein gesetzt. Er ist ein bisschen speziell, aber er ist auf jeden Fall besser und moderner als das, was hierzulande geschieht: Bund und Länder wollen digitales Lernen flächendeckend einführen, aber es wird noch Jahre dauern, bis es endlich so weit ist. Und bis wir wissen, was da genau gemacht wird. So lange machen die Schüler alles mögliche mit ihren Handys – bloß nicht Lernen.