Im Jahr 2030 werden wir vor allem Krisenmanager sein. Das finden zwei Drittel der SchuldirektorInnen laut einer Studie. Aber das Steuerungswissen für Krise schätzen die RektorInnen gar nicht besonders. Was hat das mit dem Startchancenprogramm zu tun?

Es ist nicht die erste Schulleitungsstudie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, kurz FIBS. Die Wissenschaftler um Studienleiterin Sarah Fichtner kennen sich inzwischen gut aus mit dem wichtigsten Archetypen von Bildung: dem bzw. der Schulleiterin. Trotzdem hat die jüngste Umfrage von Fichtner im Auftrag des „Landesinstituts für Schule und Medien“ (Lisum) unter Schulleitungen in Berlin-Brandenburg zwei faustdicke Überraschungen gebracht:

Erstens, die Schulleiterinnen und Schulleiter sehen sich im Jahr 2030 vor allem als Krisenmanager. Mehr als zwei Drittel sagten in der Befragung, dass sie künftig die meiste Zeit dafür aufwenden werden, Krisen zu bewältigen.

Zweitens, das Führungspersonal der Schulen in Berlin und Brandenburg geringschätzt die Fähigkeiten für Krisenmanagement: Die Kompetenzen, eine Schule zu steuern, sie zu verwalten und sich mit den politischen Normen auszukennen.

Schulleiter setzen nicht auf Führungskompetenzen…

Auch im FIBS, das traditionell nahe dran ist an den Befindlichkeiten von Lehrern und Schulleitern, rauft man sich die Haare darüber: „Ich wundere mich, dass die Schulleitungen sich einerseits als Akteure der Krise sehen – aber andererseits nicht voll auf die Hardcore-Führungskompetenzen setzen“, sagte ein Dieter Dohmen, Leiter des FIBS.

Steuerung ab Platz 6

Die Ergebnisse der Kompetenzabfrage für das Jahr 2030 sind in der Tat überraschend. Die Kompetenz, „den Schulbetrieb zu planen, Ressourcen zu managen und zu budgetieren“, sehen die Schulleiter erst auf Platz 6, weit abgeschlagen hinter der Gesundheits- oder der Medienkompetenz. Auf Platz 7 folgt die Fähigkeit, für die Schule „Ziele zu entwickeln, strategisch zu verfolgen und Qualität zu sichern“. Und ganz hinten auf dem letzten Platz liegt im Wertekanon der Rektoren „die Kompetenz im Umgang mit bildungspolitischen Normen“. Dahinter verbirgt sich, „Gesetze und sonstige Regelungen zu kennen, sowie Schulziele in Einklang mit staatlichen Vorgaben bringen zu können.“ Nur ein Fünftel der Schulleiter in und um die Hauptstadt findet das im Jahr 2030 wichtig.

… und das Startchancenprogramm gibt sie ihnen auch nicht

Umfragen sind nie frei von Widersprüchen. Auch in der im Januar diesen Jahres durchgeführten Befragung scheinen sich die 560 teilnehmenden Schulleitungen selbst zu widersprechen. Obwohl sie die administrativen und politischen Kompetenzen von Steuerung vergleichsweise weniger wichtig finden, notieren sie in den offenen Antwortfeldern genau jene Fähigkeiten. Das Führen als Schulleitungsteam zu lernen; Rechtskunde und rechtssicheres Handeln besser zu können; und die Kompetenz, Werbung, Marketing und Akquise zu verstehen.

Die neueste Schulleitungsstudie ist auch deswegen so interessant, weil mit dem Startchancenprogramm benachteiligte Schulen mehr Autonomie und eigene Budgets bekommen sollen. Jedenfalls wird die Politik nicht müde zu betonen, dass sich die Schulleitungen von Schulen in schwierigen sozialen Lagen mit einem Chancenbudget und gesonderten Baumitteln am besten selbst helfen sollen.

Chancenbudget für SchulleiterInnen ist nicht frei

Allerdings zeigt ein Blick in die Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern in Bezug auf das Schulleiterbudget, dass die Politik in Bezug auf Rektoren offenbar eins empfinden: Misstrauen. Das vermeintlich freie Budget ist nicht frei.

Die dürfen Schulleiter nur ein Drittel ihres eigenen Budgets aus dem Startchancenprogramm für schulische Ziele verwenden, die sie selbst gewählt haben. Die anderen zwei Drittel müssen sie entsprechend einem 13 Seiten langen Eckpunktepapier von Maßnahmen, Ratschlägen und Hinweisen ausgeben. Welchen Geist dieses Papier atmet, erkennt man an zwei Passagen.

„Die Entscheidung darüber, wie die Chancenbudgets eingesetzt werden, wird von den zuständigen Stellen des Landes im Rahmen von Entwicklungs- und Kooperationsgesprächen gemeinsam mit den Startchancenschulen und – sofern sie zuständig sind – den Kommunen getroffen und in einer Vereinbarung transparent und nachvollziehbar dokumentiert.“

„… der jeweils zuständigen Stellen.“

Und: „Die Bewirtschaftung der Mittel erfolgt entsprechend in der Verantwortung der jeweils zuständigen Stellen des Landes oder, soweit schulfachlich möglich, in der Verantwortung der einzelnen Schule, wenn diese ihr Chancenbudget zur eigenen Bewirtschaftung direkt erhält.“

Im Vergleich zu Schulleitern sind Tiere in den Käfigen eines Zoos freie Wesen.

Vielleicht hat das Ergebnis der Umfrage von FIBS und Lisum damit zu tun. Warum sollten Schulleiterinnen und Schulleiter auf die Kompetenzen Wert legen, mit denen sie eine Schule selbstverantwortlich führen könnten, wenn sie in einem Käfig von Vorschriften sitzen?