In Baden-Württemberg bevorzugt die CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann den wertvollsten Konzern des Planeten – und lässt heimische Top-Unternehmen links liegen. Achim Weiß von Ionos und Frank Karlitschek von Nextcloud erzählen, wie eine gute und vor allem sichere Schulcloud für 1,6 Millionen Schüler und Lehrer der Region aussehen kann. Brief an den Ministerpräsidenten
update und making off: Was verstört und irritiert am Umgang mit der Schulcloud in BaWü ist das demonstrative Desinteresse von Medien und Wirtschaftsverbänden. Den Entscheidern im Südwesten scheint es egal zu sein, ob der Großauftrag für das Mail-, Office- und Cloudprogramm an das US-Billionen-Dollar-Unternehmen Microsoft geht - oder an einen heimischen Wettbewerber.
Der Industrie- und Handelskammertag Baden-Württemberg weigert sich beharrlich, Stellung zu nehmen. Wir haben da natürlich eine Meinung, so die Aussage. Aber wir sagen sie nicht. Das Argument der Referenten: es sei der IHK verboten, sich zu einem offenen Bieterverfahren zu äußern. Das ist eine IHK, die ihre eigenen Regeln nicht kennt (by the way kannte sie zunächst die beteiligten heimischen Unternehmen Ionos und Nextcloud offenbar nicht. "Wie heißen die nochmal? Ich muss mich da erst kundig machen.") Eine Ausschreibung gibt es bei der Schulcloud nicht. Ministerin Eisenmann entscheidet das wohl frei Hand. Und im IHK-Gesetz wird die Aufgabe der Industrie- und Handelskammern so definiert, dass sie darin bestehe, "das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen". Nextcloud und Ionos sind Zwangsmitglieder der IHK. Microsoft auch? Auf eine entsprechende Anfrage reagiert IHK-Sprecher Tabor nicht. Aber ist es denn die Aufgabe des IHK, die Weltwirtschaft zu fördern? Oder geht es darum, dem Land aus den Folgen der Pandemie zu helfen?
Ganz ähnlich ging es mit den regionalen Medien. Ihnen wurde das Thema des Briefes von Achim Weiß und Frank Karlitschek mehrfach angeboten. Tagelang keine Reaktion. Die Badische hatte zuerst keine Ahnung von dem Thema, ließ das Interview tagelang liegen - und teilte dann mit, die Stuttgarter Redaktion befasse sich intensiv mit dem Thema. Zu lesen gab es allerdings in der Badischen dazu nix. Nur die überregionale Presse greift seit längerem auf, dass der IT-Mittelstand in BaWü die Hyperscaler angreift. "Auch wenn das größenwahnsinnig klingt“, sagte Achim Weiß der Wirtschaftswoche, „wir kennen den hiesigen Markt besser als unsere US-Rivalen – und brauchen uns daher nicht zu verstecken.“
Weiß hat Recht. Aber er hat seine Rechnung ohne die Provinz-Akteure gemacht. Die für das Thema zuständige Vizepräsidentin des IHKT befasst sich beruflich mit Unterwäsche - vielleicht sind ja Trikotagen die Zukunft der Region?
Interview: Christian Füller
Herr Weiß, Herr Karlitschek, wie fühlen Sie sich gerade, da Sie als erfolgreiche Hi-Tech-Unternehmer in Ihrem Heimatland ausgebootet werden sollen?
Achim Weiß: Ich sehe zunächst nicht, dass wir raus wären. Wir haben eine erstklassige und sichere Alternative einer Schulcloud zu bieten. Wir haben noch alle Chancen.
Frank Karlitschek: Im Bildungsausschuss des Landtages wurde zwar angekündigt, dass Microsoft angeblich den Auftrag für die Ausstattung der Schulen in Baden-Württemberg mit einer Cloud bekomme. Ich setze aber darauf, dass man die Wertschöpfung nicht vergisst.
Was meinen Sie damit?
FK: Nextcloud und Ionos sind weltmarktfähige Player aus Baden-Württemberg. Wir beschäftigen hier fast 4.000 Leute im Hi-Tech-Bereich. Das heißt, wir schaffen Arbeitsplätze und vergeben Aufträge in einer Branche, die angeblich China und die USA beherrschen. Das bedeutet: wenn wir die Schulen mit Schreib-, Mail- und Cloudtechnologie ausstatten, dann profitieren die Schulen – und die Wirtschaft.
Immerhin haben Sie jetzt einen Brief an MP Kretschmann geschrieben, um sich zu beschweren.
Weiß: Nein, wir jammern nicht. Uns ist es einfach wichtig, auf eine sachliche Ebene zu kommen. Die Menschen in diesem Land wissen oft nicht, dass es exzellente deutsche Lösungen im IT-Bereich gibt. Das wird meines Erachtens auch durch ein wirksames Lobbying von Microsoft vernebelt. Deutschland ist zum Beispiel stolz auf den Datenschutz. Wir sehen hier – neben anderen Vorzügen – eine starke Eigenschaft unseres Produktes Made in Germany. Dass das ausgerechnet bei sensiblen Daten wie denen von Schülern ignoriert wird, erklärt sich mir nicht. Deswegen ist es uns ein Anliegen, mit dem Ministerpräsidenten darüber zu sprechen, wie gut wir in Baden-Württemberg aufgestellt sind.
FK: Ich bin überzeugt, es ist für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg eine politische und strategische Grundsatzfrage, dass ganz oben in der Politik klar wird, wie konkurrenzfähig wir in der Cloudtechnologie sind.
Sie machen den Brief nun öffentlich. Ist es so dringend?
FK: Wir sind seit Jahren im Gespräch mit dem Kultusministerium über ein Kollaborationstool für Schulen. Jetzt stehen Entscheidungen an. Die coronabedingten Schulschließungen haben ja gezeigt, wie wichtig digitale Plattformen sind, mit denen Schüler von zuhause aus am Lernen teilnehmen können. Die Bundesregierung hat einen eigenen Digitalpakt aufgelegt, aus dem die Schulen sich unter anderem gute Schreib- und Cloudlösungen anschaffen können.
„Wir sind keine Frischlinge“
Aber können Ihre Produkte überhaupt mit dem Weltmarktführer Microsoft mithalten?
FK: Wir sind keine Frischlinge. Wir betreiben für die Bundesregierung und für die französische Regierung nationale Clouds. ARD und ZDF vertrauen uns, Siemens und andere Weltmarken – kurz wir stehen für ein extrem erfolgreiches und sicheres Produkt. Große Teile der Software sind zudem Open Source. Das heißt, für jeden ist der Code einsehbar und nutzbar. Auch das ist ein Vorteil gegenüber proprietärer Software eines Giganten, der mehrfach gezeigt hat, wie er mit seiner Marktmacht Kunden geradezu erpressen kann.
Weiß: Unsere Cloud, auf der die Applikationen von Nextcloud laufen, betreiben wir seit fast zehn Jahren. Uns vertrauen Banken genau wie die Automobilindustrie. Die Cloud funktioniert, ist skalierbar und wird in Deutschland gehostet, kurz: wir bieten wie Daimler, Porsche und viele andere Marken hier baden-württembergische Spitzenprodukte.
„….wir garantieren, dass die Daten von Schülern nicht an fremde Mächte weiter gegeben werden“
Ist Ihre Cloud samt Schreib- und Mailprogramm für Lehrer und für Schüler denn auch sicher?
FK: Deswegen sage ich so selbstbewusst, dass wir besser sind als unsere US-Konkurrenz. Wir können Datenschutz…
Weiß: … wir garantieren, dass die Daten von Schülern und Lehrern nicht an Dritte weiter gegeben werden. Nicht an die US-Regierung, nicht an andere fremde Mächte, nicht an Geheimdienste. Schüler und Schulen behalten die volle Souveränität über ihre persönlichen Daten.
FK: Und sie können ihren Rechtsschutz hier geltend machen. In den USA sind europäische Bürger, was ihre Daten betrifft, wie Vogelfreie. Niemand kann auch nur nachfragen, was mit seinen Daten in den USA geschieht.
Nutzen Schulen bereits Ihren Schreibeditor und Ihre Cloud?
FK: Ja, Nextcloud wird in Sachsen-Anhalt und NRW und vielen anderen Bundesländern genutzt.
Weiß: Ionos hostet zum Beispiel die als Bundescloud angelegte Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Institutes in Potsdam, an die inzwischen über 2.000 Schulen angeschlossen sind. Von uns aus könnten wir alle 40.000 deutschen Schulen mit der Cloud verbinden.
Berlin schätzt unsere Kompetenz für Gaia-X, aber zuhause kennt man uns nicht
Wie verliefen die Verhandlungen mit Frau Eisenmann?
FK: Gut. Es gab mehrere Treffen mit den zuständigen Leuten, in denen wir Nextcloud auf der Infrastruktur von Ionos präsentiert haben. Es gab nie irgendeine negative Information. Deswegen sind wir hellhörig geworden, als das Rundschreiben aus dem Ministerium zur Schulschließung verschickt wurde…
… in dem das Kultusministerium aus heiterem Himmel Microsoft Office 365 vorläufig erlaubte. Was dachten Sie da?
FK: Zunächst, dass das eine sehr spezielle Umgangsform ist: jahrelang verhandeln und dann den Notbescheid in der Pandemie zur Parteinahme nutzen. In meinen Augen ist keine gute Ordnungspolitik für einen Wirtschaftsstandort wie das Hi-Tech-Land Baden-Württemberg.
Weiß: Auf der einen Seite sind wir Teil des Gaia-X-Projekts der Bundesregierung. Das bedeutet, Peter Altmaier in Berlin schätzt und fragt unsere Kompetenz ab, um die Abhängigkeit von den so genannten Hyperscalern zu lockern…
… das sind die großen Cloud-Plattformen von Amazon, Microsoft und Google…
Weiß: … ja, die meine ich. Wir werden also in Berlin gebraucht, um die Abhängigkeit von diesen Super-Clouds zu verringern. Aber wenn es auf der anderen Seite zuhause bei uns in Stuttgart und Karlsruhe um die Ausstattung von Schulen mit Clouds geht, würdigt man unsere Kompetenz nicht. Oder verschließt die Augen davor.
Also ärgern Sie sich?
Weiß: Ich verstehe einfach nicht, was Frau Eisenmann im Schilde führt. Jeder kann sich doch ausmalen, was mit den Aufsätzen und den Chats von Schülern geschieht, die in einer US-amerikanischen Plattform gespeichert sind. Seit Snowden wissen wir, dass die US-amerikanischen Überwachungsbehörden alles speichern, was sie kriegen können. Wir wissen nicht, wie oft und wie viele Daten von Microsoft täglich abgesaugt werden. Das Schulministerium jedenfalls hat in der gesetzlich vorgeschriebenen Datenschutzfolgenabschätzung die Datenströme aus der Cloud gar nicht untersucht.
Ist es nicht wichtiger, dass 1,6 Millionen Lehrer und Schüler eine fluffige Schulcloud bekommen?
Weiß: Erstens, gibt‘s die selbstverständlich auch von uns. Zweitens, ist das Argument in meinen Augen Augenwischerei. Jeder weiß, dass es schlicht nicht vertretbar ist, die Lernverläufe, die Arbeiten von Schülern und ihre persönlichen Daten an ein fremdes Land auszuliefern. Der Europäische Gerichtshof hat das in seinem Privacy-Shield-Urteil untermauert: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie wir es in Europa und Deutschland kennen, darf nicht verletzt werden, indem wir Daten von Schülern für US-Behörden verfügbar machen. Die Eltern dieser Schüler besitzen noch nicht mal das Recht nachzufragen, welche Daten die Geheimdienste in den Vereinigten Staaten wofür verwenden.
„IT-Anwälte sagen: die Genehmigungen des Schulministeriums sind gesetzwidrig“
Das heißt, Ihrer Ansicht nach wäre spätestens mit dem Urteil des EuGH der Einsatz der Microsoft-Cloud nicht mehr hinnehmbar?
Die besten IT-Anwälte des Landes sagen: die vorläufigen Genehmigungen der Schulministerien in Bayern und Baden-Württemberg sind gesetzeswidrig und müssen zurück gezogen werden.
Können Sie sich erklären, wie die Präferenz der Kultusministerin dann zustande gekommen ist?
Weiß: Nein. Fällt Dir dazu was ein, Frank?