Man muss mit einer Geschichte beginnen, um zu verstehen, wie sehr Bertelsmann und Bertelsmann-Stiftung ihren Bildungscluster perfektioniert haben. Vor ein paar Tagen ist die Studie Chancenspiegel veröffentlicht worden. Sie untersucht, ob das deutsche Schulsystem gerecht UND gut ist. Das Ergebnis: Schule ist beides nicht.
Weckruf Bertelsmann
Der neuerliche Weckruf in Sachen Schule kommt von der Bertelsmann-Stiftung, Eigentümerin des weltweit agierenden gleichnamigen Medienkonzerns.
Unter ihrem neuen Vorstand Jörg Dräger hat die Stiftung die Studie von Wilfried Bos und Berkemeyer in Auftrag gegeben. Der „Chancenspiegel“ soll ab sofort regelmäßig Gerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulen beurteilen. Aber warum entdeckt die Bertelsmann-Stiftung erst zehn Jahre nach Pisa die Bildungsarmut? Und wieso tut sie das in einem so merkwürdigen Verfahren?
Mitte der vergangenen Woche lud die Stiftung Journalisten zum Hintergrundgespräch. Ausführlich erläuterten Bos und Stiftungs-Boss Dräger die 190 Seiten lange Studie. Dann geschah seltsames: Die Kommunikationsstrategen von Bertelsmann gestatteten die Veröffentlichung der Ergebnisse erst am Montag darauf.
Vier Tage Sperrfrist
Dazu muss man wissen: Sperrfristen sind üblich – ein Verbreitungs-Embargo von vier Tagen ein Unding. Warum die Stiftung den Journalisten so viel Zeit zum Tabellenstudium gab, wurde tags darauf klar. Es ging nicht darum, bunte Grafiken genau zu studieren, sondern zunächst der Bundeskanzlerin die Bühne frei zu halten. Angela Merkel nämlich machte tags darauf zum ersten Mal überhaupt der Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Aufwartung. Zufall? Und gab hinterher folgendes Communiqué heraus: Chancengerechtigkeit müsse „auf der politischen Agenda höchste Priorität“ haben. Überraschung? Mitarbeiter der Stiftung begannen nun, den Begriff über die sozialen Netzwerke zu kommunzieren.
Was Bertelsmann inszeniert, ist ein perfekt konzertiertes Agenda-Setting über alle verfügbaren Kanäle. Bildungsvorstand und Buchautor Jörg Dräger lenkt die Aufmerksamkeit auf Chancengerechtigkeit. Die Kanzlerin stimmt ein, die Stiftung liefert anschließend die wissenschaftliche Analyse dazu, die via Mainstream- und Alternativmedien verbreitet wird.
Schaut man sich die Geschichte des Begriffs Chancengerechtigkeit genauer an, dann weiß man auch, wieso Bertelsmann einen so strategisch abgestimmten Weichspülgang eingeschaltet hat. Denn die Chancengerechtigkeit ist nicht irgendein Wort, es ist ein CDU-Kampfbegriff der 1970er-Jahre. Mit Gerechtigkeit hat er gar nichts tu tun. Die Bertelsmann-Stiftung will den alten Schlachtruf offenbar neuen Glanz geben.
Es war Mitte der 1970er Jahre, als der Terminus schon einmal Karriere machte. Die CDU setzte ihn damals ganz bewusst als politische Waffe ein – gegen die SPD. Die Union wollte damit einen populären Slogan der Sozis kontern: Den der Chancengleichheit, mit dem der legendäre Willy Brandt die Republik und ihr Bildungssystem aufgemischt hatte. 1978 schrieb die CDU die Chancengerechtigkeit ins Parteiprogramm. Man dürfe die menschliche Existenz nicht gleichmachen, wie die SPD das vorhabe. Denn Chancen, hieß es damals wörtlich, „können immer nur nach den persönlichen Ablagen des einzelnen genutzt werden.“
Chancengerechtigkeit hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun
So gelesen hat Chancengerechtgkeit mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Sondern ist Begabungslehre in Reinform. Mit ihr wurde in Deutschland jahrzehntelang gerechtfertigt, dass Arbeiter- und Zuwandererkinder selbst bei gleichen Leistungen in niedrige Schulformen geschickt werden. Chancengerechtigkeit ist gewissermaßen das konzeptionelle Dach über einer gegliederten Schule. Chancengerecht ist es nämlich, wenn Ayse und Kevin in die Hauptschule gehen – und Arzttochter Lena ihren Weg ins Gymnasium findet. (Vgl. studis-online)
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Als mündige Bürgerin fühle ich mich verpflichtet, Sie über Folgendes zu
informieren:
Ich nehme als registrierter Teilnehmer „Gerechtigkeitsapostel“ am
aktuellen „Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin mit den Bürgern“ im
Internet teil, wie Zehn- oder Hunderttausende anderer Bürger auch.
Am 19. März 2012 sandte ich meinen untenstehenden Vorschlag für die
Rubrik „Bürgerbeteiligung“, er wurde jedoch von der Redaktion nicht zur
Veröffentlichung zugelassen, obwohl ich mich an die Regeln des
Bürgerdialogs gehalten habe. Ich denke, mit meinem Vorschlag habe ich
genau ins Schwarze getroffen. Die Lobbyisten der Bertelsmann-Stiftung
(und vielleicht auch andere Lobbyisten) haben die Redaktion dieses
Zukunftsdialogs inne und nehmen sehr stark Einfluss auf das, was der
Bundeskanzlerin am Ende als Bürgerwille präsentiert wird.
Zufällig hatte ich schon am Bürgerdialog von Bundespräsident Wulff im
Jahr 2011 teilgenommen hatte, weil dessen Auftaktveranstaltung hier im
Landkreis Hof 2011 stattfand. Bei genauem Hinsehen fiel damals schon
auf, dass die Veranstaltung nicht das Ziel hat, dem Willen der breiten
engagierten, gutwilligen und fleißigen Bevölkerung zum Durchbruch zu
verhelfen. Sondern die große Anzahl der mitmachenden Bürger diente den
Bertelsmännern dazu, ihre schon vorher festgelegten Lobbyisten-Ziele (nämlich die Privatisierung der Bereiche, wo ungeheuer große Summen im System vorhanden sind und ohne nennenswertes unternehmerisches Risiko abgeschöpft werden können, wie z.B. Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasserversorgung u.v.a.m.) als angeblichen Bürgerwillen leichter in der Politik durchzusetzen.
Bitte lesen Sie auch die kritischen Bücher über die Bertelsmann-Stiftung.
Mein Vorschlag war:
„ICH FORDERE EIN BÜRGERFORUM DER BUNDESKANZLERIN OHNE BERTELSMANN UND
OHNE ANDERE LOBBYISTEN
Hat dieses Bürgerforum nur den Zweck, die großen Massen still zu
beschäftigen und davon abzuhalten, auf den Straßen zu protestieren?
Von diesem Bürgerdialog wird wohl nur die Bertelsmann-Stiftung
profitieren, die diesen Bürgerdialog, ebenso wie die von 2010 und 2011,
organisiert, beeinflusst und manipuliert, und dafür aus Steuergeldern
von uns allen fürstlich bezahlt wird. Zu versteuern braucht sie diese
Einnahmen nicht, denn sie ist ja dank Wulff steuerbefreit, obwohl sie
die Voraussetzungen dafür nicht wirklich erfüllt.
Hunderttausende von gutwilligen, engagierten Bürgern nahmen
hoffnungsvoll und höchst aktiv an den Bürgerforen von 2010 und 2011
teil. Bereits 2010 und 2011 wurden in unzähligen Debatten hervorragende
Vorschläge zusammengetragen, Handlungsaufforderungen an die Politik
erarbeitet, zigmal verbessert, zus.-gefasst, detailliert ausgearbeitet,
verfeinert, schriftlich der Politik übergeben.
Kein einziger der Bürgerforums-Vorschläge wurde von der Politik
umgesetzt, sie verschwanden spurlos, oder weiß ein früherer Teilnehmer
von 2010 und 2011 von einem einzigen tatsächlich angegangenen oder
umgesetzten Bürger/Bürgerinnen-Vorschlag?
Angeblich legitimiert durch diese Bürgerforen, wurde durch die
Bertelsmänner die gewinnorientierte Privatisierung lebenswichtiger
Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung u.v.a.m. als
Bürgerwille dargestellt und weiter vorangetrieben. Tochterunternehmen
von Bertelsmann unter ganz anderen Namen stehen dann für die
privatisierten Aufgaben bereit.“
Als Antwort bekam ich:
„Liebe Teilnehmerin, lieber Teilnehmer,
Ihr Beitrag verstößt gegen die Regeln des Bürgerdialogs und kann leider
nicht veröffentlicht werden. Die Regeln können Sie hier nachlesen:
https://www.dialog-ueber-deutschland.de/DE/80-Meta/Benutzerhinweise/benutzerhinweise_node.html
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Redaktion Zukunftsdialog“
wenn man beim Bürgerdialog der Bundeskanzlerin als Suchbegriff
„Bertelsmann“ eingibt, erscheint u.a. folgendes:
1)
„Unterstützung für den Bürgerdialog
Berlin, 14. Februar 2012
Volkshochschulen und Bertelsmann Stiftung planen lokale Diskussionsforen
Wir freuen uns, dass der Deutsche Volkshochschulverband e.V. und die
Bertelsmann Stiftung den Bürgerdialog von Bundeskanzlerin Angela Merkel
unterstützen. Geplant sind lokale Diskussionsforen, die bis Ende März in
über 50 deutschen Städten stattfinden. In sogenannten Bürgerforen sollen
die drei großen Kernfragen des Zukunftsdialogs „Wie wollen wir in
Zukunft zusammenleben?“, „Wovon wollen wir in Zukunft leben?“ und „Wie
wollen wir in Zukunft lernen?“ diskutiert werden. Die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer sind aufgerufen, ihre persönlichen Perspektiven und Ideen
einzubringen. Aber auch konkrete Vorschläge sollen gesammelt und
anschließend in den Bürgerdialog eingebracht werden. Die lokalen
Diskussionsforen sind offen für alle Interessenten.
2)
Frank Frick:
Der Politikwissenschaftler Frank Frick arbeitet seit 1994 für die
Bertelsmann Stiftung, zuständig zunächst für Wirtschafts-,
Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Zurzeit ist er Direktor „Good
Governance/ Zukunft der Beschäftigung“. Seine thematischen Schwerpunkte
sind Transparenz und Wirkung von Gesetzgebung, der Übergang von der
Schule in den Beruf, das lebenslange Lernen sowie Bürgerbeteiligung und
die Weiterentwicklung unserer Demokratie.
3)
Dr. rer. pol. Ulrich Schoof:
Dr. rer. pol. Ulrich Schoof studierte European Studies an der
Universität Osnabrück, hat einen Master in Management an der Ecole
Supérieure de Commerce, Poitiers, Frankreich. Er war Trainee bei der
EU-Kommission im Kabinett der EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies. Von
2004 bis 2006 war er bei der United Nations – International Labor
Organisation in Genf, Schweiz, tätig. Seit 2006 ist er als Project
Manager bei der Bertelsmann Stiftung im Programm „Moderne
Beschäftigungsfähigkeit“ für das Projekt „Zukunft der Beschäftigung“
zuständig (Indexerstellung über lebenslanges Lernen in Deutschland
„Deutscher Lernatlas“).
4)
Christina Tillmann:
Christina Tillmann hat Politikwissenschaften, Öffentliches Recht und
Verwaltungswissenschaften studiert und zahlreiche Beratungsprojekte zu
strategischer Steuerung im öffentlichen Sektor durchgeführt. Sie leitet
gegenwärtig das Projekt „Politik gemeinsam gestalten“ der Bertelsmann
Stiftung, dessen Ziel es ist, die Wirksamkeit und Anschlussfähigkeit von
Bürgerbeteiligung an politisch-administrativen Prozessen zu stärken.
5)
Prof. Dr. Josef Janning:
Prof. Dr. Josef Janning ist Director of Studies am European Policy
Centre (EPC) in Brüssel. Bis 2010 war er als Senior Director in der
Bertelsmann Stiftung verantwort-lich für den Bereich „Internationale
Verständigung“. Zuvor war Janning u.a. als stv. Direktor am Centrum für
angewandte Politikforschung der Ludwig Maximilians-Universität München
tätig.
6)
Folgender Kommentar hinsichtlich Bertelsmann wurde im Zukunftforum * am 15.03.2012 um 18:23 Uhr von Jorgos Assimakopoulos erstellt:
Ich sehe den Bildungsauftrag der deutschen Volkshochschulen als parteipolitisch neutral und unabhängig. Dieser Grundsatz wurde hier damit verletzt, dass der Deutsche Volkshochschulverband den „Bürgerdialog“ von CDU und parteinaher Bertelsmann Stiftung aktiv unterstützt. Womit für mich die Grundsätze einer nicht-indoktrinierenden Bildung zerstört sind. Meine Forderung: Sofortiger Rückzug der Volkshochschulen aus diesem Wahlkampf. Rückkehr zu den Prinzipien ausgewogener, demokratischer Bildung ohne parteipolitische Bindung.
7)
Folgender Kommentar betreffs Bertelsmann wurde im Zukunftforum * am 09.03.2012 um 12:06 Uhr von Karl-Heinz Kock erstellt:
Im Jahr 2011 hat das BürgerForum-2011 stattgefunden, eine Initiative des Bundespräsidenten mit der Heinz Nixdorf Stiftung und der Bertelsmann-Stiftung. 25.000 repräsentativ ausgewählte BundesbürgerInnen haben in 25 regionalen Bürgerprogrammen je sechs Vorschläge zu ganz ähnliche Themenbereiche, wie die des jetzigen Zukunftsdialogs der Bundeskanzlerin (http://bund.buergerforum2011.de). Eigentlich fragt man sich, was 2011 wohl falsch gelaufen ist, dass der Bürgerdialog praktisch wiederholt werden muss.
Mein Vorschlag ist, diese 150 vorliegenden konkret ausgearbeiteten (mit Begründung, Vorschlag im Detail, Pro & Contra, Umsetzung) Vorschläge soweit möglich auch umzusetzen. Laut Evaluation des BürgerForums-2011 waren 20% der Befragten (ca. 3000 der 25.000 Teilnehmer) davon überzeugt, dass die Politik einzelne Vorschläge umsetzen wird.
Ich denke, dass viele der Teilnehmer enttäuscht sind, denn ich habe weder auf der Homepage vom BürgerForum-2011, noch aus den Medien erfahren, dass die Bundespolitik sich daran gemacht hätte, irgendeinen der 150 Vorschläge zu realisieren. Zwar sind die regionalen Gruppen regional aktiv geworden und versuchen ihre Vorschläge in ihren Kommunal- und Landesregierungen einzubringen. Aber von einer konkreten Umsetzung höre ich auch da nichts, jedenfalls wird in den Medien hierüber nichts berichtet.
8) Mir (Verfasser dieser Zeilen)ist auch aufgefallen, dass dieser Bürgerdialog fast haargenau so aufgebaut ist und so abläuft, wie das Bürgerforum 2011 unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundespräsidenten Wulff und unter der Regie und Redaktion von Bertelsmann:
Bertelsmann-Leute sitzen in der Redaktion dieses
Bürgerforums, geben selbst Vorschläge ab und kommentieren diese und andere Vorschläge, so als ob sie unabhängige Bürger wären. Es ist nicht
ersichtlich, dass es sich um Bertelsmann-Leute handelt. So war es auch
beim Bürgerforum 2011 unter Wulff 2011, und man konnte nur durch hartnäckiges Nachfragen einiges herausfinden, woraus sich dann doch folgern ließ, dass es die Bertelsmann-Leute selbst waren, die zahlreiche Vorschläge und Kommentare abgegeben hatten.
Mit freundlichen Grüßen