Zum wiederholten Male sind die Lernmanagementsysteme zum Schulstart ganz oder zeitweise ausgefallen. Es waren alle betroffen, Open-Source wie private Clouds. Es braucht einen Digitalgipfel mit den deutschen Start-ups, die wissen, wie man Lerninhalte auf die Bildschirme der Schüler bringt

Erweiterte Fassung eines Kommentars im SWR2

Susanne Posselt hatte sich am Wochenende akribisch vorbereitet. Die it-begeisterte Lehrerin testete ihre Kurse im Lernmanagementsystem „Moodle“, sie probierte die Videokonferenz nochmal aus und versandte über den Messenger ein paar Nachrichten an ihre Schüler. Alles war perfekt – bis am Montag morgen Moodle ausfiel. Die Lehrerin der Anne-Frank-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe saß vor einem schwarzen Bildschirm – und ihre Schülerinnen und Schüler zuhause ebenso. „Bei uns war es eine Katastrophe“, sagt Posselt. „Und ich habe durchgearbeitet, um alle Eventualitäten einzuplanen.“

Lehrerin Posselt und Baden-Württemberg sind mit dem Absturz nicht allein. Auch in Rheinland-Pfalz gingen bei Moodle die Lichter aus, im Norden der Republik brach der Kontakt zum Lernportal Iserv ab, im Osten wackelte Lernsax, selbst die nagelneue Schulcloud des Bundes hatte Verbindungsprobleme. In der Hauptstadt war bereits vergangene Woche der „Lernraum Berlin“ down, und, ja, selbst das stolze Bayern kämpfte im Dezember mit einem mehrfachen Ausfall seines Lernmanagementsystems Mebis. Das führte dazu, dass Ministerpräsident Söder seinem Bildungsminister Michael Piazolo das Ultimatum setzte, dass am 11. Januar Mebis laufen muss.

Egal, wohin man blickt – auch neun Monate nach der ersten Schulschließung im März 2020 funktionieren die digitalen Klassenzimmer nicht. Das ist ein Armutszeugnis für die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Was ist da los?

Präsenzunterricht infiziert, LMS untermotorisiert

Seit fast einem Jahr, als Corona den Präsenzunterricht tödlich infizierte, versuchen die Bundesländer ihre Lernmanagementsysteme (LMS) auf Vordermann zu bringen. Dort sollen sich Schüler und Lehrer per Videokonferenz unterhalten, Aufgaben austauschen und Nachrichten schicken können. Aber es will und will nicht klappen. Mal sind nicht genug Lehrer firm in der Bedienung des digitalen Klassenzimmers, mal reicht die Serverkapazität nicht aus, um alle Lehrer und Schüler miteinander zu verbinden. Die LMS der Länder sind schlicht untermotorisiert, ihnen fehlen die PS.

Das muss man immer im Hinterkopf haben: Wer eine Schulcloud oder ein LMS errichten will, muss Hunderttausende, ja sogar Millionen Teilnehmer stabil und wackelfrei bedienen – das schaffen manchmal auch die großen Cloudsysteme von US-Giganten wie Microsoft oder Zoom nicht. Als im Frühjahr 2020 Schulen und Firmen massenhaft ins Homeoffice wechselten, reichte an manchen Tagen auch die Serverkraft der so genannten Hyperscaler nicht.

„Ich finde, es darf nicht mehr vom Zufall abhängen, ob ein LMS läuft oder nicht“, sagt Susanne Posselt. „Ich muss für meine Schüler*innen zuverlässig über Kommunikationsmedien erreichbar sein.“

Besonders misslich ist der Kollaps der Schulcloud in Baden-Württemberg. Das Land der Vollchecker, wo jeder zweite Ort einen Weltmarktführer beheimatet, bastelt nun seit fünf Jahren an einer Cloud. Dabei sitzen im Land zwei große Tech-Unternehmen, die sichere Clouds für ganz Europa anbieten – nur bei den Schulen in Baden-Württemberg dürfen Ionos und Nextcloud nicht ran. Das ist an Peinlichkeit schwer zu überbieten. Stell Dir vor, Du bist ein High-Tech-Konzern – und kein Schwein ruft Dich an.

Digitales Klassenzimmer muss man üben

Die Stuttgarter Systemausfall kann man nicht allein der Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) anlasten, die bereits im Wahlkampf ist. Sie ist vielmehr ein Symbol für den Zustand der Bildungsrepublik. Den Bundesländern ist es zwar gelungen, innerhalb kurzer Zeit acht von zehn Schülern an eine Cloud anzustöpseln – das ist eine beachtliche Leistung. Nur haben die Kultusminister, erstens, vergessen, dass die Lehrer das digitale Klassenzimmer üben müssen – und zwar auch dann, wenn alle denken, die Pandemie sei vorbei. Der Sommer verstrich leider, ohne dass die Schulministerien intensiv didaktische Konzepte mit Lehrerinnen entwarfen und trainierten.

Und, zweitens, muss eine Schulcloud auch funktionieren, wenn alle da sind. Und im Moment sind, notgedrungen, alle drin. Wie gefährlich das werden kann, sieht man am besten LMS Deutschlands namens Mebis. Bayern machte Mebis bereits zur Pflichtaufgabe für Lehrkräfte, als die Pandemie noch nicht ausgebrochen war. Nur war das System eben nicht darauf vorbereitet, wenn über eine Million Nutzerinnen auf einmal auf Mebis zugreifen wollen. Ein einziges Rechenzentrum in München musste den Zugriff abfangen. Und obwohl Mebis‘ Rechnerkapazität seit März verzehnfacht worden war, brachen die Verbindungen zusammen, teilweise wurden sogar die Dienste anderer Behörden in Mitleidenschaft gezogen, weil beim bayerischen IT-Dienstleistungszentrum im Grunde alle Behörden des Freistaats versorgt werden. Das funktioniert – bis alle Schüler des Landes auf Mebis zugreifen.

Microsoft ist keine Alternative

Das bedeutet, in Bayern und im Rest der Republik stehen die Schulen ausgerechnet jetzt, da sich eine für Kinder gefährliche Virusmutation ausbreitet, wieder ohne verlässlichen Draht zu ihren Schülern da. Die Lernwolken sind nicht stabil.

Mancherorts wird nun empfohlen, doch auf die auch bei Massenzugriff funktionierenden Clouds etwa von Microsoft zuzugreifen, etwa mittels MS Teams oder M365. Das ist technisch möglich, aber es ist datenschutzrechtlich nicht tolerabel. Bayerns Datenschutz hat deutlich gemacht, dass MS Teams in Bayern nur bis April genutzt werden darf. In der Neuausschreibung des Videokonferenzsystems ist festgehalten, dass keine Daten von Schülern mehr an Drittstaaten übermittelt werden dürfen. „Damit wäre MS Teams raus“, sagt der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri.

Auch die jüngsten Änderungen von Microsoft verbessern die Datenschutzlage nicht wirklich. „Am Problem von Microsoft-Produkten wie MS Teams oder M 365 ändert sich dadurch nichts“, sagt Datenschutzrechtler Christian Franz von der Düsseldorfer Kanzlei Franz LLP. „Es ist per definition nicht möglich, eine Weitergabe personenbezogener Daten zu verhindern. Denn Microsoft ist in den USA gesetzlich verpflichtet, diese Daten auf Verlangen heraus geben zu müssen.“

Sofatutor und Bettermarks können das

Was kann man tun? Zunächst wäre es nötig, politische Konsequenzen zu ziehen. Wenn Schulminister ein Jahr lang nicht schaffen, Schule möglich zu machen – dann muss man sie halt entlassen. Dafür ist allerdings keine Zeit. Es braucht eine schnelle Lösung. Die kann nur ein Digitalgipfel zwischen Bund, Ländern und den großen deutschen Bildungs-Start-ups wie Sofatutor, Bettermarks oder Simpleclub bringen. Die wissen, wie man Schülern Lerninhalte auf den Bildschirm liefert. Wieso lässt man sie nicht endlich ran? Übergangsweise könnten die seit zehn Jahren aktiven Start-ups die Lücken der LMS stopfen. In der Zwischenzeit müssen die Länder ihre Schulclouds massentauglich machen.

„Ich finde, es darf nicht mehr vom Zufall abhängen, ob ein LMS läuft oder nicht“, sagt Susanne Posselt. „Ich muss für meine Schüler*innen zuverlässig über Kommunikationsmedien erreichbar sein.“